Süddeutsche Zeitung

Griechenlands Zukunft in der Euro-Zone:Schleppt sie durch! - Nein, lasst sie gehen!

Viele Politiker und Beobachter sind erzürnt: Da will die Euro-Zone das schwächelnde Griechenland mit Hunderten Milliarden Euro unterstützen - und deren Premier Papandreou torpediert die Pläne. Sollen die Griechen überhaupt noch in der Euro-Zone bleiben? Ein Pro & Contra

Catherine Hoffmann und Markus Zydra

Es war falsch, was man Deutschen und Griechen erzählt hat. Bei der Einführung des Euro wurde behauptet, eine gemeinsame Währung sei ohne Solidarität zu haben und ohne den Verzicht auf Souveränität. Doch das ist ein Irrtum. Beides ist notwendig, heute mehr denn je.

Für Europas Politiker ist das geplante Referendum in Griechenland ein Schock. Wenn das griechische Volk die strengen Auflagen ablehnt, die mit dem Rettungspaket verbunden sind, dann ist eine Staatspleite nur eine Frage von Tagen. Schon wird über den Austritt Athens aus der Euro-Zone spekuliert. Das wäre ein Katastrophe.

Die Europäer würden ihre Hilfszahlungen stoppen, auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) gäbe es kein Geld mehr. Griechenland gingen buchstäblich die Euros aus. Die Regierung wäre gezwungen, die Drachme wieder einzuführen und dramatisch abzuwerten. Mit dem neuen Geld aber ließen sich die alten Euro-Schulden nicht begleichen. Es wäre die erste Staatspleite in Westeuropa seit 60 Jahren. Die geldgebenden Banken und Versicherungen hätten das Nachsehen, sogar die EZB ginge leer aus.

Nach einem griechischen Tabubruch könnten auch Portugal oder sogar Italien versucht sein, den anstrengenden Sparkurs zu verlassen und sich ihrer Schulden praktisch über Nacht zu entledigen - per Staatsbankrott. Die Akteure an den Finanzmärkten würden sofort darauf spekulieren, welches Land als nächstes an der Reihe ist, und die Zinsen in die Höhe treiben - von Portugal über Spanien und Italien bis zu Frankreich.

Würde Griechenland zur Drachme zurückkehren, wäre ein Banken-Run kaum zu vermeiden: Verständlicherweise würden alle griechischen Sparer ihre Konten plündern, um noch schnell ein paar Euro zu bekommen. Die Folge: Nicht nur Griechenland wäre bankrott, sondern auch seine Finanzinstitute. Das würde Spuren in ganz Europa hinterlassen.

Kein einziges Problem wäre gelöst

Für Athen aber würde die Geldbeschaffung unmöglich. Wer will schon griechische Anleihen kaufen, wenn die Währung Drachme heißt und ständig an Wert verliert? Es dürfte wohl viele Jahre dauern, bis der Vertrauensbruch überwunden wäre und sich die griechische Regierung bei Anlegern wieder Geld borgen könnte. Bis dahin wäre das Kapital knapp, so knapp, dass die Wirtschaft nur schwer auf die Beine käme. Das hätte schlimme Folgen für den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie in Athen.

Katapultiert sich Griechenland aus der Euro-Zone, wäre das ein großes Unglück für das Land, ein noch größeres Unglück aber wäre die Kapitulation für die Euro-Gemeinschaft. Das Vertrauen in die Währungsunion wäre zerstört. Der Exodus der Griechen könnte den Anfang vom Ende der gemeinsamen Währung bedeuten. Und das alles, weil ein Land, das die Wirtschaftskraft Hessens hat, vielleicht zahlungsunfähig wird? Weil es vor lauter Sparerei keine Chance auf eine durchgreifende Gesundung sieht?

Europa hätte damit kein einziges seiner Probleme gelöst: die Ansteckungsgefahren in Italien und Spanien nicht, die Kapitalnot der Banken nicht, den Mangel an gemeinsamer Wirtschafts- und Fiskalpolitik nicht. Die Befürworter eines Austritts argumentieren gern, die griechische Hilfsaktion sei ein Fass ohne Boden. Es stellt sich nur die Frage, ob das Loch im Fass noch viel größer wird, wenn Europa Athen fallenlässt.

Über die Scheidewege des Lebens hat der große amerikanische Schauspieler Charles Chaplin resümiert: "Dort stehen keine Wegweiser." Griechenland steht wieder einmal am Scheideweg, aber dieses Mal wird endgültig entschieden. Bald, wohl noch im Dezember, will die Regierung Papandreou das Volk abstimmen lassen über die Annahme des Rettungspakets der Europäischen Union.

Natürlich sind die europäischen Retter nun beleidigt, weil die zu Rettenden darauf verzichtet haben, artig auf die Knie zu fallen und "Danke" zu sagen. "Macht doch euren Dreck alleene", möchte man Athen zurufen. Soll die Euro-Zone Griechenland nun rausschmeißen?

Zwar sieht der Maastricht-Vertrag keine Hilfen für klamme Mitgliedsstaaten vor, doch juristisch ist der Rausschmiss knifflig. De facto würde es reichen, wenn man den Geldhahn zudreht. Dann kommt die Drachme ganz von selbst, und das muss nicht einmal schlecht sein.

Athen wäre dann alle Staatsschulden los, denn die Einführung der Drachme bedeutet, dass die Euro-Schulden nicht mehr bedient werden können. Die griechische Währung wäre dafür viel zu schwach. Gleichzeitig erhöht diese Schwäche aber die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes - der Grundstein für den Aufschwung. Griechenland könnte neu anfangen, schuldenfrei und mit dem Gefühl, es fortan aus eigener Kraft schaffen zu müssen. Eine solche Stunde null kann die Nation zusammenschweißen, trotz Nebenwirkungen.

Denn mit dem Bankrott würde Athen für lange Zeit keine Devisenkredite mehr erhalten; Importe von Autos, Medikamenten, Ersatzteilen und Maschinen aus dem Ausland müssten gegen Vorkasse bezahlt werden. Also muss das künftige Drachmen-Hellas erst Euro verdienen, bevor es Euro ausgeben kann. Nicht nur die sparsame schwäbische Hausfrau hält viel von solchen Grundsätzen.

Doch wie sollen unsere Banken den Rückgriff zur Drachme verkraften? Auf die Hälfte der griechischen Verbindlichkeiten haben die europäischen Institute und Versicherungen im jüngsten Rettungspaket schon freiwillig verzichtet, und das haben sie nun verständlicherweise wieder in Frage gestellt. Zwar kann man nie sicher sein, wie es um die Finanzstärke der Banken steht, aber auch ein Komplettverlust der Griechen-Bonds ist verkraftbar.

Die Griechen würden die Euro-Zone stärken

Im Ernstfall soll der Staat als Eigentümer einsteigen. Das muss langfristig kein Minusgeschäft für den Steuerzahler sein, wie andere Beispiele zeigen. Prekärer ist die Gefahr einer Kettenreaktion, die von Athen ausgehen könnte. Wenn Griechenland ohne Schulden und mit neuer Währung an der Start geht - warum sollten nicht Portugal und Italien diesem Beispiel folgen? Womöglich läutet Athen das Ende der Euro-Zone ein.

Diese Argumentation unterschätzt jedoch den Abschreckungsfaktor, der vom Beispiel Athens ausgehen würde. Die Rückkehr zur Drachme ist verglichen mit dem EU-Rettungspaket der ungleich härtere Weg, weil das Land quasi über Nacht - ohne die internationalen Kreditpuffer - nur noch auf sich allein gestellt wäre. Der Wohlstandsverlust wäre sofort massiv spürbar, die Bürger würden womöglich noch radikaler demonstrieren. Kaum vorstellbar, dass Portugal dann noch den Euro aufgeben möchte.

Die Griechen hätten dann - historisch pikant - durch ihren Austritt die politische Stabilität der Euro-Zone gestärkt.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2011
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