Süddeutsche Zeitung

Bauernpräsident und Umweltschützer im Gespräch:"Das System muss grüner werden"

Wie viel bekommt der Bauer für ein Kilogramm Schwein? Als Folge der Dioxinkrise nur noch etwas mehr als einen Euro. Lutz Ribbe von Euronatur und Bauernverbands-Präsident Gerd Sonnleitner über Massentierhaltung - und warum Nahrung mehr wert sein sollte.

Heribert Prantl und Martin Kotynek

Der Skandal um dioxinverseuchtes Futtermittel, die Massentierhaltung sowie der Boom biologisch hergestellter Produkte haben eine Debatte ausgelöst, die die Verbraucher sensibilisiert hat und an das Selbstverständnis vieler Landwirte rührt. Lutz Ribbe, 53, ist Direktor der Umweltorganisation Euronatur und Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU. Er fordert ein Ende des Immer-billiger und Immer-mehr in der Nahrungsmittelproduktion. Gerd Sonnleitner, 62, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, will die konventionelle Landwirtschaft nicht aufgeben, Bio-Produkte könnten die Nachfrage alleine nicht befriedigen, sagt er.

Süddeutsche Zeitung: "Die Katastrophe kann sich jederzeit wiederholen", heißt es in einem Expertenbericht, "sie beruht auf der Schlamperei unserer Behörden und auf der kriminellen Energie der Unternehmen, addiert zu einem System der Unverantwortlichkeit". Dieser Satz steht zwar im Untersuchungsbericht zur BP-Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, aber gilt er nicht auch für den Dioxin-Skandal - und damit für das System der Landwirtschaft?

Gerd Sonnleitner: Ich wehre mich dagegen, dass man alle Bauern nun in Sippenhaft nimmt. Es sind einzelne Kriminelle, die den Dioxin-Skandal zu verantworten haben. Wir Bauern sind die Opfer, nicht die Täter. Die Kriminellen müssen zur Rechenschaft gezogen, die Schlupflöcher geschlossen werden.

Lutz Ribbe: Sie tun so, als wäre das System in Ordnung, und als gäbe es nur leider ein paar schwarze Schafe. Aber das ganze System der Landwirtschaft ist insgesamt krank. Zwar ist kein System vor kriminellen Machenschaften gefeit. Aber das System der industriellen Nahrungsmittelproduktion ist besonders anfällig dafür.

SZ: Warum?

Ribbe: Unsere Landwirtschaft ist auf dem Weg der Industrialisierung. Alles muss immer billiger produziert werden, in immer größeren Betrieben, alles konzentriert sich auf immer weniger Bauern. Da ist dann wie beim Dioxin die Gefahr groß, dass ein einzelner Krimineller eine Lawine lostreten kann, die sofort große Teile der Branche in Mitleidenschaft zieht.

Sonnleitner: Wir Bauern wollen keine solche Amerikanisierung in der Landwirtschaft. Gäbe es sie, würden nur wenige Großbetriebe überleben können, die dann von Fonds oder Kapitalgesellschaften geleitet werden. In Deutschland bestimmen 350.000 Bauernfamilien die Landwirtschaft.

Ribbe: Schauen Sie nach Norddeutschland, dort ist die Tierhaltung mittlerweile so konzentriert, dass die Bauern in manchen Regionen nicht mehr wissen, wo sie die Gülle hintransportieren sollen.

Sonnleitner: Im Weser-Ems-Gebiet stoßen wir tatsächlich an Grenzen bei der Viehdichte. Das hat historische Gründe. Da müssen wir uns Gedanken machen, dass die Tierhaltung dort umweltfreundlicher wird.

SZ: Muss sie nicht auch tierfreundlicher werden?

Sonnleitner: Ich bin ein Christenmensch, für uns sind Tiere Geschöpfe Gottes. Ich habe dafür gekämpft, dass der Tierschutz Verfassungsrang bekommen hat.

SZ: Gerade deshalb müssen doch Mastbetriebe mit Massentierhaltung wie grundrechtsfreie Zonen für Sie wirken. Fasst es Sie nicht ans Herz, wenn Sie sich Videos von dort anschauen?

Sonnleitner: Es gibt einzelne Höfe - große wie kleine -, auf denen etwas nicht in Ordnung ist. Aber ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und habe miterlebt, wie die Tiere früher gehalten wurden. Und ich weiß, dass es ihnen heute wesentlich besser geht als in meiner Kindheit. Früher waren die Tiere im finsteren Stall angebunden, es war nass und kalt. Heute heißt es immer gleich "Massentierhaltung", wenn ein großer Stall gebaut wird. Aber dort geht es dem einzelnen Tier besser, es hat mehr Platz, Licht und Luft.

Ribbe: Es geht doch nicht um den Vergleich früher und heute. Das Tierleid ist in unserer industriellen Landwirtschaft systemimmanent. Es ist ein krankes System, dass den dicht gedrängten Schweinen die Schwänze abgeschnitten werden müssen, damit gelangweilte Artgenossen nicht darauf herumkauen. Sie verteidigen ja sogar die Haltung von Hühnern in "Käfigen de luxe", die man "Voliere" nennt, obwohl da kein Huhn drinnen fliegen kann - und zu denen das Bundesverfassungsgericht nein gesagt hat.

Sonnleitner: Das Gericht hat nur den Verfahrensweg kritisiert, nicht die Voliere. Ich bin davon überzeugt, dass eine solche Kleinvoliere mit Sitzstangen, Sandbad und dunklen Nestern zur Eiablage artgerecht für eine Henne ist. Das Wohl der Tiere steht für die Bauern ganz oben. Wir sind offen für praxisgerechtere Verbesserungen im Tierschutz.

SZ: Wenn Tiere leiden, dann sind das also Einzelfälle?

Sonnleitner: Es gibt Fehlverhalten, es gibt Dinge, die wir verbessern müssen. Aber wir haben ein Problem damit, wie die Tierhaltung in der Gesellschaft wahrgenommen wird. Die Menschen gehen von ihren Haustieren aus - und legen diese Maßstäbe auch an die Haltung von Nutztieren an. Das sind völlig falsche Voraussetzungen. Wir führen im Bauernverband derzeit eine Wertediskussion über den Geist der Landwirtschaft und die Ansprüche der Gesellschaft. Da gehören dann auch der Tierschutz dazu, die Schonung unserer natürlichen Ressourcen, die Verantwortung der Bauern für den Verbraucher.

SZ: Sind solche Werte in der Landwirtschaft umsetzbar?

Ribbe: In dem derzeitigen industriellen System nicht. Für einen solchen Geist müsste das System grüner und gerechter werden.

Sonnleitner: Ja, das System muss europaweit grüner werden. Bei uns ist es auch schon grün: Schon heute setzen die Bauern auf 30 Prozent der Nutzflächen Umweltschutzprogramme um. Unsere Anstrengungen haben mit dazu geführt, dass etwa die Wassergüte steigt. Dort, wo sie sinkt, sind wir sofort dazu bereit, Maßnahmen zu ergreifen. An der "Begrünung des Systems" arbeiten wir also ohnehin schon.

Ribbe: Und wie stehen Sie zu mehr Gerechtigkeit? Die Hälfte unserer Bauern bekommt aus Brüssel weniger als 5000 Euro pro Jahr - das ist nicht viel mehr als Hartz-IV. Zusammengenommen vereinnahmen diese vielen Kleinbetriebe nur sieben Prozent der Agrarsubventionen. Andererseits bekommen ganz wenige Großbetriebe 100.000 Euro und mehr pro Jahr. Zusammen kassieren diese mehr als 30 Prozent der Beihilfen; sie schaffen aber sicher nicht 30 Prozent der Arbeitsplätze oder der Umweltleistungen. Die zehn größten Betriebe in Berlin und Brandenburg erhalten insgesamt genauso viele Prämien wie alle 3000 Bauern im Landkreis Cham in der Oberpfalz zusammen. Ist das fair?

Sonnleitner: Es ist nicht so krass, wie Sie schildern. Unter den kleinen Betrieben sind auch viele Nebenerwerbsbauern, die ihr Geld im Wesentlichen außerhalb der Landwirtschaft verdienen. Die, die mehr bekommen, leben hingegen wie ihre Beschäftigten ausschließlich von der Landwirtschaft.

SZ: Die EU hat angekündigt, ihre Subventionspolitik zu ändern.

Sonnleitner: Wir hören, dass die EU im Rahmen ihrer anstehenden Agrarreform die Grundsicherung der Bauern kürzen möchte. Das fürchten wir. Fast 70 Prozent des Einkommens der europäischen Bauern hängen von den Transferzahlungen aus Brüssel ab. Wer künftig mehr Geld haben will, muss noch mehr Umweltprogramme als heute betreiben, die aber die Kosten hochtreiben. Es wird gekürzt, und es werden uns zusätzliche Belastungen aufgebürdet. Aber gerade die kleinbäuerlichen Betriebe, die ja auch von Herrn Ribbe so geschätzt werden, überleben nur aufgrund des EU-Geldes.

Ribbe: So wie die Subventionen heute gestaltet sind, lassen sich die Ausgaben von jährlich fast 60 Milliarden Euro an Steuergeld einfach nicht mehr rechtfertigen. Die Gesellschaft verlangt zu Recht eine schlüssige Legitimation dafür, warum sie die Bauern in Zeiten knapper Kassen weiterhin mit so viel Geld unterstützen soll. Wenn man den Bauern also höhere Umwelt- und Tierschutzstandards aufbürdet, dann ist es für die Gesellschaft auch nachvollziehbar, dass man die Bauern für diese höheren Aufwendungen entschädigt. Wenn die EU ihre Subventionspolitik, wie angekündigt, ökologischer gestalten will, dann sollte Deutschland das nicht - wie es geschieht - blockieren, sondern fördern.

SZ: Aber kämpfen Sie nicht beide gegen Windmühlen, solange unser Essen so billig ist?

Ribbe: Die Konsumenten haben hier tatsächlich eine hohe Verantwortung. Nahrung muss uns mehr wert sein. Aber ich muss die Verbraucher in Schutz nehmen: Es wird uns doch suggeriert, dass alles, was wir kaufen, gut ist. Im Supermarkt finden wir Fleisch, auf dem "Bauernglück" steht, obwohl der Bauer so wenig Geld für sein Tier bekommt, dass er sicher nicht glücklich ist. Auf den Milchtüten lächeln Kühe von der Weide, obwohl die Tiere wahrscheinlich niemals eine Weide gesehen haben. Und glauben Sie, dass Wiesenhof, der größte Hersteller von Geflügelfleisch, seine Tiere auf Wiesen und Höfen hält?

Sonnleitner: Ich heiße auch Sonnleitner, obwohl ich die Sonne nicht leite. Das sind eben Marken, die im Laufe der Zeit entstanden sind. Wenn ich hier aus der SZ-Redaktion Richtung Alpen schaue, dann entsprechen diese Bilder genau dem, wie die Kühe hier gehalten werden.

Ribbe: Oberbayern ist ein Spezialfall. Aber mit solchen Bildern entsteht beim Verbraucher der Eindruck, dass die Welt der Landwirtschaft eine Idylle ist und ihre Produkte zugleich unglaublich billig sind - was müssen wir da überhaupt ändern? Wir brauchen hier eine Marktdifferenzierung: In Deutschland gibt es im Supermarkt nur normale Milch oder Bio-Milch. In Österreich kann man hingegen beim Discounter zusätzlich auch echte Weidemilch kaufen, und dafür sind die Verbraucher bereit, mehr Geld auszugeben. Anstatt immer nur wachsen zu müssen, um überleben zu können, können die Bauern so auch mit ihrer guten Milch von weniger Kühen auskommen. Oder wir machen mehr Direktvermarktung - ich kaufe mein Schweinefleisch zum Beispiel direkt bei einem Bauern.

SZ: Ist das Agrarromantik?

Sonnleitner: Das ist ein Teil des Marktes. Ich kann aber nicht von jedem Bauern verlangen, der irgendwo auf dem Land sitzt, dass er seine Milch direkt an die Verbraucher vermarkten soll. Der muss eine andere Chance des Überlebens haben - und die kann bedeuten, 60 statt 20 Kühe zu haben.

SZ: Was zahlen Sie bei Ihrem Bauern denn für das Schwein, Herr Ribbe?

Ribbe: Ich kaufe es bei einem Bauern, der seine Tiere nach einem Programm hält, das besonders artgerecht ist. Ich zahle ihm etwa 2,50 Euro pro Kilo. Verarbeitet wird es beim Metzger, insgesamt kostet es durchschnittlich fünf Euro pro Kilo.

SZ: Und was kostet ein Schwein aus herkömmlicher Landwirtschaft?

Sonnleitner: In der Regel 40 Prozent weniger. Derzeit erhalten die Bauern aber als Folge der Dioxinkrise nur 1,12 Euro.

SZ: Wäre es da nicht im Interesse der Landwirte, wie der Bauer von Herrn Ribbe auf Spezialprogramme oder gleich auf Ökolandbau umzusteigen?

Sonnleitner: Nur ein Prozent der verkauften Schweine in Deutschland sind aus Bio-Haltung. Der Markt fragt es nicht stärker nach. Wenn alle, die für Bio sind, auch Bio kaufen würden, und wenn alle, die Mitglied bei Umweltorganisationen sind, so leben würden, wie sie reden, dann hätte die Öko-Landwirtschaft schon einen Marktanteil von 50 Prozent. Auch ich möchte eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft, aber ich glaube nicht, dass die Öko-Landwirtschaft alleine die Menschen ernähren könnte.

SZ: Müssten die Deutschen also hungern, wenn alle Bauern ökologisch produzieren würden?

Sonnleitner: Das nicht. Aber in Notfällen, wie etwa Ernteausfällen, könnte es passieren, dass das Essen knapp wird. Dann müsste uns das Ausland versorgen. Ich möchte daher die Versorgungssicherheit mit der konventionellen Landwirtschaft erhalten.

Ribbe: Und im derzeitigen System könnten wir uns ohne die ständigen Futtermittelimporte aus dem Ausland überhaupt nicht ernähren. Da kommen wir an die Grenzen der industrialisierten Landwirtschaft.

SZ: Kann es sein, dass Herr Ribbe der Visionär ist, während Sie, Herr Sonnleitner, der Funktionär sind - weil Sie überlegen müssen, wie die Visionen in der Praxis funktionieren können?

Sonnleitner: Funktionär klingt so negativ. Ich würde es so sagen: Es gibt diejenigen, die glorreich von Visionen schwärmen, und diejenigen, die sie mühsam in der Realität Zug um Zug umsetzen.

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Quelle:
SZ vom 20.01.2011/olkl/mel
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