Großbritannien:Die Rosinenpickerin

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Wäre Premierministerin Theresa May mutig und stark, würde sie das Volk und ihre Partei auf die nicht sehr attraktiven Perspektiven des Brexit vorbereiten. Weil May aber nur May ist, präsentiert sie lieber wolkige Ideen, und das in Serie.

Von Björn Finke

Die Party ist vorbei: Am Wochenende schwelgte Großbritannien in den Bildern der Märchenhochzeit von Prinz Harry, doch bald wird wieder der Brexit die Schlagzeilen beherrschen. An diesem Dienstag beginnt eine neue Verhandlungsrunde in Brüssel. Dort können die Vertreter der EU und der britischen Regierung über die jüngste Volte von Premierministerin Theresa May diskutieren. Die Konservative schlägt vor, dass das Königreich auch nach Ende der Übergangsphase, von 2021 an, in Zollunion und Teilen des Binnenmarktes der EU verbleiben soll. Zumindest, falls bis dahin keine andere Lösung gefunden wurde, um die Rückkehr einer sichtbaren Grenze auf der irischen Insel zu verhindern.

Brüssel sollte diese Idee freundlich zur Kenntnis nehmen. Und dann verwerfen.

Die Briten verlassen die Union im kommenden März. Allerdings soll sich bis Dezember 2020 für Bürger und Firmen nichts ändern, dank der vereinbarten Übergangsregelung. Nun will sich May die Hintertür offen halten, dieser ersten Übergangsphase eine zweite folgen zu lassen. In dieser soll die Bindung an Brüssel nicht mehr ganz so eng sein, aber eng genug, um Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland zu vermeiden. Es wäre eine Scheidung auf Raten.

Theresa May hat Wunderglauben zur Regierungspolitik erklärt. So vermeidet sie Streit

Das klingt zunächst einmal nach einem Ausbruch von Vernunft in London. Vor einem Jahr noch konnte der Brexit für May gar nicht hart und schnell genug sein. Inzwischen freilich dämmert es der Regierung, wie vertrackt so eine Trennung ist. Und wie übel die Folgen sein könnten.

Trotzdem sollte sich die EU nicht auf den Vorschlag einlassen. In der Übergangsphase bis Dezember 2020 bleibt das Königreich an alle Regeln der EU gebunden. Was May für die Zeit danach vorschwebt, läuft jedoch auf Rosinenpicken hinaus. Großbritannien will sich an solche Bestimmungen halten, die wichtig sind für den grenzüberschreitenden Handel. Zum Beispiel Produktstandards und Zölle gegenüber Drittstaaten wie den USA. Dann wäre es nicht nötig, an der inneririschen Grenze oder in Calais und Dover die Ladung von Lastwagen zu kontrollieren. Sowohl Brüssel als auch London haben versprochen, der Brexit solle nicht dazu führen, dass die unsichtbare Grenze in Irland wieder sichtbar wird.

Andere EU-Vorgaben, die nichts mit Lkw-Fuhren über Grenzen zu tun haben, möchte May hingegen ignorieren. Etwa die Arbeitnehmer-Freizügigkeit. Oder die Verpflichtung, kräftig in den Brüsseler Haushalt einzuzahlen. Großbritannien würde weiter von den Vorteilen von Zollunion und Binnenmarkt profitieren; britische Industriefirmen könnten weiter ohne bürokratische Hürden Waren auf dem Festland verkaufen. Aber EU-Bürger dürften nicht mehr automatisch im Königreich leben und arbeiten.

Es ist schwer vorstellbar, dass Brüssel derartige Rosinenpickerei akzeptiert. Zugleich sind die Brexit-Enthusiasten in Mays Kabinett und Partei äußerst skeptisch. Jede Verlängerung der Übergangsphase ist ihnen zuwider. Die Idee ist daher vor allem Ausdruck der Verzweiflung einer Premierministerin, die harte Entscheidungen scheut und möglichst viel möglichst lange in der Schwebe halten will.

Der Vorschlag sei nur ein Notfallplan, heißt es - für den Fall, dass sich London und Brüssel auf keinen anderen Weg einigen, eine Rückkehr der Grenze zu vermeiden. Die Regierung hofft, dass neue Technologien in Zukunft dabei helfen, ohne Kontrollen auszukommen. Und bis diese Wundertechnik etabliert ist, muss eben eine zweite Übergangsphase her.

Fachleute spotten über die Vorstellung, noch zu erfindende Technik werde stichprobenartige Kontrollen von Lastern überflüssig machen. May hat diesen Wunderglauben trotzdem zur Regierungspolitik erhoben: In erster Linie, weil sie so hässliche Entscheidungen aufschieben kann.

Es gibt einen einfachen und erprobten Weg, Kontrollen zu verhindern. Das Königreich müsste auf Dauer - und nicht nur für eine Übergangszeit - eine umfassende Zollunion mit der EU eingehen und sich verpflichten, Produktstandards weiter einzuhalten. Das würde nicht nur die Iren freuen, sondern auch die britische Exportindustrie. Allerdings wären die Brexit-Fans im Kabinett entsetzt, denn als Mitglied einer Zollunion kann Großbritannien keine eigenen Handelsverträge mit Staaten wie den USA abschließen. Außerdem müsste das Land Standards beachten, auf die es keinen Einfluss hat.

Wäre May mutig und stark, würde sie das Volk und ihre Partei auf diese nicht sehr attraktive Perspektive vorbereiten. Weil May aber nur May ist, präsentiert sie lieber wolkige Ideen, und das in Serie.

© SZ vom 22.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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