Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Urlauber helfen Griechenland aus der Krise

  • Die Wirtschaft in Griechenland ist das zweite Quartal in Folge gewachsen.
  • Insbesondere der Tourismus boomt. Gäste aus Asien sollen die Entwicklung weiter stärken.
  • In der Staatskasse macht sich der Trend kaum bemerkbar. Offenbar werden in der Branche weiter Steuern hinterzogen.

Von Mike Szymanski, Athen

Alexandros Frydas muss nur vom Balkon im sechsten Stock blicken, dann weiß er, dass er sich nicht geirrt hat. Zwischen zwei Häuserschluchten, hier, mitten im Zentrum von Athen, erhebt sich der Neubau eines Fünfsternehotels, kühle Formen, die Fassaden in unberührtem Weiß. Das moderne Athen, wie es in der Werbung dafür heißt. Frydas muss mit vielleicht 70 Quadratmetern für seine Firma auskommen - drei Zimmer für sieben Vollzeitkräfte. Bei Frydas finden sich: billige Möbel und viel Hoffnung. Gegenüber aber steht in Beton gegossene Zuversicht.

"Wenn die sich mit ihrem Hotel so sicher sind, dass der Tourismus die Zukunft ist, dann können wir so falsch nicht liegen", sagt Frydas. Er geht wieder rein. Er hat mit zwei Freunden 2013 die Firma Athens Insiders gegründet. Damals eher noch eine Idee, die reifen musste, ein Start-up. Eine Notlösung - dies auch. Sie wollten nicht arbeitslos sein wie so viele andere in ihrem Alter in diesem krisengeplagten Land. Ihr Einfall: besserer Tourismus. "Es ist doch unfair, wenn die Leute nach Griechenland kommen und denken, Akropolis, griechischer Salat und Moussaka, das wäre schon alles."

Die Zahl der Gästeankünfte könnte auf 30 Millionen klettern. Ein Rekord

Im Sommer 2017 ist nicht mehr alles Krise in Griechenland. Es ist ein Freitag, aber von Feierabendstimmung ist im Hafen von Piräus nun wirklich nicht viel zu spüren. Ein Hafenmitarbeiter schaut in die Bucht. Es wird nicht mehr lange dauern, dann legen die Kreuzfahrtschiffe an und entlassen wieder Tausende Besucher auf einmal aus ihren dicken Bäuchen. Europäer, Amerikaner - und neuerdings viele Chinesen. Am Flughafen geht es ähnlich hektisch zu. Die Zahl der Gästeankünfte könnte auf 30 Millionen klettern, ein Rekord.

Es gebe viele Urlauber, die nicht im Strom der Masse mitschwimmen wollten, glaubt Alexandros Frydas. "Sie wollen Einzigartiges erleben. Wir versuchen, das möglich zu machen."

Vor einiger Zeit meldete sich ein Juristenpaar aus Kalifornien bei den Athens Insiders. Sie wollten eine Führung, nicht auf die Akropolis, sondern in ein Athener Gericht, und sie wollten ein Gespräch mit griechischen Kollegen. Dann setzten sich Frydas und sein Team an ihre Schreibtische, telefonierten und organisierten. Es geht natürlich auch eine Nummer kleiner. Wer will, kann mit Frydas Mitarbeiter Yannis Zafeiropoulos, der ihm am Schreibtisch gegenübersitzt, die Tavernen der Stadt erkunden. Er hat sich in London zum Sommelier ausbilden lassen. In diesen von verblüffender Leichtigkeit getragenen Athener Nächten kann Zafeiropoulos genau der richtige Lotse sein. Das kostet ein Paar aber mindestens 200 Euro.

Erdoğan vergrault mit seinem autokratischen Gebaren Touristen

Das Geschäft läuft. 2013 hatten sie 30 Kunden, in diesem Jahr könnten es schon 5000 werden. Sieben Angestellte im Büro und zehn Mitarbeiter, Leute wie Yannis Zafeiropoulos, die mit den Kunden unterwegs sind.

Nach sieben Jahren der Dauerkrise sieht es so aus, als würde sich das Land aufrappeln. Das zweite Quartal in Folge ist die Wirtschaft gewachsen, Ende 2017 könnte es ein Plus von gut zwei Prozent geben. Dazu dürfte maßgeblich der Tourismus beigetragen haben. Jeder fünfte Grieche verdient direkt oder indirekt am Geschäft mit den Urlaubern.

Ein Blick auf die Karte genügt, um zu verstehen, warum Griechenland hoch im Kurs steht: In der Türkei vergrault das zunehmend autokratische Gebaren von Präsident Recep Tayyip Erdoğan Touristen. Es gibt Kreuzfahrt-Passagiere, die sich lieber länger auf griechischen Inseln absetzen lassen, als die Türkei-Stationen mitzunehmen. Ägypten? Tunesien? Auch gefühlt eher wieder unsicherer geworden. Griechenland mag arm sein. Als gefährliches Land ist es bisher nicht in Erscheinung getreten.

Giorgos Koubenas ist früher als Kapitän zur See gefahren. Heute steuert er als Vize-Präsident ein Unternehmen mit dem Namen Celestyal Cruises, das fünf Kreuzfahrtschiffe unterhält. "Wenn es eine Chance zur wirtschaftlichen Erholung gibt, dann funktioniert das nur über den Tourismus."

Seitdem im Zuge der Krise überall im Land die Gehälter geschrumpft sind, könnten die Anbieter die Preise stabil halten - trotz happiger Steuererhöhungen. Das habe sich bei Urlaubern herumgesprochen. Außerdem hätten die Unternehmer verstanden, dass der Service besser werden müsse, dass sie investieren müssten.

Laut Tourismusministerium seien im Jahr 2015 etwa 20 000 Chinesen nach Griechenland gereist. Dieses Jahr könnten es mehr als 200 000 werden. Seitdem chinesische Großinvestoren sich in Griechenland einkaufen - 2016 hat das Unternehmen Cosco beispielsweise den Betrieb des Hafens von Piräus komplett übernommen - treibt die Regierung die Zusammenarbeit mit diesem Land auch im Tourismus voran, bis hin zu Direktflügen nach Athen. "Für unseren Tourismus könnten die Chinesen einmal so wichtig werden wie die Deutschen", sagt der Kreuzfahrt-Manager. Die führten die Gruppe der Griechenland-Urlauber mit mehr als drei Millionen im Jahr an.

Ein paar Minuten vom Athener Syntagma-Platz entfernt hat Tourismus-Ministerin Elena Kountoura ihr Büro. Sie kam 2015 ins Amt und gehört der rechtspopulistischen Partei Anel an, die an der Seite des Linksbündnisses Syriza das Land regiert. Es gibt wenige Minister, die ähnlich gute Zahlen verkünden können. Sie sagt: "Diese Regierung hat dem Tourismus Priorität eingeräumt." Die Zahl der Direktflüge auch aus Amerika und Kanada ist gestiegen. "Mit Indien verhandeln wir gerade", erzählt sie. Branchentreffen holt sie als Gastgeberin nach Athen. Die Auslandsvertretungen bummeln nicht mehr bei der Visa-Vergabe.

Künftig sollen Urlauber aus China angelockt werden

Kountoura will Tourismus das ganze Jahr über, nicht nur im Sommer. Urlauber aus China passen ihr hervorragend ins Konzept, sie reisen auch in jenen Herbst- und Wintermonaten, in denen in Griechenland sonst nichts los ist.

Als Athen im Krisensommer 2015 das mittlerweile dritte Hilfspaket aushandelte, verlangten die Kreditgeber Steuererhöhungen, Athen sollte die reduzierten Mehrwertsteuersätze abschaffen, die auch für die wohlhabenden Urlauberinseln galten. Von einem schweren Schlag für den Tourismus war die Rede. Kountouras Partei protestierte mit am lautesten. Vergeblich. Heute liegt der Mehrwertsteuersatz bei 24 Prozent. Die Ministerin räumt ein, dass der Tourismus sich trotzdem prächtig entwickelt habe. "Die Umsätze könnten aber noch höher sein", sagt sie.

Die Einnahmen für den Staat auch. Gemessen am guten Geschäft, von dem überall die Rede ist, fallen die erhofften Steuererlöse eher enttäuschend aus. Für Branchenkenner ein klares Anzeichen dafür, dass weiterhin munter Steuern hinterzogen werden. Die Finanzbehörden konzentrieren ihre Kontrollen längst auf Tourismusbetriebe. Als Gäste getarnte Fahnder sind unterwegs, zum Ärger der Betriebe. Die Tourismus-Ministerin findet die Kontrollen zwar richtig, hält aber die griechischen Betriebe für nicht krimineller als andere. Ginge es nach ihr, würde sie die Steuern sofort wieder senken.

Die Abgabenlast ist für viele Firmen kaum zu tragen

Alexandros Frydas von den Athens Insiders ist davon überzeugt, dass im großen Stil in seiner Branche Steuern hinterzogen würden. Nicht allein aus Gier, dies zwar auch. Aber die Abgabenlast sei kaum noch zu ertragen.

Er und seine Kollegen sind seit vier Jahren auf dem Markt, sie selbst begnügten sich mit Grundgehältern von 550 Euro. Neue Angestellte bekämen nur den Mindestlohn. Dafür zahlen sie pünktlich die Gehälter, was auch nicht selbstverständlich in der Branche sei. "Alles andere wird investiert", sagt der Unternehmer. Einer ihrer neu eingestellten Mitarbeiter spricht chinesisch. Der neue Markt - sie wollen nichts verpassen.

Zwei, drei Jahre vielleicht noch, dann könnten sie hoffentlich richtig gut vom Geschäft leben, sagt Frydas. Dann hätten sie es geschafft.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2017/been
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