Großbritannien und die EU:Brexit? Dann geht doch!

EU und Großbritannien

EU und Großbritannien: Aufnahme einer Englischen Bulldogge mit britischer Flagge (Archiv)

(Foto: dpa)

In Großbritannien tobt die Debatte über das Für und Wider der Mitgliedschaft in der EU. Doch mit einem Brexit würden sich die Briten selbst am meisten schaden.

Essay von Björn Finke

Die EU ist schuld. Wie kann es anders sein. Die britische Stahlindustrie steckt in der Krise, Tausende Jobs sind bedroht. Doch die Regierung kann der Branche nicht einfach Subventionen gewähren oder billigen chinesischen Stahl mit Zöllen verteuern. Solche Rettungsaktionen müsste London mit Brüssel absprechen. Für Nigel Farage, den Chef der EU-feindlichen Partei Ukip, ist das ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr die Mitgliedschaft in der Union dem Land schade: "Es ist zum Verzweifeln traurig, dass wir als Mitglied der EU keine Kontrolle über unsere Industrie mehr haben", sagt er.

Im Vereinigten Königreich ist die Debatte über das Für und Wider eines Austritts aus der EU voll entbrannt. Jedes Ereignis, jede Krise, jede Erfolgsmeldung einer Branche nehmen das Pro- und das Kontra-Lager freudig zum Anlass, auf die vermeintlichen Vor- oder Nachteile der Mitgliedschaft hinzuweisen. Wirtschaftliche Argumente spielen in den Kampagnen eine große Rolle: EU-Gegner wie Farage behaupten, der Insel würde es außerhalb der EU besser gehen; EU-Befürworter warnen vor den Gefahren eines Austritts für die heimischen Firmen.

Die Kritik an der Regelungswut der EU ist teilweise berechtigt

Es ist eine Schicksalsfrage nicht nur für das Vereinigte Königreich, sondern für ganz Europa. Stimmen die Briten im Referendum am 23. Juni - in elf Wochen - für den sogenannten Brexit, würde das die EU erschüttern. Die meisten Umfragen sehen die Europa-Freunde vorne, aber nur knapp. Ein Austritt würde populistische Parteien in Staaten wie Frankreich oder in den Niederlanden ermutigen, ebenfalls für ein Referendum zu trommeln. Die Zukunft der Union in ihrer bisherigen Form stünde auf dem Spiel, und das in turbulenten Zeiten. Die Krisen in Griechenland und der Ukraine und der stete Strom an Flüchtlingen stellen die Union ohnehin schon vor eine Zerreißprobe.

Doch der größte Verlierer eines Austritts wäre Großbritannien selbst. Genau wie die anderen EU-Staaten kann das Königreich kein Interesse an Chaos und Lähmung in Europa haben. London würde zudem politisch deutlich an Einfluss verlieren. Darüber hinaus hätte ein Brexit schwerwiegende Folgen für die britische Wirtschaft - und anders als die EU-Gegner in ihrer Kampagne ausdauernd behaupten, wären diese Folgen negativ, nicht positiv. Das Land würde mit einem Austritt keines seiner Probleme lösen, aber es würde den heimischen Unternehmen Jahre voller Unsicherheit bescheren.

Für deutsche Firmen - und Arbeitsplätze - brächte ein Goodbye der Briten hingegen keine Nachteile. Zwar warnen hiesige Wirtschaftsverbände wie BDI, BDA und DIHK vor einem Austritt. Das ist verständlich, denn auch deutschen Managern graut es davor, nach einem Sieg der Brexit-Fans im Referendum zunächst nicht zu wissen, unter welchen Bedingungen Handel und Investitionen in Großbritannien zukünftig möglich sind. Doch ist das erst einmal geklärt, wird gedeihlichen Geschäften mit den Briten nichts im Wege stehen. Dass London oder Brüssel nach einem Brexit Handelsbarrieren errichten würden, ist extrem unwahrscheinlich.

Deutschland muss den Austritt seines drittgrößten Handelspartners also zumindest wirtschaftlich nicht fürchten - politisch wäre er ein Debakel. Für die Briten hingegen wäre die Trennung politisch wie wirtschaftlich schädlich. Und für Premierminister David Cameron würde sie das Aus bedeuten; der Konservative, der anders als mancher seiner Minister für den Verbleib wirbt, müsste wohl abtreten.

Die Brexit-Vorkämpfer in Großbritannien weisen indes brüsk zurück, dass ein Austritt den Unternehmen schaden könnte. Im Gegenteil argumentieren sie, dass die Mitgliedschaft in der kriselnden Union das Land wirtschaftlich hemme. Die Vorwürfe sind wohlbekannt und auch in Deutschland oft zu hören: In Brüssel herrsche Regulierungswut, heißt es; die Firmen erstickten in Bürokratie, die ihnen weltfremde und demokratisch nicht legitimierte Kommissions-Beamte aufhalsten.

Samstagsessay

Illustration: Sead Mujic

Die Kritik ist in Teilen berechtigt. Zwar nutzen viele der verschmähten Regeln den Unternehmen. So können Betriebe ihre Produkte problemlos in den 28 Mitgliedsstaaten verkaufen, ohne in jedem Land aufwendig eine Zulassung beantragen zu müssen. Das funktioniert nur, weil EU-Gesetze einen gemeinsamen Markt geschaffen haben. Doch geht der Regelungseifer tatsächlich manchmal zu weit. Die EU verstößt gerne gegen das Prinzip der Subsidiarität, also die Idee, dass möglichst viel möglichst nah dran beim Bürger bestimmt werden sollte - von Kommunen, Regionen und Staaten und nicht von Brüssel.

Dennoch ist die Vorstellung der Brexit-Fans absurd, Verordnungen der EU lähmten Großbritannien. Trotz der Brüsseler Papierflut hat das Königreich eine der am wenigsten regulierten Volkswirtschaften der Welt. Das zeigen Untersuchungen der Organisation OECD. Diese Studien belegen auch große Unterschiede innerhalb der Europäischen Union - von schlimmer Gleichmacherei kann keine Rede sein.

Daneben behaupten die Scheidungs-Freunde, außerhalb der EU könne Großbritannien schneller und besser Freihandelsabkommen mit Schwellenländern wie China oder auch mit den Vereinigten Staaten vereinbaren. Schließlich säßen dann nicht mehr die Protektionisten aus Frankreich mit am Tisch. Nun stimmt es, dass sich die Gespräche der EU mit den USA nervenaufreibend lange hinziehen. Doch der Gedanke, Großbritannien mit 65 Millionen Bürgern könne allein attraktivere Verträge aushandeln als die EU mit 500 Millionen Einwohnern, ist schon tollkühn. Für die Regierung in Peking ist die Europäische Union der deutlich interessantere Markt. Nach einem Austritt müssten die Briten zudem sämtliche Freihandelsabkommen der EU neu abschließen. Viel Spaß dabei.

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