Großbritannien:Finanzlobby stoppt Bankenreform

Angesichts der desaströsen Erfahrungen der Finanzkrise wäre eine Reform dringend notwendig gewesen. Doch die britische Regierung scheitert an der Neuordnung des Bankensektors und kommt stattdessen der Finanzlobby in zwei entscheidenden Punkten entgegen.

Andreas Oldag

Unter Oxford-Studenten hat Sir John Vickers viele Fans. Als Dekan des renommierten All Souls College in der britischen Universitätsstadt schaffte er vor einigen Jahren eine unbeliebte Aufnahmeprüfung ab. So mussten die Bewerber bis dato einen Briefumschlag öffnen. In dem lag ein Zettel mit nur einem Stichwort zu einem bestimmten Thema, über das eine wissenschaftliche Expertise geschrieben werden musste. Vickers fand dies unsinnig und strich den Teil der Prüfung aus dem Programm.

Als Vorsitzender der von der Regierung eingesetzten unabhängigen Bankenkommission (ICB) steht der 54-Jährige allerdings vor einer ungleich schwierigeren Aufgabe. Jetzt beklagte er sich darüber, dass seine Reformvorschläge verwässert worden seien. "Die internationalen Ereignisse machen es mehr als deutlich, dass die Steuerzahler von künftigen Risiken der Banken geschützt werden müssen", sagte der Chef-Reformer. Das klang wie ein Warnruf in Richtung Downing Street. Im Kern geht es bei der Bankenreform um das Problem des "too big to fail", also zu groß, um Pleite zu gehen.

Doch die konservativ-liberale Regierung lässt sich von den Warnungen Vickers offenbar nicht beeindrucken. In zwei entscheidenden Punkten kam sie jetzt der mächtigen Bankenlobby entgegen: Erstens dürfen die Banken in ihrem Privatkundengeschäft auch künftig in begrenztem Maße Kreditderivate einsetzen. Die Institute wollen sich dadurch gegen Risiken absichern. Diese hochspekulativen Geschäfte sollten zunächst verboten werden und nur noch in den Investmentabteilungen erlaubt sein.

Zweitens lockerte die Regierung strengere Regeln der Risikovorsorge für Auslandsniederlassungen britischer Banken. Sie kam damit insbesondere Kreditinstituten wie HSBC und Barclays entgegen, die ein starkes internationales Geschäft betreiben.

Fachleute in der Londoner City sprechen vor einer Niederlage Vickers. Dabei war es der konservative Schatzkanzler George Osborne, der den ausgewiesenen Finanzexperten - er war unter anderem Chefvolkswirt der britischen Notenbank - 2010 berufen hatte.

Drohungen der Banken-Lobby

Vickers sollte die Banken nach den desaströsen Erfahrungen der Finanzkrise und dem Beinahe-Zusammenbruch des britischen Hypotheken-Finanzierers Northern Rock 2007 zu einem verantwortlicheren Geschäftsmodell zwingen. Vor allem aber sollte vermieden werden, dass der Staat und damit der Steuerzahler bei künftigen Krisen abermals als Retter in der Not einspringen muss.

Doch Vickers ehrgeizigen Ideen für eine Aufspaltung oder Zerschlagung der britischen Großbanken hatten keine Chance. Zu groß war der Druck der Banken-Lobby, die sich gegen seine Pläne stemmte. Einige Kreditinstitute drohten sogar damit, ihre Konzernzentralen nach Asien oder New York zu verlegen.

Banken klagen über drohende Wettbewerbsnachteile

Doch immerhin ist es dem Chef der Bankenkommission gelungen, zumindest einige Kompromisse durchzusetzen, die jetzt in einem Weißbuch der Regierung aufgenommen wurden. So sollen die Geschäftsbereiche - Investmentbanking und Privatkundengeschäft - zwar auch künftig unter einem Dach eines Bankenkonzerns betrieben werden dürfen. Sie sollen aber personell strikt getrennt werden. Investmentarm und Einlagenarm müssen unabhängige Vorstände haben. Jeder Geschäftsbereich soll zudem eine eigene Kapitalabsicherung haben.

Zudem sollen die Institute mehr Kapital vorhalten als Banken in den meisten anderen Ländern. Sie sollen ihr inländisches Privatkundengeschäft ab 2019 mit mindestens zehn Prozent hartem Kernkapital - Grundkapital und Gewinnrücklagen - unterlegen. Insgesamt sollen sie 17 bis 20 Prozent Eigenkapital vorhalten, mit dem Verluste aufgefangen werden können. So weit geht bisher nur die Schweiz. Weltweit geben die Aufseher künftig sieben Prozent hartes Kernkapital vor, für systemrelevante Banken sollen es bis zu 9,5 Prozent werden.

Kein Zufall, dass die britischen Banken sich über drohende Wettbewerbsnachteile beklagen. Sie schätzen, dass ihnen die Vickers-Pläne vier bis sieben Milliarden Pfund pro Jahr kosten werden. "Die Banken sind ein viel bedeutenderer Bestandteil der britischen Wirtschaft als in anderen Ländern", meint Fondsmanager David Miller von Cheviot Asset Management. Deshalb müsse man behutsam vorgehen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Die Finanzbranche macht zehn Prozent der britischen Wirtschaft aus. Die Bilanzsumme der Banken ist vier Mal so groß wie das britische Bruttoinlandsprodukt.

Bankenrettungen kosteten 140 Milliarden Pfund

Indes stellt sich auch die Frage, was mit den beiden britischen Problembanken Lloyd's Banking Group und Royal Bank of Scotland (RBS) mittelfristig geschehen soll. Die Institute mussten in der Finanzkrise 2008 vom Steuerzahler mit Milliardenhilfen vor der Pleite gerettet werden. Der Staat hält seitdem 83 Prozent an der RBS und 41 Prozent an Lloyds. Die Geldhäuser sind zwar auf dem Weg der Besserung. Doch trotz eines massiven Personalabbaues machte RBS im vergangenen Jahr einen Verlust von zwei Milliarden Pfund (2,5 Mrd. Euro).

Die Gesamtkosten der Bankenrettungen schätzt Finanzstaatssekretär Mark Hoban bislang auf 140 Milliarden Pfund. Hoffnungen der RBS-Anleger, dass sie ihr investiertes Geld schon bald zurück erhalten könnten, erteilte Verwaltungsratsvorsitzender Sir Philip Hampton eine Abfuhr. Das werde zu seinen Lebzeiten nicht mehr geschehen, meinte der 58-Jährige in seinem trocknen, britischen Humor.

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