Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Total Zero in Athen

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Sparen, sparen, sparen - was bedeutet das für kleine Unternehmen in Griechenland? Für einen Athener Fahrradhändler heißt es zum Beispiel, tagelang gar nichts zu verdienen.

Reportage von Hans von der Hagen, Athen

Mitten im Gespräch entschwindet Georgios Xenoulis in eine andere Welt. Es braucht allerdings einen Moment, denn nur mit etwas Mühe findet er auf der Tastatur des Computers die richtigen Buchstaben: X - e - n - o - u - l - i - s - g - . - g - r. Der Rest geht dann aber ganz fix: Kaum ist die Enter-Taste gedrückt, schon ist Xenoulis in der Vergangenheit. Sie macht die Wirklichkeit des kleinen Fahrradladens in Athen vergessen. Das liegt auch an der Musik, die mit erstaunlicher Lautstärke aus dem kleinen Computer kommt, "Le vent, le cri" aus dem Film "Der Profi".

Xenoulis ist auch ein Profi, allerdings in anderer Sache, als es einst Jean-Paul Belmondo in dem gleichnamigen Film war: Auf der Webseite sind all die Bronzearbeiten zu sehen, die Xenoulis als Bildhauer geschaffen hat. Plastiken, Embleme und mehr. Aufträge bekam er früher aus ganz Griechenland, ein paar seiner Arbeiten finden sich darum nun auch auf der einen oder anderen Insel des Landes. Delfine, Meerjungfrauen, Liebende, die großen Werke zeigt Xenoulis am liebsten.

Seit sieben Jahren ist vieles nur noch schöne Erinnerung. Als die Krise immer offensichtlicher wurde, hatten die Stadtverwaltungen kein Geld für Statuen. Darum nun: Fahrräder statt Bronze. Eigentlich ist Xenoulis bereits Rentner, aber hilft seiner Frau, die das Fahrradgeschäft von ihrem Bruder übernahm. Es existiert seit 1960 - eine Bronzeplakette an der Eingangstür zeugt davon. In den ersten Jahren wurden noch eigene Fahrräder hergestellt, mittlerweile wird nur noch repariert und verkauft. Wenn denn überhaupt jemand vorbeischaut.

In der Vorwoche hat er weniger als 30 Euro eingenommen. In den ersten zwei Tagen der neuen Woche sind es: "Zero", wie Xenoulis sagt. Null. Jetzt, wo es nur noch 60 Euro aus dem Automaten gibt, hält jeder sein Bargeld zusammen.

Einfach kollabiert

Ein Mann kommt in den Laden. Viele Minuten diskutiert er mit Xenoulis. Er sucht einen Adapter. Einnahmen: ein paar Cents.

Wie überlebt man als Unternehmer, wenn einfach keiner mehr etwas kauft? Vor der Krise haben hier in dem Laden acht Leute gearbeitet, nun gibt es noch einen, der neben dem Ehepaar dort arbeitet. Genau so kollabiert Stück für Stück Griechenlands Wirtschaft: Allein zwischen 2010 bis 2013 haben laut dem Griechischen Verband der Freiberufler, Gewerbetreibenden und Kaufleute 200 000 kleine und mittlere Unternehmen aufgeben. Mehr als 720 000 Menschen haben dabei ihren Job verloren.

Auch wenn die Datenlage nicht ganz eindeutig ist, so illustrieren die Zahlen doch die Auswirkungen der rigiden Sparpolitik, die sich bis in dieses Geschäft an der Straße des 3. September bemerkbar macht.

Xenoulis selbst bekommt noch Rente, 900 Euro. Gemessen an vielen anderen Rentnern ist es eine eher hohe Summe, doch es sollte eiegntlich mehr sein. Über Jahre hinweg hatte er einen Extra-Beitrag gezahlt, um im Alter deutlich mehr als 1000 Euro zu bekommen. Daraus ist nichts geworden. Er erzählt das alles mit großer Ruhe, selbst wenn ihm die Einschnitte mehr zusetzen dürften, als es den Anschein hat. So ist es eben, sagt er.

Noch ein Kunde kommt in das Fahrradgeschäft. Er will offenbar ein Fahrrad kaufen. Zahlt etwas. Jetzt also zumindest kein "Zero" mehr in dieser Woche? Xenoulis antwortet mit einer Rechnung: Bestellen würde er ein Fahrrad - zum Beispiel - für 100 Euro. Der Preis für seine Kunden wäre vielleicht 120 Euro. "Doch dann kommt ein Kunde und sagt, dass er das Fahrrad zwar gerne kaufen würde, allerdings nur für 90 Euro." Aber er, Xenoulis, müsse dann ja auch noch Strom bezahlen, das Gehalt für den Angestellten und anderes mehr.

Einst sei das mal eine gute Gegend hier gewesen - und jetzt sei es sogar schon wieder besser. Aber noch vor Kurzem hatte er den Straßenstrich direkt vor seinem Schaufenster. Sex für fünf Euro. Ein paar Meter weiter, wo früher mal ein Krankenhaus war, wurden Drogensüchtige mit Ersatzstoffen versorgt. Unter Samaras, dem Vorgänger von Premier Tsipras, sei der Strich dann wieder verschwunden, "er hat seinen Job gemacht", lobt Xenoulis.

Doch die Gegend nahe des Omonia-Platzes gilt noch immer als problematisch. Zahllose Läden sind hier zur besten Geschäftszeit mit schweren Rolläden verriegelt, Bauten verfallen. Viele Athener meiden dieses Viertel nachts.

Hier leben Menschen, die nichts mehr haben. Jeden Tag kommen am Omonia-Platz Flüchtlinge an, die sich von der Türkei aus zunächst auf die griechischen Inseln gerettet hatten. Wer soll hier genügend Geld haben, um ein Fahrrad zu kaufen? Und wann wird alles wieder besser?

Von Syriza ist Xenoulis enttäuscht. Warum brachen sie die Verhandlungen ab? So etwas sollte ein Politiker nie tun, sagt er. Die Hoffnung, die er sich in den vergangenen Jahren bewahrt hatte, ist verflogen.

Aber was kann er machen? Es bleibt nur: weiterarbeiten. Ohnehin wolle er nie aufhören, zu arbeiten, sagt Xenoulis. Seine Webseite hat er da schon längst wieder weggeklickt.

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