Großbritannien:Zerstörte Hoffnungen

In nur zwei Minuten verliert das Pfund gut sechs Prozent an Wert: Wie es zu diesem "Flash Crash" kam, ist unklar. Aber er spiegelt die Sorgen der Unternehmer und Investoren wider.

Von Björn Finke, London

Als der Absturz beginnt, ist es 7.07 Uhr an der Singapurer Börse, dem wichtigsten Devisenmarkt Asiens. In Deutschland ist es kurz nach ein Uhr morgens. Asiens Börsen haben den Handel gerade eröffnet, da verliert das Pfund rasant an Wert. Innerhalb von zwei Minuten sinkt der Kurs von 1,26 Dollar auf 1,18 Dollar - ein Minus von mehr als sechs Prozent. Danach erholt sich die Notierung schnell wieder, kann aber die Verluste von Freitagmorgen nicht komplett wettmachen.

Händler sprechen von einem "Flash Crash", einem Blitz-Absturz, wenn Kurse derartig steil fallen. Der berüchtigtste Flash Crash erschütterte am 6. Mai 2010 die Märkte. Damals verloren US-Aktien binnen Minuten fast zehn Prozent an Wert. Auslöser soll die manipulierte Handelssoftware eines betrügerischen Spekulanten aus London gewesen sein.

Nach dem Pfund-Crash von Freitag kursieren mehrere Theorien über die Ursache. Vielleicht beging ein Händler einen folgenschweren Fehler, vielleicht waren automatische Handelsprogramme Schuld.

Doch egal, woran es am Ende lag: Der Vorfall zeigt, wie nervös die Finanzmarkt-Profis sind, wenn es um das Pfund geht.

Der Kurs sinkt schon seit Montag kräftig: eine Reaktion auf die Rede von Premierministerin Theresa May am Wochenende. Da hatte die Konservative angekündigt, bereits bis März 2017 die Verhandlungen über den EU-Austritt zu beginnen. Und May scheint einen harten Brexit anzustreben; sie nimmt offenbar in Kauf, dass Großbritannien in Zukunft nicht am gemeinsamen Binnenmarkt der EU teilnehmen wird. Für britische Firmen und Banken würden Geschäfte über den Ärmelkanal dann schwieriger. Das schreckt Investoren ab, darum fällt die Notierung.

Britain Reacts To The EU Referendum Result

"Keep calm and carry on": Der Aufruf zum Ruhigbleiben und Weitermachen ist bei Touristen beliebt. Doch Investoren sind gerade gar nicht entspannt.

(Foto: Dan Kitwood/Getty)

Innenministerin Amber Rudd legte kurz darauf nach und drohte auf dem Parteitag der Konservativen, sie werde es Firmen erschweren, Visa für Fachkräfte aus dem Ausland zu erhalten. Auch das verunsichert Manager und Investoren.

Bereits bis Dienstag fiel der Pfundkurs deshalb so tief wie seit 31 Jahren nicht mehr. Stephanie Flanders, Chefstrategin für Europa bei JP Morgan Asset Management, hält den Absturz für das Ergebnis geplatzter Illusionen: "Einige Investoren glaubten, dass der Brexit erst spät kommt oder gar nicht oder dass er für britische Unternehmen keinen großen Unterschied machen wird", sagte sie. "Diese Hoffnungen hatten den Kurs gestützt."

May und Rudd zerstörten diese Hoffnungen äußerst effektiv.

In der Nacht nach dem EU-Referendum im Juni war der Kurs schon einmal rasant gefallen, sogar um elf Prozent. Der britischen Industrie nutzt die Schwäche der Devise, denn sie verbilligt ihre Waren im Ausland. Der große Brexit-Schock, den manche Volkswirte vorhergesagt haben, bleibt bislang aus. Die Arbeitslosenquote steigt nicht, die Wirtschaft soll in diesem Jahr in Großbritannien schneller wachsen als in Deutschland oder Frankreich. Doch für 2017 prophezeien Ökonomen eine Abkühlung der Konjunktur: Die Unsicherheit über die künftigen Handelsbeziehungen mit Europa werde die Wirtschaft belasten.

Auslöser des Flash Crash am Freitag könnte ein "Fat Finger"-Fehler gewesen sein. Das ist Börsenjargon dafür, dass jemand auf seinem Handelsterminal eine falsche Zahl eintippt und dadurch vielleicht eine viel zu große Verkaufsorder für das Pfund abgibt. So etwas passiert: Vor zwei Jahren platzierte ein Händler aus Versehen eine Order für japanische Aktien im Wert von 617 Milliarden Dollar. Die Ausführung wurde rechtzeitig gestoppt. Im gleichen Jahr kaufte ein Londoner Investor 2,5 Millionen Aktien der britischen Bank HSBC und trieb so deren Kurs hoch. Eigentlich wollte er aber nicht 2,5 Millionen Papiere erwerben, sondern bloß Aktien im Wert von 2,5 Millionen Dollar.

Großbritannien: SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

Allerdings hat bislang kein Handelshaus einen Fehler beim Pfund zugegeben. Eine andere Theorie besagt, dass automatische Handelsprogramme den Absturz auslösten. Die Financial Times veröffentlichte zum Zeitpunkt des Crash auf ihrer Webseite einen Artikel darüber, dass sich der französische Präsident François Hollande bei Brexit-Verhandlungen hart zeigen will. Manche Handelsprogramme verfolgen, welche Nachrichten gerade publiziert werden, und reagieren selbständig mit Kauf- oder Verkaufsordern.

Während des Crash war an den Finanzmärkten weltweit kaum etwas los. In New York war es Feierabend, in Europa tiefste Nacht, und in Asien sehr früh am Morgen. Daher wurden nur wenige Pfund gehandelt, es gab nur wenige mögliche Käufer. Ein größerer Verkaufsauftrag kann den Kurs daher stark beeinflussen. Sinkt die Notierung erst einmal, löst das weitere Verkäufe aus. Viele Investoren richten Stop-Loss-Order ein: Sie lassen automatisch ihre Wertpapiere losschlagen, sobald ein bestimmter Kurs unterschritten ist. Das soll Verluste begrenzen.

Jetzt könnte es zu einem heftigen Verlust beigetragen haben.

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