Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Allein auf der Insel

Die britische Premierministerin Theresa May steckt in der Bredouille: Sie merkt, dass die Welt nach dem Brexit nicht darauf wartet, mit London neue Handelsverträge abzuschließen.

Kommentar von Björn Finke

Das war ein schwerer Start. Und was kommt, wird nicht einfacher. Die britische Premierministerin Theresa May hatte ihren ersten Auftritt auf internationalem Parkett, redete beim Gipfeltreffen der größten Industrieländer in China mit den Mächtigen der Welt. Die gaben ihr Unangenehmes mit auf den Heimweg. US-Präsident Barack Obama sagte, für sein Land hätten Gespräche über Handelsverträge mit asiatischen Staaten und der EU Vorrang vor solchen mit London. Japans Regierung warnte, nach dem Brexit könnten japanische Banken und Pharmakonzerne das Königreich verlassen, sollten Geschäfte zwischen Großbritannien und der EU komplizierter werden.

Brexit-Fans auf der Insel zweifeln gerne an, dass der Austritt aus der Union wirtschaftliche Nachteile für Großbritannien bringen wird. Handel mit Europa werde vielleicht etwas schwieriger, räumen sie ein, aber das werde schon nicht so wild. Zudem, so versprechen sie, werde London ganz schnell ganz viele Handelsverträge mit Wirtschaftsmächten wie China und den USA unterschreiben. Dann können britische Firmen dort einfacher Geschäfte tätigen. Als EU-Mitglied darf das Königreich solche Freihandels-Verträge nicht eigenständig abschließen.

Ein weicher Ausstieg würde Theresa May zu Hause viel Ärger bescheren

Großbritannien, das neue weltumspannende Freihandels-Empire. Doch das ist reines Wunschdenken, eine Illusion, gespeist von gefährlicher Selbstüberschätzung. Der Pragmatikern May, die vor dem Referendum für den Verbleib gekämpft hat, wird das schon vor den ernüchternden Aussagen der Japaner und von Obama klar gewesen sein. Die Welt wartet nicht darauf, mit London Handelsverträge abzuschließen.

Für die Regierung in Peking oder Washington ist die EU mit ihrer halben Milliarde Einwohner der viel interessantere Exportmarkt. Dass sich Großbritannien alleine mit solchen Staaten auf bessere und weit reichendere Freihandelsverträge einigen kann als Brüssel, ist so wahrscheinlich wie ein Tennisturnier in Wimbledon ohne Regen. London fehlt es schlicht an Verhandlungsmacht - und, ganz nebenbei, fehlen der Regierung bisher auch die nötigen Handelsexperten für die Gespräche.

Die viel gescholtene EU hat außerdem bereits Handelsverträge mit gut 50 Ländern abgeschlossen. Wegen des Austritts müssen die Briten diese Abkommen neu aushandeln. Am wichtigsten für die britische Wirtschaft ist aber das Verhältnis zum größten Exportmarkt, der EU, wohin fast die Hälfte der Ausfuhren gehen. Bislang können britische Unternehmen und Banken problemlos in anderen Mitgliedsstaaten tätig sein. Dank des gemeinsamen Binnenmarktes müssen sie keine lästigen Genehmigungen für ihre Waren und Dienstleistungen vor Ort einholen; eine einzige Zulassung in Großbritannien reicht. Zölle existieren ohnehin keine.

Viele Konzerne aus den USA und Asien unterhalten auf der Insel große Niederlassungen, die den gesamten europäischen Markt bedienen: Banken, Autofabriken, Forschungslabore. Erschwert der Brexit Geschäfte über den Ärmelkanal, werden diese Unternehmen Abteilungen und Arbeitsplätze aus dem Königreich aufs Festland verlagern.

Zwar vergehen noch Jahre, bis die Briten wirklich austreten. Denn Verhandlungen mit der EU beginnen erst, wenn Premierministerin May Brüssel über ihren Trennungswunsch offiziell unterrichtet. Damit eilt es ihr nicht, weil die Regierung sich zunächst selbst darauf einigen muss, was sie in den Gesprächen erreichen will. Doch den Firmen stehen deswegen Jahre voller Unsicherheit bevor, in denen unklar ist, unter welchen Bedingungen Handel in Zukunft möglich ist. Manager werden Investitionen aufschieben, die Wirtschaft wird leiden.

London könnte die Ungewissheit - und deren schädliche Folgen - mindern: Statt blumig über Handelsabkommen mit China und den USA zu schwadronieren, müsste sich die Regierung früh festlegen, weiter vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt anzustreben. Einen Zugang, wie ihn Norwegen und mit Abstrichen die Schweiz genießen. Allerdings verlangt Brüssel als Gegenleistung von Norwegen und der Schweiz offene Grenzen für EU-Bürger.

So ein Brexit light, so ein soft Brexit würde May daher zu Hause erheblichen Ärger bescheren - in der eigenen Partei und mit den Wählern. Schließlich stimmten viele Briten genau deshalb für den Austritt, weil sie die Einwanderung aus der EU kontrollieren wollen. May verspricht darum, in den Verhandlungen mit Brüssel die Hoheit über die Grenzen nicht preiszugeben.

Hält sie sich daran, wird die britische Wirtschaft für diese Prinzipientreue einen hohen Preis zahlen.

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SZ vom 06.09.2016/hgn
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