Großbritannien:Cash is King

Lesezeit: 2 Min.

Bargeld unerwünscht: Selbstbedienungskasse in einem Londoner Vorort (Foto: Imago/Depositphotos)

Die ersten britischen Supermärkte wollen kein Bargeld mehr annehmen. Gänzlich Aussterben werden Münzen und Banknoten auf der traditionsbewussten Insel aber nicht. Der König wird’s schon richten.

Von Martin Wittmann, London

Es ist einfach kein Geld da. Im Bus, im Café, im Restaurant, nichts, es ist verschwunden. Zumindest in London verleben die meisten Menschen ihren Alltag gänzlich ohne Bargeld, sie zahlen mit Karte oder noch öfter mit ihrem Handy. Einen Geldschein zu sehen, hat hier fast etwas Aufregendes, er wirkt wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.

So wird es den vielen Briten womöglich gar nicht auffallen, dass künftig an einigen Kassen eine Barzahlung unmöglich wird. Die Supermarktkette Tesco hat angekündigt, zunächst 40 von ihr geführte Cafés auf cashless umzustellen. Die Konkurrenten von Asda haben für 270 ihrer Tankstellen ähnliche Pläne vorgestellt, mit der Begründung, dass dort schon heute mehr als 90 Prozent der Einkäufe mit Karte oder dem Handy gezahlt werden. In anderen Märkten wird bereits an den meisten Selbstbedienungskassen kein Bargeld mehr akzeptiert. Nebenbei schließen Banken im Vereinigten Königreich zunehmend ihre Automaten und Filialen.

Der schleichende Niedergang des Bargelds in Zahlen: Gaben die Briten und Nordiren im Jahr 2016 noch 15,4 Milliarden Pfund in bar aus, waren es 2021 nur noch sechs Milliarden. Die Anzahl der Menschen, die in erster Linie Bargeld nutzen, sank in dem Zeitraum von 2,7 Millionen auf 1,1 Millionen. Spätestens die Pandemie hat das kontaktlose Zahlen in den Pubs populär gemacht.

Je jünger und urbaner die Kunden heute sind, desto unwahrscheinlicher ist, dass sie mit Geldscheinen zahlen. Irgendwann wird man den folgenden Generationen erst erklären müssen, warum die britische Band KLF mit ihrem brennenden Papierberg einst für Entsetzen gesorgt hatte: Das Duo zündete 1994 auf einer schottischen Insel einen Haufen Banknoten an, eine Million Pfund ging damals in Flammen auf (und ja, die Musiker bereuten ihr Kunstprojekt später).

Die Nachrufe auf die Pfundnoten könnten also schön langsam vorbereitet werden – würde ihr Aussterben nicht kurzfristig zumindest ein wenig gebremst: Vergangenes Jahr zahlten auf einmal wieder mehr, nämlich 1,5 Millionen Menschen am liebsten mit Scheinen und Münzen. Das liege vor allem an der aktuellen wirtschaftlichen Misere der Briten, mutmaßt der Finanz- und Bankenverband UK Finance. Wenn man auf das Geld schauen müsse, sei Cash die übersichtlichere Zahlart.

Zumindest Sammler reden von Bargeld

Doch selbst wenn es den Briten unter der neuen Regierung wirtschaftlich besser gehen sollte, und selbst wenn die Gesamtsumme der Barzahlungen im Königreich bis zum Jahr 2032 auf 3,3 Milliarden Pfund sinkt, wie UK Finance prognostiziert – solange sich britische Monarchen persönlich um das Aussehen der Münzen kümmern, wird das Bargeld auf der Insel überleben. Das Design der neuen Ein-Pfund-Münze, von der seit August drei Millionen Stück im Umlauf sind, wurde nämlich explizit auf Wunsch von Charles III. geändert. Der König monierte, ein eingraviertes „C“ habe wie ein umgedrehtes Hufeisen und damit „etwas unglücklich“ ausgesehen, berichtete die Sunday Times.

Auf den neuen Münzen sind neben dem Profil des Königs einheimische, vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen zu sehen. Die Sammler sind entzückt von der Ausgabe. Und der konservative Express prophezeite: „In Hunderten von Jahren, wenn unsere neuen Münzen in der Erde gefunden werden, werden sie den zukünftigen Generationen zeigen, dass wir Vertrauen in unsere eigene Währung und die darin zum Ausdruck kommenden Ideen hatten.“

Relikte aus einer anderen Zeit sind vielen Briten bekanntlich nicht unlieb. Beim Bargeld zeigt sich ihr Traditionsbewusstsein übrigens nicht nur in seinem Gebrauch, sondern auch im Pochen auf das vermeintliche Recht darauf. Die Zentralbank des Vereinigten Königreichs, die Bank of England, sieht sich gezwungen, auf ihrer Homepage zu warnen: Die meisten Leute würden fälschlicherweise denken, die Shops hätten Scheine und Münzen anzunehmen. Tatsächlich könnten die Ladenbesitzer frei wählen, welche Bezahlart sie akzeptierten. „Wenn Sie ein Päckchen Kaugummi mit einer 50-Pfund-Note bezahlen möchten“, heißt es da, „ist es absolut legal, wenn Ihnen eine Abfuhr erteilt wird.“

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivSanierungsprogramm „S3“
:Bahn an Politik: Wir haben einen Plan

Verkehrsminister Wissing erwartet, dass die Deutsche Bahn binnen drei Jahren profitabel wird. Nun hat ihr Chef ein Papier mit Plänen für die Sanierung verschickt. Es enthält viele Versprechen – und viele Fragezeichen.

Von Vivien Timmler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: