Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Lukrative Sucht

Bei Sportübertragungen im Fernsehen wird viel Reklame für Wetten und Glücksspiele gemacht. In Großbritannien will die Labour-Partei das verbieten.

Von Björn Finke, London

Sport und Sportwetten gehören zusammen im Vereinigten Königreich. Bei den Übertragungen der Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer stammte fast jeder fünfte Werbespot, den Briten im Fernsehen sahen, von Buchmachern. Neun der 20 Klubs der englischen Premier League, der obersten Fußball-Liga, machen auf ihren Trikots Reklame für Wettanbieter. In der Liga darunter sind es sogar 17 von 24. Erst in dieser Woche schloss die Autorennserie Formel 1 einen Sponsoringvertrag mit Wettfirmen ab. Die zahlen jedes Jahr gut 20 Millionen Dollar dafür, dass ihre Logos auf Banden erscheinen. Doch geht es nach Labour, der größten Oppositionspartei im Lande, soll damit Schluss sein. Die Sozialdemokraten wollen die Dauerberieselung mit Wettwerbung stoppen.

Der stellvertretende Parteichef Tom Watson sagte am Donnerstag, es herrsche ein "öffentlicher Notstand" beim Problem der Glücksspielsucht. Er forderte, bei Live-Übertragungen von Sport im Fernsehen Werbung von Wett- und Glücksspielfirmen zu verbieten, zum Wohle der Zuschauer. "Die bestehende Glücksspiel-Regulierung ist nicht geeignet, Süchtige und Menschen mit Suchtrisiko zu schützen", sagte der Politiker.

So ein Bann würde Fernsehsender und Vereine um viele Millionen an Werbeeinnahmen bringen - und die Buchmacher um neue Kunden. Bisher ist Labour nicht an der Regierung, aber da sich die Konservativen von Premierministerin Theresa May gerade über den Brexit-Kurs selbst zerlegen, könnte sich das nach den nächsten Wahlen ändern.

Fachleute nenen die Daddelautomaten das "Crack Kokain" des Glücksspiels

Für die Wett- und Glücksspielanbieter im Königreich käme es dann noch dicker. Dabei hat bereits die konservative Regierung die Regeln für die Branche deutlich verschärft. London kappte den erlaubten Höchsteinsatz für Daddelautomaten, bei denen die Kunden auf einem Bildschirm Roulette oder andere Glücksspiele spielen. Solche Geräte finden sich in den meisten Wettbüros, und Fachleute warnen, dass sie sehr schnell süchtig machen. Daher werden sie das "Crack Kokain" der Glücksspielbranche genannt. Bislang ist es erlaubt, 100 Pfund auf einmal zu setzen - so hoch ist die Grenze in keinem anderen Land. In Zukunft sind es nur zwei Pfund.

Als die Regierung dies verkündete, sackten die Aktienkurse der großen Wett- und Glücksspielkonzerne William Hill, Paddy Power Betfair und Ladbrokes Coral ab. Schätzungen zufolge verdienen die Unternehmen insgesamt zwei Milliarden Euro pro Jahr an diesen Crack-Kokain-Daddelautomaten. Die Kehrseite ist, dass es Hunderttausende Briten geben soll, die während einer Sitzung mehr als 1000 Euro verlieren.

Und wer den Nervenkitzel sucht, muss meist nicht weit laufen. Wettbüros finden sich in den meisten Einkaufsstraßen des Landes. Insgesamt betreiben die Unternehmen 9000 solcher Läden, in denen Besucher ihr Geld an Spielautomaten und mit Sportwetten riskieren können. Die Konzerne klagen, das Kappen des Einsatzes bei ihren lukrativen Maschinen werde zu Schließungen führen. Ein Drittel der Läden sei bedroht.

Das wiederum hätte Folgen für Sportarten, die auf Geld der Buchmacher angewiesen sind. So zahlt jedes Wettbüro Gebühren an die Ausrichter von Pferderennen, weil die Läden die Rennen auf Fernsehern zeigen. Machen viele Filialen dicht, gibt es weniger Geld - manche Rennbahn stünde dann vor dem Aus.

Allerdings gewährt die Regierung den Wettbüros einen Aufschub. Ursprünglich sollte die Zwei-Pfund-Deckelung von kommendem Jahr an gelten. Doch Schatzkanzler Philip Hammond setzte durch, dass sich die Konzerne bei der Umstellung Zeit bis Frühjahr 2020 lassen können. Die Campaign for Fairer Gambling, eine Initiative, die für schärfere Regeln kämpft, kritisierte das als "unglaublich": Das Finanzministerium könne nicht ernsthaft davon ausgehen, dass es derartig lange dauere, bei Automaten neue Software zu installieren.

Doch Hammond profitiert indirekt von den satten Gewinnen, welche die Konzerne mit den suchtgefährdenden Automaten erzielen. Die Branche ist schließlich ein wichtiger Steuerzahler. Der Schatzkanzler soll auch lange Widerstand dagegen geleistet haben, dass die Regierung den Höchsteinsatz derartig kräftig kappt.

Die Labour-Partei schlägt nun vor, der Industrie neben den Werbeverboten eine neue Strafabgabe aufzubrummen. Außerdem will es die Partei Kommunen einfacher machen, die Eröffnung von Wettbüros auf Einkaufsstraßen zu verhindern. Für die Sozialdemokraten ist das eine Kehrtwende: Unter Premierminister Tony Blair weichte Labour die Regulierung für die Branche auf. Crack-Kokain-Automaten wurden eingeführt, als die Sozialdemokraten an der Macht waren. Offenbar hat die Partei aus Fehlern gelernt.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2018
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