Griechenland:Warum China Milliarden in Griechenland investiert

Port of Piraeus, Athens

China kaufte sich den Hafen von Piräus als neuen Vorposten der kommunistischen Volkswirtschaft in Europa.

(Foto: Geoeye/Science Photo Library)

"Wir sind hier, um Business zu machen": Chinesische Staatskonzerne nutzen Griechenlands Schwäche, um einen gigantischen Plan zu verfolgen: eine moderne Seidenstraße nach Europa.

Von Mike Szymanski, Piräus

Captain Fu Chengqiu stellt sich auf die Zehen. Jemand hat die Weltkarte im Vorzimmer zu hoch aufgehängt. Aber Captain Fu Chengqiu, den alle nur "Captain Fu" nennen, beschwert sich nicht. Er macht sich lang. Er geht auf große Fahrt. Sein Zeigefinger startet dort, wo er sich gerade befindet: in Griechenland. Den Hafen von Piräus begräbt er unter der Kuppe. Er kneift die Augen zusammen. Der Finger fährt raus aus der Bucht. Im Bogen an den Kykladeninseln vorbei Richtung Norden. Durchs Marmarameer. Ins Schwarze Meer: Osteuropa, Türkei, Russland.

Captain Fu ruft: "großer Markt!" Wieder zurück; jetzt das Mittelmeer in Richtung Süden: Sein Finger erreicht Libyen, Ägypten. "Großer Markt!" Abstecher ins westliche Mittelmeer: Frankreich, Spanien, Italien. "Großer Markt!" Dann steuert der Finger ins östliche Mittelmeer, durch den Suezkanal: große, weite See. Irgendwann: ein großes Land. China.

Captain Fu, 67 Jahre alt und schlohweißes Haar, sackt wieder zurück auf die Füße, in Griechenland. Reise beendet. Er schaut beseelt und geht in sein Büro in der Hafenverwaltung von Piräus zurück. Ein heller, großer Raum. Panoramafenster. Ein Platz mitten im Hafen. Auf einer Fensterbank ist ein Steuerknüppel montiert. Ein Spielzeug, aber es wirkt, als könnte Captain Fu jederzeit ablegen.

Im Jahr 2009 hatte der chinesische Reedereikonzern und Hafenbetreiber Cosco die Konzession für den Containerumschlag im Hafen von Piräus bekommen. Er schickte seinen besten Mann: Captain Fu. Erfahren zu Wasser (Kapitän), zu Lande (Manager) und in der Luft (er diente von 1968 bis 1973 in der chinesischen Luftwaffe). Der Empfang in Griechenland war nicht schön: "Cosco go home"-Plakate reckten ihm die Hafenarbeiter entgegen.

Er lehnt sich in seiner Sitzecke zurück. Lange her, dies. "Die Griechen dachten, jetzt holen sich die Chinesen den Hafen, sie verlieren ihre Jobs. Sie kannten uns nicht. Sie wussten nicht viel über uns Chinesen", sagt Captain Fu. Er macht eine Pause. "Wir sind hier, um Business zu machen."

Die Firma Cosco ging damals natürlich nicht. Sie hatte gerade erst angefangen. Im Jahr 2016 hat das Staatsunternehmen für 280,5 Millionen Euro mit 51 Prozent die Anteilsmehrheit am gesamten Hafen erworben. Weitere 16 Prozent sollen für 88 Millionen Euro in den nächsten Jahren dazukommen. Der Hafen ist jetzt chinesisch, wenn man so will, bis 2052 zumindest. So lange läuft der Vertrag. Der Frachtumschlag hat sich jetzt schon mehr als vervierfacht. Der Hafen erwachte aus seinem Dämmerschlaf. Die Chinesen bringen das Geschäft gleich mit. Die Reederei Cosco gehört zu den Giganten der Containerschifffahrt. Firmen wie Sony, Huawei und Hewlett Packard haben sich entschlossen, ihre Waren für Europa im Hafen von Piräus umzuschlagen. Die kleinen, flinken Hubwagen - wie Ameisen im Containerhafen unterwegs - stehen kaum mehr still.

Neue Kräne, neue Hubwagen und: neuer Ehrgeiz. Captain Fus Ziel: aufschließen zu den ganz großen in Europa, zu Rotterdam, Antwerpen, Hamburg. "Wir haben bereits eine Milliarde Euro investiert", sagt Captain Fu. "1000 Millionen", schiebt er nach, als befürchte er, nicht richtig verstanden zu werden. Der Hafen sei bei Weitem noch nicht fertig. Containerterminal III wird gerade erweitert. Ein neues Passagierterminal für die 15 Millionen Fahrgäste im Jahr entsteht. Keine Träumerei.

Chance oder Risiko? Wie man es nimmt

Heute weht die chinesische Fahne neben der griechischen am Gebäude der Hafengesellschaft. Captain Fu herrscht als Chef über 37 Küstenkilometer reger Geschäftigkeit. "Griechenland ist das Tor zu Europa", sagt Captain Fu. Er hat seinen Fuß in die Tür geschoben.

Griechenland - Chance oder Risiko? Wie man es nimmt. Die EU-Partner doktern ebenso lang am hoch verschuldeten Griechenland herum, wie die Chinesen dort ihre Geschäfte machen. Brüssel pumpt Milliarden Euro ins Land und überzieht es mit immer neuen Sparauflagen. Derzeit läuft das dritte Rettungsprogramm, ausgestattet mit 86 Milliarden. Eine Vorgabe: zu privatisieren.

Das Programm läuft planmäßig im nächsten Sommer aus. Danach wird Griechenland immer noch auf einem Haufen Schulden sitzen. Niemand feiert die Griechenland-Rettung als Erfolg. Jeder freut sich nur, wenn sie vorbei ist. Und China? Cosco hat gerade eine Milliarde Euro ins Land gesteckt und expandiert und expandiert.

"Das zeigt, dass wir Europäer nicht an uns selbst glauben", sagte der französische Präsident Emmanuel Macron kürzlich bei einem Besuch in Athen vor Unternehmern. Die Europäische Union sieht das Risiko. China sieht die Chance.

Der spektakulärste Coup in Europa

"Tor zu Europa", "Brückenkopf", "Drachenkopf" - welches Etikett auch immer dem Hafen angeheftet wird, das Engagement der Chinesen ist Teil eines gigantischen Vorhabens mit Investitionen in 65 Ländern. China baut an einem neuen Handelskorridor: einer modernen Seidenstraße. Die Führung in Peking stellte die Idee 2013 vor. China greift nach neuen Märkten, weil der eigene nicht mehr genug hergibt. Die Binnennachfrage reicht nicht, um die Wachstumsziele weiter zu erreichen. Der Export wächst nicht mehr.

Vernachlässigte Schienennetze, verkümmerte Hafenanlagen - die Chinesen greifen danach.2014 legte die Regierung einen Seidenstraßen-Fonds mit 40 Milliarden Dollar auf, der jetzt noch mal um 15 Milliarden aufgestockt werden soll. Investitionsbanken wurden gegründet. Bis zu 1,6 Billionen Dollar könnten in den kommenden zehn Jahren in den Aufbau der neuen Seidenstraße fließen - ein Jahrhundertprojekt, wie es die Chinesen nennen. Es soll wieder "Milch und Honig" fließen.

Der Hafen von Piräus ist nur der spektakulärste Coup in Europa. Von hier aus führen Bahnverbindungen über den Balkan nach Mittel- und Osteuropa. Seit einiger Zeit gehen die Chinesen in krisengeschüttelten Ländern Südeuropas auf Einkaufstour. Captain Fu sagt: "China war früher ein armes Land. Warum arm bleiben? Wir ändern das. Wir können hart arbeiten. Ich kann zwölf Stunden am Tag arbeiten, ohne mich zu beschweren."

In der Taverne am Fischmarkt von Piräus serviert die Bedienung herrlich starken Kaffee. Wände voller Fotos erzählen Geschichten aus einer Zeit, in der Piräus noch nicht von den Chinesen gerettet werden musste. Der Hafen ist für die Menschen Identität. Ganz großes Gefühl. Wenn Ferien sind, schleppen die Griechen ihr Gepäck den Kai entlang zu den Fähren, die sie auf die Inseln bringen, von denen sie oder ihre Vorfahren kommen. Piräus bedeutet Fernweh und Heimweh zugleich.

Kaum einer kennt den Hafen so gut wie Nick Georgiou. Er hat den Buckel krumm gemacht, bevor die modernen Maschinen kamen. Heute ist er Präsident der Hafenarbeiter-Gewerkschaft. Mit am Tisch sitzt sein Generalsekretär, Giorgos Gogos. In ihrem Büro hängt ein Plakat von einem früheren Gewerkschaftstreffen. "We will never walk alone again", steht darauf. Aber das Haus der Gewerkschafter, ein Betonriegel mit langen Fluren am anderen Ende des Hafens, wirkt wie ein ausgestorbener Ort.

Georgiou, 53 Jahre alt, weißes Poloshirt, Jeans, raucht Kette. "Es war ein schwieriger Kampf. Vielleicht war es unmöglich zu gewinnen", sagt er. Bis zum Schluss hätten sie versucht, die Privatisierung des Hafens, "des Herzens von Piräus" zu verhindern. Im vergangenen Jahr, bevor Cosco die Kontrolle übernahm, hatten die Arbeiter gestreikt. Es half nichts.

Am Anfang stand Feindschaft. "Cosco war gegen uns, gegen Gewerkschaften. Es ging nur darum, Kosten zu minimieren", sagen die Gewerkschafter. Mit Überstunden und Schichtzulagen kamen manche Hafenarbeiter vor der Schuldenkrise auf 1800 Euro im Monat. Aus heutiger Sicht: Traumgehälter. Als Cosco die Konzession für den Containerumschlag 2009 bekam, musste der Konzern die teure Belegschaft nicht übernehmen. Die Griechen bauten einfach ein neues Terminal für die Alt-Belegschaft. So funktionierte Privatisierung damals - sie sollte niemandem wehtun.

"Wir sind gut zu all unseren Mitarbeitern. Wir sind eine Familie"

Cosco stellte über einen Subunternehmer neue Leute ein, zahlte weniger und stellte Zeitverträge aus. Es entstand eine Zweiklassengesellschaft. Die Cosco-Arbeiter und jene, die bei der Hafengesellschaft Griechenlands angestellt waren. Cosco-Leute bekamen um die 900 Euro und manchmal erst ein bis zwei Stunden vor Schichtbeginn eine Nachricht, ob sie gebraucht würden. So erzählen es die Gewerkschafter. Bald konnte man zuschauen, wie sich das Geschäft auf das Terminal von Cosco verlagerte. Im Cosco-Teil schafften die Arbeiter es, 30 Container die Stunde abzufertigen. Nebenan, im griechischen Teil, waren es nur halb so viele. Bald hatten die einen Arbeit, die anderen nicht.

Kamen die Chinesen als Ausbeuter?

Bei ihrem Einstieg hatte es der Staat ihnen jedenfalls leicht gemacht, ihren Teil des Hafen zu sanieren, weil er die teure Belegschaft behielt. Aus damaliger Zeit stammt der Ruf, Cosco sei nur auf Gewinnmaximierung aus. Wer Captain Fu dies vorhält, kann zuschauen, wie der Mann in Fahrt kommt: Seine Sätze sausen jetzt wie Handkantenschläge auf seine Gesprächspartner nieder. "Alles falsch!" Es gehe ja schon mit einem Missverständnis los: Was bedeute überhaupt: die Chinesen kämen?

Als sie damals im Containerterminal anfingen, da hätten sie weit mehr als tausend Arbeiter angestellt, alle vom griechischen Arbeitsmarkt. Gerade einmal eine Hand voll chinesische Manager habe Cosco mitgebracht. "Fünf bis sechs!", ruft Captain Fu. Cosco sei eigentlich griechisch, sagt er. "Wir sind gut zu all unseren Mitarbeitern. Wir sind eine Familie." Natürlich könne ein Grieche, der in jungen Jahren bei Cosco anfängt, ein Leben lang bei dem Unternehmen bleiben. Wenn er sich nur um die Firma kümmere, wie sich die Firma um ihn. So denkt Captain Fu. "Wer nicht arbeitet, muss um seinen Job fürchten."

"Wir Griechen haben klargemacht, dass wir gleichberechtigte Partner sind"

Cosco könne nicht wie die öffentliche Hand funktionieren: "Rumsitzen, Kaffee trinken, erzählen, jeden Tag zwei bis vier Stunden arbeiten - kann es so laufen?" Nicht in seiner Familie jedenfalls. So sieht das Familienoberhaupt Captain Fu.

Tatsächlich ist es so, dass es unter Cosco keine Massenentlassungen gab oder gravierende Gehaltskürzungen. Als Cosco im Jahr 2016 im Hafen als Mehrheitseigner einstieg, hatte der Staat die Gehälter für die Belegschaft ohnehin schon gesenkt. Nicht etwa, weil Cosco das verlangt hätte. Sondern weil Brüssel dies im Zuge der Rettungsprogramme gefordert hatte.

Auch die Hafenarbeiter wurden bei den vielen Sparrunden nicht geschont. Musste der Hafen mal 70 Prozent der Ausgaben für Löhne hinlegen, sind es heute nur noch etwa gut 50 Prozent. Wer bei Cosco anheuert, verdient immer noch nicht schlecht. Etwa 1200 Euro im Monat zu bekommen, das bedeutet, mehr zu verdienen als junge Ärzte oder Anwälte. Erstmals gibt es auch Kontinuität: Seit Ausbruch der Krise hat die Regierung viermal gewechselt. Aber Cosco bleibt. Es gebe einen Plan für die Zukunft und Leute, die daran arbeiteten, berichtet ein Angestellter im Hafen, der dort seit 31 Jahren beschäftigt ist.

Hat sich China politischen Einfluss erkauft?

Die Mentalität habe sich geändert. Auch der Druck sei gewachsen: "Jetzt wird kontrolliert, dass jeder seine Arbeit macht." Aber es gibt sie: Arbeit. Neue Vertragskonditionen muss Cosco mit der Hafenarbeiter-Gewerkschaft vereinbaren. "Wir müssen jetzt mit Cosco leben. Und Cosco mit uns", sagt Gewerkschaftspräsident Georgiou. Die Regierung von Premier Alexis Tsipras, der das Linksbündnis Syriza 2015 an die Macht geführt hatte, stand früher auf der Seite jener, die gegen Firmen wie Cosco gekämpft hatten. Tsipras gehörte zur "Cosco go home"-Fraktion.

Davon ist heute nicht mehr viel zu spüren. Sein für den Hafen zuständiger Minister Panagiotis Kouroumblis redet der Privatisierung das Wort. Damit nehme man dem Staat "Lasten" ab. Heute laufe die Zusammenarbeit mit Cosco reibungslos, lobt er. Ein ums andere Mal hatte Athen beklagt, die Rettungspolitik, die in Brüssel gemacht werde, setze nicht auf Wachstum. Im Gegenteil: Sie schwäche das Land. Die Chinesen haben Athen nicht belehrt. Sie haben Geld mitgebracht. Und Tsipras führt sein Land zum Geld.

Beim Seidenstraßen-Gipfel im Frühjahr in Peking schickte Athen nicht einfach nur einen Minister. Griechenlands Premier Alexis Tsipras kam selbst und huldigte dem Projekt. Es ist gerne Teil der neuen Seidenstraße. Es fühlt sich anders an, umworben zu werden. Auf der Wirtschaftsmesse in Thessaloniki im September war China in diesem Jahr Ehrengast. Tourismusunternehmen hoffen, dass bald Chinesen zur wichtigen Zielgruppe im Tourismus aufsteigen. Jetzt sind es 200 000 im Jahr, bald schon könnten es mehr als eine Million Touristen sein. In Piräus baut Captain Fu gerade den Kreuzfahrthafen aus. "Wir wollen unsere Länder miteinander verbinden", sagt er.

Für den chinesischen Präsidenten Xi Jinping ist Griechenland heute ein "verlässlicher Freund in Europa". Manche fragen sich schon, wie weit die Freundschaft geht. Hat sich China über die Investitionen nicht schon längst politischen Einfluss in Europa erkauft? Im Juni scheiterte eine gemeinsame Entschließung der Europäer zur Menschenrechtslage in China ausgerechnet an Griechenland. Ein Novum.

Bislang waren die Länder der EU in dieser Frage nicht auseinanderzubringen. Plötzlich schert Athen aus. Als "fadenscheinig und oberflächlich" bezeichneten EU-Politiker die Begründungen aus Athen. Unter den Außenpolitikern von Tsipras' Syriza heißt es, niemand von der chinesischen Seite habe jemals den Wunsch vorgetragen, so abzustimmen. Aber es macht auch niemand ein Geheimnis daraus, wer in der Krise investiert hat und wer Athen andauernd belehrt. Athen habe sich keineswegs von den Chinesen "kolonialisieren" lassen, sagt Minister Kouroumblis. "Wir haben klargemacht, dass wir gleichberechtigte Partner sind." Den Minister und Captain Fu sieht man Seite an Seite auf einem Foto im Flur zu Captain Fus Büro. Die Fotogalerie dort ist ein Who's who der griechisch-chinesischen Freundschaft.

Cosco ist zum Machtfaktor geworden. Captain Fu rechnet vor: An einem Job bei Cosco im Hafen hingen indirekt fünf andere. Und Cosco beschäftigt mehr als 3000 Leute. "Wir unterstützen Griechenland." Niemand brauche Angst zu haben. "Geschäft ist Geschäft", sagt Fu Chengqiu. "Und Freundschaft ist Freundschaft."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: