Grundeinkommen:Die Revolution fällt aus

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Schweizer stimmen gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Doch die Diskussion geht weiter - viele wollen bald wieder abstimmen.

Von Charlotte Theile, Zürich

Es war eine der am meisten beachteten Abstimmungen, die die Schweiz in den letzten Jahren gesehen hat. An diesem Sonntag hätten die Schweizer die Möglichkeit gehabt, sich selbst ein Grundeinkommen von umgerechnet 2250 Euro auszahlen zu lassen, bedingungslos. Internationale Medien berichteten, junge Menschen aus der ganzen Welt fanden sich am Zürichsee zur Diskussion zusammen. Das Ergebnis war dann überraschend nüchtern: Nur gut zwanzig Prozent der Stimmberechtigten sprachen sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus. In Umfragen war zuvor ein Ja-Anteil von etwa dreißig Prozent vorhergesagt worden.

Die Aktivisten, die am Sonntagmorgen noch Wähler mit dem goldenen Tesla zum Lokal fuhren, bemühten sich bei ihrer ebenfalls in gold gehaltenen Wahlparty in Basel, das Ergebnis zum Erfolg zu machen. Er habe mit etwa 15 Prozent Zustimmung gerechnet, sagte etwa Daniel Häni, Gründer des Kaffeehauses "unternehmen.mitte", bei dem die Party stattfand.

Jetzt will man das Projekt auf der Mikro-Ebene testen - in Städten, Dörfern, Kantonen

Schon in den Wochen vor der Abstimmung war klar geworden, dass die Schweizer, die in ökonomischen Fragen traditionell konservativ wählen, dieser Idee nicht zustimmen würden. Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt nahm das Ergebnis mit Freude auf: Die Menschen hätten sich gegen dieses "Wagnis" entschieden - vor allem, weil die Finanzierung unklar geblieben sei. Die Lesart, auf die sich die Aktivisten in den vergangenen Tagen geeinigt hatten, lautete dagegen: Die Welt könne der Schweiz dankbar sein, dass sie diese Diskussion weiter gebracht habe.

Es war nicht die einzige Grundsatzentscheidung, über die die Schweizer an diesem Sonntag zu befinden hatten. Eine weitere kontroverse Initiative richtete sich gegen die Organisation der öffentlichen Dienste. Der Kommunikationsanbieter Swisscom, die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und die Post dürften nicht länger nach Gewinn streben, sondern müssten einzig danach streben, einen möglichst preiswerten und guten Service zu bieten, forderte eine Initiative von Verbraucherschützern, die den Namen "Pro Service public" trug.

Obgleich die Initiative von allen Abgeordneten des Berner Nationalrats abgelehnt worden war, kam sie zunächst auf beeindruckende Umfrageergebnisse. Mehr als 50 Prozent der Stimmberechtigten sagten, sie würden für den Vorstoß stimmen. Eine der besonders populären Forderungen von "Pro Service public": Das Jahresgehalt der Unternehmens-Chefs von Swisscom und Co solle bei etwa 430 000 Euro gedeckelt werden. Im Laufe des Wahlkampfes verloren die Verbraucherschützer jedoch zunehmend an Boden: Zum Schluss stimmten nur gut 30 Prozent der Stimmberechtigten mit Ja. International gelten die früheren Staatsbetriebe Swisscom, SBB und Post als vorbildlich.

2500 Franken für alle? Eigentlich eine schöne Idee, aber vielleicht lieber doch nicht! Schweizer Bürger am Sonntag beim Urnengang in einer Schule in Bern. (Foto: Reuters)

Zwei weitere Abstimmungen endeten ohne große Überraschungen. So stimmten die Schweizer sowohl einem neuen, liberalen Fortpflanzungsgesetz zu als auch einer Reform in der Asylgesetzgebung. Beide Gesetzen waren von der Schweizer Regierung, dem Bundesrat, zur Zustimmung empfohlen worden. Die Initiative der Straßenlobby wurde dagegen abgelehnt, was die Umfragen aber bereits klar vorhergesagt hatten.

Während sich Journalisten und Politiker schnell darauf einigten, dass es eher gewöhnliche Abstimmungen gewesen waren, feierten die Grundeinkommens-Aktivisten in Basel das "erste Mal in der Menschheitsgeschichte", das über ihre Idee abgestimmt worden ist. Die Kampagne war von prominenten Unternehmern wie dm-Gründer Götz Werner und namhaften Ökonomen wie Joseph Stiglitz unterstützt worden.

In einem eigenen Abstimmungsstudio zeigten sie die Ergebnisse aus ländlichen Kantonen, die dem Grundeinkommen besonders skeptisch gegenüber standen, während städtische Kantone aufgeschlossener waren. In Teilen Zürichs bekam die Initiative sogar mehr als 50 Prozent.

Wie es jetzt mit der Idee weitergeht? Kampagnen-Leiter Che Wagner geht davon aus, dass die Schweiz irgendwann wieder über das Grundeinkommen abstimmen wird. "Ein bisschen Zeit muss aber vergehen, das wäre sonst ein Affront" sagt Wagner. Das Votum sei jedoch "ein klarer Auftrag" an die Schweizer Politik, sich weiter mit dem Thema zu befassen, findet Che Wagner.

Er weist auf eine Umfrage hin, die das renommierte Schweizer Meinungsforschungsinstitut gfs erstellt hat. 62 Prozent der gut 1000 Befragten glauben, dass die Diskussion um das Grundeinkommen jetzt weitergeht, 69 Prozent sagten sogar, sie gingen davon aus, dass noch einmal über diese Frage abgestimmt werde.

Bei den 18- bis 29-jährigen sind diese Werte besonders hoch. Jetzt wolle man das Grundeinkommen auf der Mikro-Ebene testen - in Städten, Dörfern, Kantonen, sagte Wagner. Erste Signale gibt es aus der Westschweiz, wo das Grundeinkommen bessere Werte als im Rest des Landes erzielt hat. So beschloss die Stadt Lausanne im April, ein Pilotprojekt auf den Weg zu bringen, das die Auswirkungen eines bedingungslosen Einkommens bei Sozialhilfeempfängern erforschen will. Eine Hälfte der Studienteilnehmer soll Geld ohne Bedingungen erhalten, die andere mit. Die Frage, der die Stadt nachgehen will, lautet: Macht ein Grundeinkommen faul? Bis der Testlauf startet, werden allerdings noch Jahre vergehen. Sicher ist: Das Grundeinkommen wird die Schweiz noch einige Zeit beschäftigen.

© SZ vom 06.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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