In der Öffentlichkeit wird die Mindestlohndebatte heute zumeist als eine rein politische Auseinandersetzung geführt. Dabei übersieht man leicht, dass sie auch gewaltige rechtliche, namentlich verfassungsrechtliche Fragen aufwirft. Die Handlungsspielräume der Politik sind deshalb kaum so groß, wie es auf Anhieb erscheinen mag.
Das erste gewichtige Rechtsproblem rührt aus einem massiven Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Berufs- und Vertragsfreiheit. Dabei geht es nicht nur um Arbeitgeber, sondern vor allem auch um Arbeitnehmer, für die das Angebot an Arbeitsplätzen verkürzt wird und die um die Möglichkeit gebracht werden, ihre Arbeitsplätze im Wettbewerb zu sichern, sollte der Arbeitgeber die durch Mindestlöhne entstehenden höheren Kosten zum Anlass für Betriebsverlagerungen, Rationalisierungen oder ein Outsourcing nehmen.
Wie will man einem Arbeitnehmer eigentlich erklären, dass ihm die Rechtsordnung verbietet, der Arbeitslosigkeit zu entfliehen, indem er statt der vorgeschriebenen 8,50 Euro nur 8,00 Euro pro Stunde verlangt?
Eine Rechtfertigung für solche Eingriffe findet sich insbesondere nicht im Sozialstaatsprinzip. Denn anders als in den Entsendefällen der Baubranche, die für die ersten Mindestlöhne in Deutschland verantwortlich waren, geht es heute nicht darum, vor allem ausländische "Billigkonkurrenten" zu binden, um so den Verlust deutscher Arbeitsplätze zu verhindern. Es ist vielmehr der allgemeine Ruf nach Lohngerechtigkeit, für den man - dem Sozialstaatsprinzip gerade zuwider - Arbeitsplatzverluste sogar billigend in Kauf nehmen will.
Das Sozialstaatsprinzip stützt die Forderung nach einem Mindestlohn auch dann nicht, wenn man sich auf die Garantie einer menschenwürdigen Existenz beruft. Denn die Einlösung dieser Garantie ist Sache der staatlichen Gemeinschaft. Sie ist nicht Aufgabe einzelner privater Gruppen.
Schwache Arbeitgeber nicht zu unwirtschaftlichem Handeln zwingen
Der Staat kann deshalb seine Verantwortung auch nicht kurzerhand auf solche abwälzen, hier also auf die Arbeitgeber. Er würde damit gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Dieser wäre sogar in besonders gravierender Weise verletzt. Denn mit dem Sonderopfer zur Gewährleistung einer sozialstaatsadäquaten Existenz von Arbeitnehmern wären ja noch nicht einmal alle Arbeitgeber gleichermaßen belastet. Treffen würde es nur diejenigen unter ihnen, die aus ökonomischen Gründen eigentlich unterhalb des Mindestlohns bleiben müssten. Nur sie wären zu unwirtschaftlichem Handeln gezwungen. Dagegen blieben gerade die leistungsfähigeren Arbeitgeber, für die höhere Löhne keine Schwierigkeit darstellen, bei der Belastung zugunsten sozialer Gerechtigkeit außen vor.