Süddeutsche Zeitung

Agrarpolitik:Aufbruch auf dem Land

In normalen Jahren würde jetzt die Grüne Woche starten, das Festival der Landwirtschaft. Doch die Messe fällt wieder aus - in einem Jahr, in dem sich so viel Wandel ankündigt wie nie.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Was es alles nicht gibt in den nächsten Tagen: Berliner, die sich an Essensständen vorbeischieben. Messehallen mit Kuhställen und Pferdeboxen, lange Treckerkonvois und Demonstranten mit Trillerpfeifen. Zum zweiten Mal in Folge fällt die Grüne Woche, eine der größten Agrarschauen weltweit, der Pandemie zum Opfer - und das ausgerechnet in den ersten Wochen einer neuen Bundesregierung. Was es trotzdem gibt: Jede Menge Aufbruch, viele ungelöste Baustellen - und endlos Sprengstoff. Ein Überblick.

Weniger Tiere in Ställen, Ausgleich für Bauern

Allein 23 Millionen Schweine leben in diesem Land, dazu elf Millionen Rinder. Die Bedingungen in den Ställen entsprechen zwar europäischen Vorgaben, nicht aber dem, was sich viele Verbraucher unter artgerechter Haltung vorstellen. In ihrem Koalitionsvertrag stellten SPD, Grüne und FDP den Tierschutz gleich an den Anfang des Agrarkapitels, und weit vorne steht er nun auch für den neuen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Noch in diesem Jahr will er eine verbindliche Kennzeichnung von Fleischprodukten einführen. Sie soll Aufschluss darüber geben, wie es dem Vieh ergeht, wie viel Auslauf es bekommt und wie viel Platz im Stall. "Wenn es dann mehr Luft gibt im Stall, weniger Tiere", sagt Özdemir, "dann muss es auch kompensiert werden."

Einen Vorschlag dazu hatte schon in der vorigen Legislaturperiode eine Kommission unter Vorsitz des einstigen Agrarministers Jochen Borchert (CDU) erarbeitet. Landwirte sollten hier verbindlich Mittel für den Umbau ihrer Ställe erhalten, die Kommission veranschlagte sie auf bis zu 3,6 Milliarden Euro jährlich. Aufbringen sollten das entweder die Verbraucher, über eine Fleischabgabe, oder der Steuerzahler. So könnte die Mehrwertsteuer für Fleischprodukte von sieben auf 19 Prozent erhöht werden - wenn die Koalition sich darauf verständigen kann. Damit nicht genug, steht doch häufig das Baurecht gegen den Umbau der Ställe, es müsste entsprechend geändert werden. Und viel Zeit bleibt auch nicht: Vielen Betrieben steht das Wasser bis zum Hals, seit die Schweinepest die Exportmärkte hat zusammenbrechen lassen. Umweltschützer verlangen schon seit Langem, dass die Zahl der Nutztiere sinkt.

Das Höfesterben soll gestoppt werden

Insgesamt geht es der Landwirtschaft nicht gut. "Bäuerinnen und Bauern bekommen miserable, existenzbedrohende Preise", sagt Elisabeth Fresen, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. "Wir sind mitten im Höfesterben." Binnen zehn Jahren hatte sich die Zahl der Betriebe zuletzt um mehr als 36 000 verringert. Die bewirtschaftete Fläche aber blieb gleich - die verbliebenen Betriebe wurden also immer größer. "Wachse oder weiche, das will ich ändern", sagt Özdemir. Das System des "Immer höher, schneller, weiter" sei an eine Grenze gekommen.

Leicht allerdings wird auch das nicht. Viele Betriebe finden keinen Nachfolger für ihren Hof, andere entscheiden sich, ihre Flächen zu verpachten. Wo aber junge Menschen Betriebe neu gründen wollen, fehlt ihnen meist die nötige Fläche. Boden ist teuer, zumal auch Investoren scharf darauf sind, die eigentlich mit Landwirtschaft nichts zu tun haben. Das treibt die Preise weiter.

Umstrittene Verteilung von EU-Agrarhilfen

Nach welchen Kriterien Europas Agrarbeihilfen verteilt werden, entscheidet überall in der EU auch über das Landschaftsbild. Für die Höhe der Beihilfen war lange Zeit vor allem eines ausschlaggebend: wie viel Fläche ein Betrieb bewirtschaftet. Das trieb nicht nur die Bodenpreise, sondern auch die Intensivierung der Landwirtschaft voran - mit dem Ergebnis, dass nicht nur die Umwelt, sondern auch der Ruf der Landwirte litt. Der Graben zwischen Landwirtschaft und dem Rest der Gesellschaft vertiefte sich.

Die alte Bundesregierung setzte deshalb eine "Zukunftskommission Landwirtschaft" ein, mit Vertretern aus Landwirtschaft und Handel, Verbraucherschutz und Umweltverbänden. Sie verständigten sich auf eine gemeinsame Marschroute: Danach sollen Landwirte für Leistungen, die sie für die Umwelt und letztlich die ganze Gesellschaft erbringen, auch vergütet werden. Umsetzen muss auch das Özdemir. Etwas mehr Spielräume verschafft ihm dabei die Neufassung der europäischen Agrarpolitik. Danach können die Staaten in "Strategieplänen" mehr Geld für Umweltleistungen verteilen. Doch den ersten dieser Pläne, für 2023, hat noch die alte Bundesregierung erstellt. Derzeit läuft noch der Feinschliff, ehe der Plan zur Genehmigung nach Brüssel geht. Manche Umweltschützer hoffen, dass er von dort zurückkommt - mit Bitte um Nachbesserung.

Weniger Gülle auf dem Acker

So lief es auch mit den deutschen Regeln zum Schutz des Grundwassers. Seit drei Jahrzehnten gilt in der EU eine Nitrat-Richtlinie, der Bundesregierung war das lange egal. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs erzwang schließlich eine neue Düngeverordnung, mit der unter anderem der Eintrag von Gülle in den Boden begrenzt werden sollte - jedenfalls in sogenannten roten Gebieten. Doch diese Gebiete wurden so weit eingegrenzt, dass von den knapp fünf Millionen Hektar nitratbelasteten Böden nur auf zwei Millionen Hektar besonders strenge Düngeregeln gelten.

Damit ist Brüssel nicht einverstanden, es drohen Strafzahlungen von mehr als 800 000 Euro - täglich. Fieberhaft suchen Bund und Länder nach einer Lösung. Nach Lage der Dinge dürfte die für viele Landwirte Einschränkungen bedeuten, und nicht alle sind gewillt, das hinzunehmen. Als vor zwei Jahren Bauern die Straßen Berlins belagerten, war die Düngeverordnung einer der Gründe.

Gegen die Macht des Handels

Die jüngsten Bauernproteste allerdings richteten sich nicht mehr gegen die Politik, sondern gegen die Marktmacht des Einzelhandels. "Die Supermärkte haben im vorigen Jahr Rekordumsätze gemacht", sagt Marita Wiggerthale, Agrarexpertin bei Oxfam. "Aber gleichzeitig treiben sie mit ihrem Preisdruck die Höfe in den Ruin." Im vorigen Jahr hatten Landwirte deshalb vor großen Discountern demonstriert. Doch ein "Agrardialog", in dem beide Seiten ins Gespräch kommen sollten, platzte: Der Handel zog sich zurück. Er setzt auf freiwillige Lösungen, indem er etwa vermehrt regionale Produkte anbietet. Doch hinter den Kulissen wird die Forderung lauter, die großen Handelsketten notfalls zu entflechten. "Wir können nicht so tun, als wäre das sakrosankt", sagt Olaf Bandt, Chef des Umweltverbands BUND.

"Der Klimawandel trifft uns ins Mark"

Gleichzeitig kämpft die Landwirtschaft wie keine andere Branche mit der Erderhitzung: Sei es durch Trockenheit oder, wie im vorigen Sommer, durch Fluten. "Der Klimawandel trifft uns ins Mark", sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied. "Wir sind aber auch Teil der Lösung." 66 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen gingen 2020 auf das Konto der Landwirtschaft, das sind neun Prozent aller Emissionen. Teils kommen sie aus der Tierproduktion, teils aber auch aus trockengelegten Moorböden. Schätzungen gehen davon aus, dass allein durch Moore im Jahr 53 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt werden. Die neue Bundesregierung will deshalb massiv in deren Schutz investieren. Trivial ist das aber nicht. Denn wenn ein Landwirt seine Flächen wieder nass werden lässt, dann hat das auch Folgen für seine Nachbarn. Auch da steckt einiges an Konfliktpotenzial.

Allianzen als Antwort

Immerhin tun sich aber nun ganz neue Partnerschaften auf. Der Bauernverband sucht die Nähe zum Naturschutzring, und das Umwelt- und das Landwirtschaftsministerium, die sich zuletzt nach Kräften gegenseitig blockierten, haben nun eine "strategische Allianz" besiegelt. Obendrein ist Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) Agraringenieurin. "Wir haben jetzt eine Umweltministerin mit Ahnung von Landwirtschaft und einen Landwirtschaftsminister ohne Stallgeruch, aber mit Pragmatismus", sagt Martin Hofstetter, Agrarexperte bei Greenpeace. "In der Konstellation steckt Musik."

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