Süddeutsche Zeitung

Steuerpläne:Wie die britische Regierung Chaos am Finanzmarkt auslöste

Lesezeit: 3 Min.

Der Schatzkanzler will die Steuern senken, der Finanzmarkt reagiert verunsichert, und die Kurse des Pfund und von Staatsanleihen sinken deutlich. Die Notenbank muss eingreifen.

Von Herbert Fromme und Nils Wischmeyer

Boris Johnson galt vielen als der Unruhestifter in der Downing Street Nummer 10. Kaum ein Monat verging während seiner Amtszeit ohne zumindest einen kleinen Aufschrei aus dem gegnerischen oder eigenen Lager. Doch die Hoffnung an den Finanzmärkten, dass sein Abgang zumindest ein wenig Ruhe in die britische Politik bringen würde, hat sich nicht erfüllt.

Am 23. September veröffentlichte Schatzkanzler Kwasi Kwarteng ein "Mini-Budget", also einen Nachtragshaushalt - und stürzte das Land in einen der größten Finanztumulte der vergangenen Jahre. Innerhalb weniger Tage sackte das sowieso schon angeschlagene britische Pfund ab, taumelten Pensionsfonds in Großbritannien - und die Notenbank musste mit einem Noteingriff das Schlimmste verhindern. Und all das nur wegen ein paar Steuerplänen. Was war passiert?

Großbritanniens neue Premierministerin Liz Truss hatte im erbitterten Kampf um die Spitze der Tory-Partei und damit den Posten der Regierungschefin direkte und starke Steuersenkungen versprochen. Nur so könne die wachstumsschwache britische Volkswirtschaft angekurbelt werden, hieß es. Mit seinem "Mini-Budget" senkte ihr Schatzkanzler nun die Steuern um satte 45 Milliarden Pfund (51 Milliarden Euro). Profitieren sollten unter anderem die Besserverdienenden, was zu hitzigen Diskussionen führte. Die Finanzmärkte allerdings machte eine andere Begebenheit kirre, und die trieb die Tumulte an: Es war überhaupt nicht klar, wie die britische Regierung das Steuerpaket finanzieren wollte - wenn nicht über Schulden.

Die Märkte reagierten verunsichert auf die Steuerpläne

Anders als von Schatzkanzler Kwarteng und Premierministerin Truss erwartet, reagierten die Finanzmärkte auf die Steuerpläne keinesfalls positiv. In kürzester Zeit kam es zu einem Ausverkauf des britischen Pfund, dessen Kurs gegenüber dem US-Dollar und dem Euro stark verlor. Am Dienstag vergangener Woche kostete ein britisches Pfund nur noch 1,11 Euro und erreichte damit ein Rekordtief. Ein ähnlicher Knick ließ sich bei den Staatsanleihen beobachten, deren Zinsen stark anstiegen. Das macht eine Neuverschuldung Großbritanniens schwieriger, hat aber noch viel weitreichendere Folgen und zwar bis hin zur nationalen Altersvorsorge.

Denn britische Pensionsfonds sind in großem Stil in britische Staatsanleihen, sogenannte Gilts, investiert, und sie haben diese Investments teilweise als Sicherheit für andere Finanzgeschäfte genutzt. Der plötzliche Zinsanstieg um über einen Prozentpunkt binnen zweier Tage und der Einbruch der Nachfrage nach Gilts stellten sie vor große Probleme, weil die Anleihen mit ihren alten, niedrigen Zinssätzen plötzlich weniger wert waren. Die Pensionsfonds mussten für ihre Geschäfte also zusätzliche Sicherheiten zur Verfügung stellen, die die aber kaum hatten. Mangels Käufern könnten sie auch keine Gilts verkaufen. Die Bank of England befürchtete in der Folge eine Implosion des Gilt-Markts und damit den Kollaps zahlreicher Pensionsfonds - und griff ein. Für 65 Milliarden Pfund kauft sie Gilts, um die Nachfrage zu stützen. Für Salomon Fiedler, Volkswirt bei der Berenberg Bank, ein wichtiger Schritt: "Es hätte ohne den Eingriff zu einer Abwärtsspirale kommen können", vermutet der Marktbeobachter.

Es klingt ein wenig nach Mario Draghi

Wie wichtig der Schritt war, lässt sich auch zwischen den bürokratischen Zeilen der Bank of England lesen. "Der Zweck dieser Käufe wird darin bestehen, geordnete Marktbedingungen wiederherzustellen", hieß es in der Erklärung der Notenbank. "Die Käufe werden in dem Umfang durchgeführt, der erforderlich ist, um dieses Ziel zu verwirklichen." Das klingt ein wenig nach dem "Whatever it takes" des damaligen EZB-Chefs Mario Draghi aus dem Jahr 2012 und zeigt, wie ernst die Lage ist.

Nach turbulenten Tagen ist am Dienstag erst mal von einer Beruhigung der Märkte die Rede. Die Aktion der Bank of England war bislang erfolgreich. Die Zinsen gingen zurück, der Gilt-Markt ist wieder aktiv. Aber Mitte Oktober will die Bank die Ankäufe beenden. Dann stellt sich heraus, ob die Pensionsfonds ihre Langfristverbindlichkeiten bis dahin neu sortieren konnten. Die Aussichten sind nicht schlecht: Die Regierung Truss hat einen Teil der Steuersenkungen bereits zurückgenommen, und auch die langfristigen Aussichten für Großbritannien könnten schlechter sein.

Dass die Kurse für das Pfund aufgrund der neuen Pläne so stark fielen, wunderte Marktbeobachter Fiedler von Berenberg. "Die fundamentalen Daten geben einen solchen Absturz nicht her", erklärt er. "Der Verschuldungsgrad Großbritanniens ist vergleichsweise niedrig und die langfristige Aussicht gut", so Fiedler. "Man muss sich eben nur in die lange Frist retten." Für die Premierministerin und ihren Schatzkanzler ist das vermutlich nur ein kleiner Trost nach den vergangenen Tagen.

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