Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Hokuspokus fidibus

Britische Wasserversorger nutzen Wünschelruten, um vergrabene Rohre und Lecks zu finden. Leider funktioniert das nicht.

Von Björn Finke, London

Das Ehepaar aus der Shakespeare-Stadt Stratford-upon-Avon will eine neue Wasserleitung vom Hauptrohr zu ihrem Haus anschließen lassen. Der zuständige Wasserversorger Severn Trent, ein börsennotierter Konzern, schickt einen Techniker, der ermitteln soll, wo das Hauptrohr unter der Straße verläuft. Zu ihrer Verblüffung beobachten die Hausbesitzer dann, wie der Mann langsam herumspaziert und dabei etwas vor sich herträgt, das wie zwei gebogene Zeltheringe aussieht: Der Techniker nutzt eine Winkelrute - ähnlich einer Wünschelrute -, um das Wasserrohr im Boden zu finden.

Die Tochter des Ehepaars promoviert an der Universität Oxford in Evolutionsbiologie. In ihrer Freizeit dreht die Mittzwanzigerin namens Sally Le Page Videos für das Internetportal Youtube, in denen sie Wissenschaft einfach erklärt. Als die Eltern ihrer Tochter von dem Rutengänger erzählen, fragt Le Page bei Severn Trent und den anderen großen Wasserversorgern des Vereinigten Königreichs nach. Das Ergebnis: Zehn von zwölf Unternehmen erlauben ihren Technikern, neben modernen Methoden Wünschelruten zu verwenden, um Rohre und Lecks zu finden. Dieses bemerkenswerte Resultat bedeutet, dass die Angestellten der meisten Versorger in ihrer bezahlten Arbeitszeit mittelalterlichem Aberglauben frönen dürfen.

Wünschel- oder Winkelruten sollen auf Wasser, Metalle und Strahlenquellen im Erdinneren reagieren; sie bewegen sich dann von alleine und zeigen dem Rutengänger so an, dass er fündig geworden ist. Die Praxis ist seit dem späten Mittelalter belegt. Auch heute noch schwören manche Esoteriker auf die Technik. Sie versprechen, auf diese Weise Wasseradern zu lokalisieren, die angeblich schädliche Erdstrahlung erzeugen. Die Strahlen sollen Schlafprobleme oder Krankheiten verursachen.

Diese Theorien gelten allerdings als esoterische Pseudowissenschaft. Diverse Studien haben übereinstimmend gezeigt, dass Wünschelruten nicht funktionieren: Die Chance, dass Rutengänger mit ihnen Wasservorkommen entdecken, ist nicht größer als die Chance, durch puren Zufall auf Wasser zu stoßen. Dass die Ruten überhaupt ausschlagen, liegt an unbewussten Bewegungen der Muskeln des Nutzers - "Ideomotor-Effekt" sagen Fachleute dazu.

Trotzdem antwortet Severn Trent auf Le Pages Anfrage, dass Wünschelruten "effektiv" und "nützlich" seien. Der Konzern setze vor allem moderne Methoden ein, um Lecks zu finden, verwende etwa Aufnahmen von Drohnen und Satelliten oder Bodenmikrofone, teilt das Mitglied des Börsenindex FTSE 100 mit. Doch einige Techniker würden weiterhin Wünschelruten nutzen, was Severn Trent auch nicht verurteile.

Die Unternehmen stehen wegen der vielen Leitungslöcher und hoher Preise eh in der Kritik

Ein Sprecher von Ofwat, der Aufsichtsbehörde für Wasserversorger, sagte, die Unternehmen sollten "sehr genau darüber nachdenken, ob sie die effizientesten und günstigsten Methoden" einsetzen. Die Branche steht ohnehin in der Kritik, weil im Königreich durch Lecks in den Rohren Riesenmengen Wasser verloren gehen. Die größte Oppositionspartei Labour will die Wasserversorgung wieder verstaatlichen. Die Politiker klagen, dass Verbraucher unnötig hohe Preise für Wasser zahlten, während die Konzerne satte Dividenden an ihre Aktionäre ausschütteten. Die Toleranz der Manager gegenüber dem Hokuspokus mancher Angestellter dürfte den Ruf der Firmen weiter lädieren.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2017
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