Griechische Reederfamilien:Geraubte Schätze

BIO-ONASSIS-PORTRAIT

Selfmademan: Der griechische Reeder Aristoteles "Ari" Sokrates Homer Onassis (1906-1975)

(Foto: AFP)

Schiffsverkehr ist so ziemlich das Einzige, bei dem die griechische Wirtschaft Weltspitze ist. Die reichen Reederfamilien zahlen praktisch keine Steuern und bunkern ihr Geld in der Schweiz. Ihre Privilegien sind sogar in der Verfassung abgesichert - und die Regierung handelt nur halbherzig.

Von Jannis Brühl

Die Jagd nach Schätzen ist für griechische Seefahrer mythische Tradition. Jason und seine Argonauten nutzten der Sage nach ihr technisch überlegenes Schiff, die Argo, um am Kaukasus das Goldene Vlies zu rauben, ein Schaffell aus Gold. Die modernen Nachfolger der Argonauten kontrollieren mehr als 15 Prozent des weltweiten Seehandels, heiraten US-Präsidentenwitwen oder machen Schlagzeilen, wenn sie mit Paris Hilton knutschen. Und in ihrer Heimat zahlen sie praktisch keine Steuern. Das garantiert ihnen Artikel 107 der griechischen Verfassung.

Auf den ersten Blick erscheint unverständlich, dass ein Staat kurz vor dem Bankrott sein außergewöhnlichstes Steuerprivileg unangetastet lässt. Die Sonderregeln für Schiffsreeder gänzlich abzuschaffen, fordert nur die linkspopulistische Partei Syriza, aber die regiert nicht mit.

Anfang November zwang die Koalitionsregierung die Reeder erstmals, im Rahmen eines neuen Sparpakets 140 Millionen Euro in die Staatskasse zu geben. Sie dürften es verschmerzen. Die Summe entspricht einem Tausendstel der Gewinne, welche die etwa 700 Familien in den Jahren 2000 bis 2010 gemacht haben.

Griechenland ist Weltspitze - aber nur im Schiffsverkehr

3760 Schiffe gehören griechischen Reedern, davon fahren aber nur 862 unter griechischer Flagge - Gewinne aus "internationaler" Schifffahrt sind steuerfrei. Das Problem: Nicht nur wenn es um den Lebensstil ging, gehörten Reeder wie Aristoteles Onassis (der mit der Präsidentenwitwe) oder der "goldene Grieche" Stavros Niarchos (sein Enkel ist der Ex-Galan von Paris Hilton) zum Jetset. Kaum eine Branche ist so mobil - weshalb Staaten ihre Drohung, abzuwandern, ernst nehmen. Sie plagt die Angst vor sogenannter Ausflaggung: Dazu übernehmen Reedereien für ihre Schiffe die Landesflagge eines "Billigflaggen-Staates" wie der Bahamas oder Liberias. So senken sie Kosten für Löhne und Sicherheitsstandards - und ziehen Arbeitsplätze aus ihrer Heimat ab.

Für Griechenland, dessen Industriebasis klein ist, sind die Reeder besonders wichtig. Reich wurden Familien wie Onassis oder Niarchos am Ende des Zweiten Weltkriegs durch ihren Handel mit den Alliierten. Heute ist Schiffsverkehr so ziemlich das Einzige, bei dem die griechische Wirtschaft Weltspitze ist. Zusammen mit dem Tourismus ist er die wichtigste Branche, die Kapital ins Land bringt. Bis zu 200.000 Menschen arbeiten für sie; der Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt soll bei fünf Prozent liegen. Wenn sie abwandern, drohen die Reeder, koste dies das Land 60.000 Jobs.

Die Lobby benutzt gern das Bild vom "Schuss in den eigenen Fuß", den eine Besteuerung bedeuten würde. Die einzige Abgabe für die Reeder ist die Tonnagegewinnermittlung, Tonnagesteuer genannt. Sie gilt für Schiffe unter griechischer Flagge. Da sie aber nicht über den Gewinn, sondern die Schiffsgröße berechnet wird, fällt sie gering aus.

Griechenland hat die Steuer 1957 erfunden, die Steuerbefreiungen wiederum schrieben die Putschisten 1967 in die Verfassung. Sie sind das extremste Beispiel für den Unterbietungswettbewerb, mit dem europäische Staaten Reeder locken wollen. Viele verlangen nur niedrige Tonnagesteuern - auch Deutschland. Gerhard Schick, Finanzsprecher der Grünen im Bundestag, will mit Kollegen eine einheitliche Steuer für alle einführen: "Eine neue europäische Tonnagesteuer würde Nullbesteuerung griechischer Reedereien verhindern." Das Land müsse seine Einnahmen erhöhen, nicht nur einseitig Sozialausgaben kürzen, wie es die Kanzlerin fordere.

"Dann gehen die eben nach Liberia oder Panama"

Auch Schick gibt in seinem Positionspapier zu, dass man der mobilen Flotten nie ganz Herr werden könne: Auch mit einer EU-Steuer bliebe "eine Verlegung außerhalb der EU ohne größeren Aufwand möglich". Alexander Kritikos, der für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die griechische Wirtschaft analysiert, sagt: "Dann gehen die eben nach Liberia oder Panama."

Selbst wenn Gewinne höher besteuert würden, bliebe immer noch das Problem, dass vermögende Griechen ihr persönliches Einkommen nur zum Teil versteuern. Kritikos: "Viele Selbständige weisen bemerkenswert niedrige Einkünfte aus."

Wo ist das Geld? Wohl angelegt in Londoner und Berliner Immobilien, ein großer Teil liegt in der Schweiz. Der Journalist Kostas Vaxevanis veröffentlichte im Oktober die "Lagarde-Liste", auf der die Namen von 2000 Griechen stehen, die dorthin mutmaßlich Geld vor griechischen Steuerbehörden in Sicherheit gebracht hatten. Das Papier soll ein Bankmitarbeiter französischen Behörden und IWF-Chefin Christine Lagarde zugespielt haben. Die griechische Regierung war schon 2010 im Besitz der Liste, Konsequenzen hatte das aber keine - außer für Vaxevanis, der wegen Verletzung des Datenschutzes angeklagt (und freigesprochen) wurde. Die Berufe, welche die vermögenden Kontoinhaber angegeben haben, verraten einiges: Nur 24 "Schiffsbesitzer" stehen auf der Liste - dafür 187 "Hausfrauen".

Griechenland will neun Milliarden aus der Schweiz zurückholen

Zwischen 2009 und 2011 flossen mehr als 20 Milliarden Euro aus Griechenland in die Schweiz. Insgesamt dürften dort Hunderte Millionen griechischen Geldes liegen. Der Schwabe Schick klagt: "Wir reden hier nicht von Kleckerlesbeträgen." Mit einem Steuerabkommen sollen bis zu neun Milliarden wieder ins Land fließen.

Zwischen 21 und 41 Prozent sollen die Steuerflüchtlinge auf ihr Geld in der Schweiz zahlen, dafür bleiben sie aber anonym. Das Abkommen soll also funktionieren wie das zwischen Deutschland und dem Steuerparadies geplante. Doch beide Staaten verhandeln seit zwei Jahren, einen Vertrag gibt es nicht. Schick fordert auch hier eine europäische Lösung: "Die Schweiz verhandelt mit jedem Staat einzeln - divide et impera. Das stärkt ihre Stellung in jeder Verhandlung." Wenn die EU gemeinsam Druck mache, könne ein Abkommen Griechenlands Einnahmen erhöhen.

Der klamme Staat ist also auf das Wohlwollen der Reeder angewiesen. Einige beteiligen sich am Kampf gegen die Krise mit privaten Initiativen. Die Stavros-Niarchos-Stiftung hat Hilfsorganisationen 100 Millionen Euro zugesagt. Bei anderen steht es weniger gut um die Solidarität mit ihrem verarmenden Land. Reportern, die sich auf Mittelmeerinseln oder in Genf unter die feiernde griechische Oberschicht mischten, hörten von den Oligarchen nur: Ihrem korrupten, unfähigen Staat wollten sie kein Geld geben.

Ihren Schatz bringen die Reeder also erst einmal nicht nach Hause zurück - da ist das Vorbild weniger Jason, sondern eher ein anderer mythischer Seemann: Odysseus kam ein Jahrzehnt nicht in die Heimat, wo er sehnlichst erwartet wurde.

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