Großbritannien:Der Mann mit der härtesten Schuldengrenze

Britain's Chancellor of the Exchequer George Osborne leaves number 11 Downing Street in London

Der britische Schatzkanzler George Osborne will einen harten Sparkurs durchsetzen.

(Foto: REUTERS)
  • Der britische Finanzminister George Osborne will ein Gesetz durch das Parlament bringen, das Regierungen das Schuldenmachen in "normalen Zeiten" verbietet.
  • Das wäre eine deutlich strengere Regelung als in Deutschland.
  • Dass Großbritannien über seine Verhältnisse lebt, ist unter Beobachtern unstrittig.
  • Manche Ökonomen halten solche Selbstverpflichtungen allerdings für gefährlich.

Von Björn Finke, London

Es ist einer der gesellschaftlichen Höhepunkte des Jahres in der Londoner City. Die Manager der Finanzbranche versammeln sich zu einem feierlichen Abendessen im gut 250 Jahre alten Mansion House, dem Amtssitz des Lord Mayors, des Bürgermeisters des Bankenviertels. "The Lord Mayor's Banquet for Bankers and Merchants" heißt die alljährliche Sause, die am Mittwoch über die Bühne ging. Dresscode ist Black Tie, also Smoking und Fliege. Wichtigster Punkt im Abendprogramm - neben dem leckeren Essen - ist stets die Rede des Schatzkanzlers des Königreichs. Die hatte es diesmal in sich. Was Finanzminister George Osborne vortrug, könnte die Rolle des Staates in Großbritannien für immer verändern. Es würde die Regierung zwingen, Ausgaben drastisch zu kürzen und sich aus Aufgabengebieten zurückzuziehen. Darunter leiden würden diejenigen, die auf Unterstützung des Staates angewiesen sind.

Der konservative Politiker, der auch als zukünftiger Premierminister gehandelt wird, hatte vorab Teile seines Manuskripts veröffentlicht. Demzufolge will Osborne ein Gesetz durchs Parlament bringen, das Regierungen das Schuldenmachen in "normalen Zeiten" verbietet. Nur bei einer Wirtschaftskrise wäre ein Defizit im Haushalt möglich. Diese britische Schuldenbremse ist deutlich strenger als ihr deutsches Pendant: Die deutsche Regel erlaubt dem Bund weiterhin, jedes Jahr ein paar Milliarden Euro Schulden aufzunehmen. Und sie zielt lediglich auf die sogenannte strukturelle Neuverschuldung ab, was bedeutet, dass bei einer schwachen Konjunktur ohnehin höhere Defizite drin sind.

Der Minister will in die Geschichte eingehen

Osborne hingegen will tatsächlich sich und seine Nachfolger verpflichten, Jahr für Jahr den Haushalt auszugleichen, wenn die Insel nicht gerade in einer Rezession steckt. Nur in drei der vergangenen 30 Jahre schrumpfte die Wirtschaftsleistung im Königreich - die Regierungen hätten also unter den neuen Regeln die meiste Zeit eine schwarze Null erzielen müssen.

Kein Zweifel: Der Konservative möchte als Eiserner Schatzkanzler in die Geschichtsbücher eingehen. Osborne selbst sagt dazu, er wolle "einen dauerhaften Wandel in unserer politischen Debatte und bei unserer Sicht" auf solide Staatsfinanzen erreichen, wie es im Manuskript heißt.

Der ehrgeizige 44-Jährige mag sich die härteste Schuldengrenze ausgedacht haben, doch bei dem Vorhaben, Defizite per Gesetz zu verbieten, sind die Briten ansonsten Nachzügler. Schon vor zwei Jahren trat der Europäische Fiskalpakt in Kraft, der die EU-Mitgliedsstaaten zu Haushaltsdisziplin zwingt - und dazu, nationale Schuldengrenzen einzuführen. Die Vereinbarung sollte das Vertrauen in die Solidität der Staatsfinanzen wiederherstellen, nachdem wegen der Finanzkrise die Schulden in vielen Ländern deutlich gestiegen waren. Großbritannien zog es allerdings vor, diesem Pakt nicht beizutreten.

Manche Ökonomen halten solche Selbstverpflichtungen für gefährlich. Sie schränkten die Handlungsfähigkeit der Regierungen zu sehr ein, sagen sie. Andere Volkswirte unterstützen die Idee, weil der Schuldenmacherei der Politiker sonst nicht beizukommen sei.

Die Finanzkrise hatte das Land mit voller Wucht getroffen

Osborne verordnet Großbritannien nun ein besonders enges Korsett. Als würde das nicht reichen, erschweren es die Tories auch noch, mehr Einnahmen hereinzuholen. Die Konservative Partei, die bei den Wahlen Anfang Mai überraschend die absolute Mehrheit der Mandate gewann, will ein Gesetz verabschieden, das eine Erhöhung der Einkommen- und Mehrwertsteuersätze sowie der Sozialabgaben bis 2020 ausschließt. Daher muss die Regierung umso härter die Ausgaben kappen, will sie das Haushaltsdefizit loswerden.

Dass Großbritannien über seine Verhältnisse lebt, ist unter Beobachtern unstrittig. Im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft in keiner anderen großen Volkswirtschaft so schnell wie im Königreich; dieser Boom soll sich im laufenden Jahr bereits wieder abschwächen. Die Arbeitslosenquote ist rasant auf 5,5 Prozent gefallen. Viel besser können die Bedingungen also nicht sein. Und dennoch rechnet die Regierung für 2015 mit einem Haushaltsdefizit von vier Prozent der Wirtschaftsleistung - in Zeiten des Aufschwungs ein hoher Wert.

Dabei verordnete Osborne schon nach dem Wahlsieg 2010 einen harten Sparkurs. Als die Regierungskoalition aus Konservativen und Liberaldemokraten antrat, betrug das Haushaltsdefizit gut elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts - an der Themse herrschten nahezu griechische Verhältnisse. Die Finanzkrise hatte das Königreich, dessen Wirtschaft stark von Banken abhängt, mit voller Wucht getroffen. Der Steuerzahler musste zudem einspringen, um Institute wie die Royal Bank of Scotland vor der Pleite zu retten. Die Folge: Lag der Schuldenstand 2008 noch bei komfortablen 42 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, hat sich dieser Wert inzwischen fast verdoppelt.

So viele Essenspakete an Bedürftige wie noch nie

Osborne will mit seinem Haushalts-Korsett erreichen, dass der Schuldenberg kleiner wird. Es sollen keine Kredite hinzukommen, und Regierungen sollen im Aufschwung gar Überschüsse erwirtschaften und die Darlehen so zurückzahlen.

Den Preis dafür werden vor allem die Armen und Schwachen zahlen. Kürzungen im Sozialen waren bereits Teil der Sparpakete seit 2010. Das führte zu einem traurigen Rekord: Der Trussell Trust, der größte Betreiber von Lebensmittel-Tafeln, verteilte im vorigen Jahr mehr als eine Million Essenspakete an Bedürftige, so viele wie nie zuvor. Vor fünf Jahren waren es nur 41 000 gewesen. Dabei boomt die Wirtschaft, die Zahl der Arbeitslosen fällt. Oft geben die Nutzer an, ihnen seien die Sozialleistungen zusammengestrichen worden - wegen härterer Sanktionsregeln oder strikteren Bezugskriterien.

Trotz aller Sparwut verringerte Osborne in den vergangenen Jahren die Steuern auf Unternehmensgewinne von 28 auf 20 Prozent. Das soll Investoren anziehen, bedeutet aber, dass zumindest kurzfristig die Kosten härter gekappt werden müssen. Für die nächsten fünf Jahre verspricht der Eiserne Schatzkanzler, die Sozialausgaben um weitere 17 Milliarden Euro zu senken. Auch viele andere Ministerien müssen mit weniger Geld auskommen.

Wo genau Osborne die Einschnitte im Sozialen vornimmt, verrät der Konservative bislang nicht. Doch die Lebensmittel-Tafeln sollten sich besser schon auf noch mehr Andrang einstellen.

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