Süddeutsche Zeitung

Grundeinkommen in Berlin:Falscher Name, gute Idee

"Solidarisches Grundeinkommen" nennt sich ein neues Projekt in der Hauptstadt. Der Titel ist provokant, denn es geht um Geld gegen Leistung. Dennoch: Der Ansatz ist gut.

Kommentar von Lea Hampel

Es ist ein großes Maß an Aufmerksamkeit für eine an sich eher kleine Sache: 1000 Menschen im Land Berlin bekommen in den nächsten Monaten die Möglichkeit, Jobs anzutreten, die dem Gemeinwohl dienen - als Kitahelfer etwa oder als Citylotsen für Touristen. Finanziert wird das von der öffentlichen Hand, die Arbeitsplätze sind sozialversichert und unbefristet. Das Projekt hat, schon seit der Regierende Bürgermeister Michael Müller von der SPD es im Jahr 2017 öffentlich andachte, Frohlocken, Widerworte und Grundsatzdebatten provoziert, als würde der Sozialstaat selbst grundlegend reformiert.

"Solidarisches Grundeinkommen" ist das Modell benannt, das Berlin fünf Jahre lang testen will. Dass es so heftige Reaktionen erzeugt, liegt allerdings weniger am Inhalt als an genau dieser Wortwahl. "Grundeinkommen" ist ein Schlagwort, das seit einigen Jahren hohe Aufmerksamkeit garantiert, von den Gegnern als sozialistische Utopie oder "Stillhalteprämie" verurteilt, von den Befürwortern als ultimative Lösung für Digitalisierungsfolgen, Sozialstaatsaushöhlung und Demokratiemisstrauen gefeiert. Solidarität wiederum ist ein Begriff, der immer zieht - und der der SPD in ihrer derzeitigen Lage nicht schaden kann.

Vielleicht zeigt das Projekt neue Wege auf

Empört zeigen sich vor allem Befürworter: Etikettenschwindel, Wortklau, so lauten die Vorwürfe gegen das Berliner Projekt. Tatsächlich ist das, was Berlin plant, weit weg von dem, was nahezu alle anderen der weit über 100 Grundeinkommenskonzepte, die weltweit kursieren, beinhalten. Zum einen geht es in Berlin um Geld gegen Leistung. Und nicht: Geld als Grundlage, eine Art Vertrauensvorschuss des Staates gegenüber dem Bürger in der Annahme, dass der etwas für die Allgemeinheit Sinnvolles damit anstellen wird.

Zum anderen ist der verwendete Solidaritätsbegriff - die Projektmacher sprechen von "doppelter Solidarität" - ein fraglicher: Wie solidarisch ist es von der Gesellschaft, Menschen, die in die Sozialkassen eingezahlt haben und in Zeiten der Arbeitslosigkeit trotzdem Schwierigkeiten haben, von staatlichen Zahlungen zu leben, Arbeit anzubieten? Zumal die Jobs oft in den niedrigen Lohnklassen angesiedelt sind oder im Mindestlohnbereich? Natürlich ist Kritik da berechtigt: Die Wortwahl war eine bewusste Provokation. Hinter dem Konzept steht nach wie vor ein Arbeitsbegriff, der stark an Erwerbsarbeit ausgerichtet ist. Und ein Gesellschaftsentwurf, in dem sich Teilhabe über Erwerbsarbeit definiert.

Dennoch ist das Projekt - im Kern übrigens keine neue Erfindung, ähnliche Versuche, damals unter dem Schlagwort "Bürgergeld", gab es schon - ein guter Ansatz: Der Frust über Hartz IV ist groß, sowohl bei Betroffenen und ihren Angehörigen, als auch auf Behördenseite. Trotz eines vergleichsweise langen wirtschaftlichen Aufschwungs gibt es immer noch mehrere Millionen Menschen, die gern arbeiten würden, das aber aus unterschiedlichen Gründen nicht können. Auf der anderen Seite suchen Unternehmen dringend Mitarbeiter. In einzelnen Schritten zu experimentieren, wie diese Lücke geschlossen werden kann, ist sinnvoll: Die Arbeitslosen können frei entscheiden, ob sie mitmachen wollen; sie werden gecoacht und im Job weitergebildet; Arbeitgeber sollen lernen, mit Mitarbeitern mit besonderen Bedürfnissen umzugehen; die Jobs sind unbefristet. All das geht über andere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hinaus.

Und es sind Rahmenbedingungen, die es wahrscheinlich machen, dass nicht nur mehr Menschen, die das wollen, Arbeit finden. Es könnte zeigen, dass das derzeitige System von Sanktionen und Druck bei Hartz IV durch bessere Konzepte abgelöst gehört. Im Idealfall gelingt sogar, worauf die Projektmacher dezidiert hoffen: Dass sie herausfinden, mit welcher Unterstützung am effektivsten verhindert werden kann, dass Menschen, die in Arbeitslosigkeit geraten, in einen Strudel aus Abhängigkeiten vom Amt geraten, der sie letztlich unvermittelbar macht. Auf diese Fragen gilt es angesichts von zunehmender Digitalisierung und Automatisierung ohnehin Antworten zu finden.

Und so mag es zwar der falsche Titel sein, bewusst gewählt, um sich in eine populäre Debatte einzuklinken. Wenn sowohl die Begriffswahl als auch die Umsetzung aber dazu führen, dass darüber nachgedacht wird, wie Alternativen zum derzeitigen System aussehen könnten, ist das gut. Und auch Befürworter eines echten bedingungslosen Grundeinkommens dürften das befürworten.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2019/hgn
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