Wenn Fachleute ihre Einschätzung zum Erreichen der Klimaziele abgeben, dann greifen sie fast immer zu einer trockenen Vokabel – es bestehe „Handlungsbedarf“, heißt es dann, und er wird von Jahr zu Jahr dringlicher. Handeln soll allen voran die Bundesregierung, die den Druck freilich mit einem weichgespülten Klimaschutzgesetz gerade erst verringert hat. Seltener ist von jenen die Rede, die für den größten Teil des CO₂-Ausstoßes Verantwortung tragen, den Wirtschaftsunternehmen. Deshalb ist es lobenswert, dass der 74. Deutsche Juristentag sich in dieser Woche in Stuttgart der Frage zugewandt hat, an welchen Stellschrauben man drehen könnte, um die Betriebe auf den Weg zur Klimaneutralität zu schicken. Denn die größten Klimasünder sind nun mal die Großbetriebe: 71 Prozent der Treibhausgase, die zwischen 1988 und 2015 ausgestoßen wurden, sind lediglich 100 Unternehmen zuzurechnen.
Wie also bringt man Unternehmen dazu, an der großen gesellschaftlichen Transformation mitzuwirken? Die bisher existierenden Regeln setzen auf den eher sanften Druck. Am Finanzmarkt gibt es Pflichten zur Information über die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten, außerdem ein Klassifikationssystem zur Einstufung von wirtschaftlicher Tätigkeit als klimafreundlich. Seit diesem Jahr gilt für etwa 15 000 Unternehmen in der EU eine detaillierte Berichtspflicht zum Thema Nachhaltigkeit. Zudem müssen Betriebe Nachhaltigkeitspläne aufstellen. Und auch bei der Vorstandsvergütung halten allmählich Klimaschutzaspekte Einzug, ebenso in die Anforderungen an die Unternehmensleitung.
Die Unternehmen sind also bereits von gewissen Klimaregeln umgeben, die oft auf Transparenz und Sichtbarkeit zielen – in der Hoffnung, die wachsende gesellschaftliche Bedeutung des Klimaschutzes werde die Unternehmen schon in Richtung Klimaneutralität manövrieren. Harte Pflichten sind das freilich nicht.
Flexibel mit verbindlichem Ziel
Auch der Hauptgutachter des Juristentags, der Heidelberger Rechtsprofessor Marc-Philippe Weller, hat nicht die Revolution ausgerufen. Für Revolutionen ist der ein wenig in die Jahre gekommene Großkongress ohnehin nicht bekannt. Aber Weller möchte die Dosis an Verbindlichkeit beim unternehmerischen Klimaschutz erhöhen – unter anderem mit einer Klimaquote.
Die Idee ist: Große Unternehmen (in Deutschland wären 2300 davon erfasst) sollen Jahr für Jahr einen Plan mit einer Zielgröße zur Verringerung ihrer Treibhausgasemissionen vorlegen. Wie hoch oder niedrig diese Quote ausfällt, ist erst einmal ihre Sache. Hier orientiert sich das Modell an der von den Betrieben festzulegenden Frauenquote für Führungspositionen. Allerdings müsse die Quote auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 ausgerichtet sein – und nicht nur auf ein weniger präzises Nachhaltigkeitsziel. Weller verspricht sich von diesem Konzept eine gewisse Flexibilität für die Unternehmen, weil die Quote nicht starr wäre, sondern je nach Geschäftsmodell individuell festgelegt werden könnte. Nur das Ziel wäre festgelegt. Die Zwischenschritte könnten den Bedürfnissen des Betriebs angepasst werden.
Auch dieser Vorschlag setzt mithin nicht auf eine gerichtlich durchsetzbare Verbindlichkeit der Quote, er vertraut vielmehr auf den gesellschaftlichen Druck. „Der Befolgungsanreiz der Zielgrößenidee liegt allein in Transparenz und Reputation und einer negativen Öffentlichkeitswirkung in den Fällen einer unambitionierten Festlegung der Zielgröße“, heißt es in seinem Gutachten. Heißt: Die Hoffnung, dass die Wirtschaftsbetriebe sich selbst effektive Klimaquoten verordnen, hängt am öffentlichen Druck, mithin am gesellschaftlichen Ehrgeiz in Sachen Klimaschutz. Zuletzt hat dieser Ehrgeiz freilich eher abgenommen. Und das Vorbild Frauenquote war bisher ebenfalls nicht sonderlich erfolgreich.
Für Revolutionen nicht gemacht
Zu welchen Vorschlägen sich die Juristentagsabteilung durchringt, darüber wird erst am Ende der Tagung abgestimmt. Die ersten Reaktionen klangen indes eher skeptisch. Die neuen europäischen Regeln sähen doch bereits umfassende Angaben zur Nachhaltigkeit vor, wozu dann noch eine Quote, merkte Friederike Rotsch von der Deutschen Bank an, die als Referentin geladen war. Skepsis war auch aus dem Publikum zu hören – Bürokratie, Symbolik, weiße Salbe für die Politik, so lauteten die Einwände. Neue Regeln für Unternehmen neben den ohnehin geltenden Gesetzen seien unnötig.
Wie gesagt: Für Revolutionen ist der Juristentag nicht gemacht. Dann meldete sich aber eine junge Juristin zu Wort, Jahrgang 2001, wie sie offenbarte. Ihr habe in vielen Beiträgen eine gewisse Leidenschaft gefehlt, sagte sie. Sie hielt die Idee mit der Quote für gut: „Die Dringlichkeit des Klimawandels erfordert, dass wir alle Stellschrauben nutzen, die wir haben.“