Großbritannien:Bye-bye, roter Schatz!

Großbritannien kämpft mit einem horrenden Haushaltsdefizit. Jetzt will die britische Regierung sich von einem Teil ihres an Raritäten reichen Weinbestands trennen. Dabei drohen allerdings diplomatische Verwicklungen.

Andreas Oldag, London

Wie eine wertvolle Trophäe hält Henry Bellingham die Flasche französischen Weins Château Latour, Jahrgang 1961, in der Hand. Der britische Außenstaatssekretär, der den Weinkeller der britischen Regierung im Londoner Lancaster House verwaltet, hat allen Grund dazu, bei seiner Präsentation besondere Umsicht walten zu lassen. Immerhin wird der edle Tropfen unter Weinkennern mit bis zu 10000 Pfund (11500 Euro) gehandelt, also eine echte Rarität.

Großbritannien: Die britische Regierung will sich von flüssigen Kostbarkeiten trennen, zum Beispiel von Weinen wie dem Château Latour von 1961. Hochstehenden Gästen werden aber auch künftig gute Tropfen serviert - aus eigenem Anbau.

Die britische Regierung will sich von flüssigen Kostbarkeiten trennen, zum Beispiel von Weinen wie dem Château Latour von 1961. Hochstehenden Gästen werden aber auch künftig gute Tropfen serviert - aus eigenem Anbau.

(Foto: Via Bloomberg)

Eine lohnende Investition ist der Château Latour in jedem Fall. Er wurde einst von einem Vorgänger Bellinghams für gerade mal 30 Pence eingekauft. Die Gewinnspanne stellt nun sogar die besten Aktien an der Londoner Börse in den Schatten. Nur: Die Tage des edlen Tropfens im Keller des Lancaster House in St. James's sind gezählt. Um das horrende Haushaltsdefizit des Landes zu senken, will die konservativ-liberale Regierung einen Teil ihres Bestands teurer Weine verkaufen. Darunter sind so begehrte Weine wie Château Lafite, Château Margaux oder Château Mouton Rothschild. Der Bestand umfasst etwa 39000 Flaschen und hat einen Wert von fast einer Million Euro.

"Ich habe sogar daran gedacht, den Weinkeller ganz aufzulösen", sagte Bellingham. Berechnungen hätten jedoch gezeigt, dass es für den Steuerzahler billiger komme, das Lager zu halten, so dass es sich finanziell selbst trage, fügt der Staatssekretär hinzu. So soll nun britischer Pragmatismus zum Zuge kommen, an dem sicherlich die ehemalige Premierministerin und Privatisierungs-Ikone Margaret Thatcher ihre Freude hätte.

Die Sache mit Nazi-Deutschland

Bellingham zufolge könnte etwa die Hälfte des Bestandes verkauft werden. Ob dazu allerdings auch der Château Pape Clement gehört, den der ehemalige französische Staatspräsident Jacques Chirac an den damaligen Premier Tony Blair zum 50. Geburtstag schickte, ist unklar. Man will offenbar diplomatische Verwicklungen wegen des Verkaufs von Geschenken vermeiden. Nicht ohne Brisanz ist auch die Frage, ob in den Tiefen des Kellers von den Briten bei Kriegsbeginn 1939 konfiszierte Flaschen der ehemaligen Botschaft Nazi-Deutschlands lagern. Insider meinen, dass diese Tropfen längst getrunken worden seien.

Land im Weinfieber

Nun sind die Briten zwar nicht gerade als ausgesprochene Sommeliers bekannt. Doch der Weinkeller zeugt durchaus von redlichen Bemühungen: Bei einer Flasche Château Latour aus dem Jahr 1955 war vor einiger Zeit ein Zettel unbekannter Herkunft gefunden worden.

"Frisch und lieblich, zu ganz besonderen Anlässen trinken", ist darauf zu lesen. Zu einem Château Margaux des Jahrgangs 1961 schrieb ein nicht genannter früherer Premierminister: "seidig". Nun müssen sich Gäste der britischen Regierung wohl künftig mit etwas profaneren Weinen begnügen.

Klimawandel hilft

Aber vielleicht könnte dies ein Anlass sein, dass der Bundeskanzlerin Angela Merkel oder dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy bei künftigen Besuchen in der Downing Street Nummer Zehn Weine aus britischer Produktion kredenzt werden. Diese reichen zwar in der Qualität nicht an die Spitzentropfen vom europäischen Kontinent heran, doch sie passen zum strikten Sparsamkeitsgebot der Regierenden auf der Insel, wo jetzt sogar ein Londoner Stadtrat das Betreten von Kinderspielplätzen gebührenpflichtig machen will.

Immerhin sind in England und Wales 380 Weinbaubetriebe und mehr als 100 Kellereien tätig. Die Anbaufläche ist in den vergangenen 20 Jahren von durchschnittlich zwei Hektar auf 3,2 Hektar pro Betrieb gestiegen. Die Produktion belief sich im Jahr 2009 nach den neuesten Angaben des Verbandes der englischen Weinproduzenten auf 3,2 Millionen Flaschen. Das ist zwar nur ein Bruchteil der Menge der Weinbau-Giganten Frankreich und Italien. Doch die englischen Winzer sind zuversichtlich: Der Klimawandel begünstigt den Anbau.

Und hinsichtlich der Tradition gibt man sich selbstbewusst: Immerhin haben die Römer schon Wein im ersten Jahrhundert nach Christus in Südengland gekeltert. So hat das Ausmisten des staatlichen Weinkellers am Ende einen schönen Nebeneffekt. Sogar die Queen will jetzt mit dem Weinanbau beginnen in ihren königlichen Ländereien.

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