Grüne Rendite:Den langfristigen Gewinn im Blick

EU in Brüssel

Die Europäische Kommission in Brüssel: Die Eu arbeitet einen Plan für mehr Nachhaltigkeit in der Finanzbranche aus.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Eine von der EU-Kommission eingesetzte Expertengruppe will die Ungeduld der Finanzmärkte beim Geldverdienen zügeln.

Von Marcel Grzanna

"Umfassend", "ambitioniert", "detailliert": Die Reaktionen auf den Bericht der High-Level Expert Group on Sustainable Finance (HLEG) waren Beleg dafür, dass die Arbeitsgruppe um den früheren Axa-Manager des Bereichs Nachhaltigkeit, Christian Thimann, die Erwartungen und Hoffnungen erfüllte. Experten aus der Finanzindustrie, von Umweltorganisationen und aus Unternehmen fanden weitgehend lobende Worte für den 100-seitigen Bericht, der zum Anfang des Jahres vorgestellt wurde und eines zum Ziel hat: Den Weg zu ebnen zu einer konsequenten Umstrukturierung des Finanzsektors der Europäischen Union zum Wohle der Umwelt und des gesellschaftlichen Zusammenlebens in der Welt. Als Fixpunkt dient mittelfristig das Pariser Klimaabkommen und dessen erklärtes Ziel, die Erderwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen, besser noch auf 1,5 Grad.

Nach einem Zwischenbericht im vergangenen Jahr hatte es noch Kritik gehagelt für Thimann und seine Mannschaft: zu praxisfern und thematisch zu eng gesteckt. Die Experten nahmen die Kritik auf, führten eine umfangreiche Befragung durch und ergänzten ihren Aktionsplan um zahlreiche Aspekte. Entsprechend positiv äußerten sich die Kritiker. Der Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage, CRIC, "begrüßt den Abschlussbericht der Expertengruppe ausdrücklich. Im Vergleich zum Zwischenbericht sind deutliche Verbesserungen festzustellen." Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) bewertet den Bericht als "sehr gut, weil er deutliche Orientierung für die Zukunft der Finanzmärkte aufzeigt. Und er zeigt praxisorientiert, dass nachhaltige Finanzmärkte möglich sind."

Im Kern geht es um eine nachhaltige Finanzwirtschaft, die in all ihren Geschäftsmodellen Kriterien berücksichtigt, die bislang vernachlässigt werden. Laut dem Bericht der Expertengruppe sind das in erster Linie klimarelevante Kriterien, die dafür sorgen sollen, dass Investitionen und Firmen unterstützt werden, die dabei helfen, die CO₂-Emissionen zu reduzieren. Das betrifft die Kreditvergabe von Banken genauso wie die Ausgabe von Unternehmensanleihen oder die Risikobewertungen durch Ratingagenturen. Dazu gehören auch Infrastrukturprojekte, die eine nachhaltige Industrie, Produktion oder Dienstleistung ermöglichen. Statt eines kurzfristigen Strebens nach maximalen Profiten sollen langfristige Vorteile für Mensch und Natur maßgebend sein, wenn über Wohl und Weh von Investitionen in der Branche entschieden wird.

Die Idee dahinter ist, die notorische Ungeduld der Finanzmärkte beim Geldverdienen zu regulieren. Stattdessen soll eine Atmosphäre geschaffen werden, in der ein Bewusstsein vorherrscht, dass sich langfristige Investitionen, die auf Nachhaltigkeit Wert legen, ebenso auszahlen. Nur später eben. Und dass sie darüber hinaus neben dem Umweltschutz auch das allgemeine Wohlbefinden des Einzelnen und der Gesellschaften in Europa, aber auch in anderen Teilen der Welt verbessern.

Ausführlich stellt die Expertengruppe Werkzeuge vor, mit der die Umsetzung gelingen soll. Eine sogenannte Taxonomie oder Klassifizierung seitens der EU gibt der Finanzindustrie künftig einen Handlungsrahmen, mit dessen Hilfe alle Akteure zweifelsfrei feststellen sollen, wie "grün" eine Investition wirklich ist. Eine Investition in erneuerbare Energien würde dann etwa das entsprechende Zertifikat grün erhalten, während Investitionen in die Luftfahrt eine geringere Wahrscheinlichkeit haben werden, dieses grüne Label zu bekommen. Der Idee nach wird so auch für die richtige Anreizwirkung für Investoren gesorgt. Allerdings ist die Konkretisierung der Taxonomie noch nicht ausgearbeitet durch die EU-Kommission.

Ob Versicherungsnehmer, Aktienkäufer oder Hausbauer - an jeden richtet sich der Appell

Wer sich mit dem Papier befasst, stellt schnell fest, dass die Verfasser bemüht sind, das Thema Nachhaltigkeit nicht auf einer technisch-bürokratischen Ebene verkümmern zu lassen. "Den Mitgliedern der Expertengruppe ist es wichtig, dass die Arbeit der Gruppe zu wirklichen Veränderungen in der Finanzpolitik führt und Europas Nachhaltigkeitsbilanz verbessert", heißt es in dem Bericht. Damit verbunden ist unbedingt ein Kulturwandel, der sich zu allererst in den Köpfen vollziehen muss und dann erst seine Kraft entfalten kann. Die Expertengruppe nimmt zwar die zentralen Akteure zuallererst in die Pflicht, gleichzeitig aber entlässt sie auch private Investoren, die im Geldkreislauf eine prägnante Rolle spielen, nicht aus der Verantwortung. Stattdessen appelliert die Arbeitsgruppe an jeden potenziellen Investor, dass er sich sehr bewusst sein muss, wie wichtig es ist, dass jeder seinen Beitrag zu der Nachhaltigkeitsstrategie leistet, sei es als Versicherungsnehmer, Aktienkäufer oder Hausbauer.

Trotz aller positiven Reaktionen sehen Organisationen wie die CRIC weiterhin Potenzial, die Strategie umfangreicher zu gestalten. "Wichtige Themen und Empfehlungen, die für eine nachhaltige Finanzwirtschaft wichtig sind, fehlen", heißt es. Der Report beiße sich zu sehr im Thema Klima fest. Zwar lautet es an einer Stelle, dass Biodiversität, Ressourceneffizienz und Sozialwirtschaft gleichermaßen signifikant seien, aber es sei nicht gelungen, "gesellschaftlich-soziale Aspekte der Nachhaltigkeit in den Blick zu nehmen". Auch sei die Chance vertan, mehr wissenschaftliche Expertise in das Papier einfließen zu lassen. Statt Fachleute aus den Universitäten und der Zivilgesellschaft seien Vertreter der Finanzindustrie überproportional vertreten.

Vielfach beklagt wird zudem, dass der Bericht sich nicht die neuen Optionen von Finanztechnologieunternehmen, sogenannten Fintechs, zu Nutzen macht. Die digitale Revolution innerhalb der Finanzindustrie bietet einen neuen Werkzeugkasten, um Finanzierungen und Dateneinsicht für private Investoren günstiger und leichter zu gestalten. So könnten gerade Fintechs dabei helfen, schneller ein nachhaltiges Finanzsystem zu schaffen, sagen Kritiker. Aber sie kommen in dem Bericht gar nicht vor.

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