Krisengipfel in Brüssel:Euro-Staaten drohen Griechenland nicht mehr mit "Grexit auf Zeit"

Krisengipfel in Brüssel: Griechenland-Gipfel in Brüssel: Premier Tsipras, EU-Kommissionspräsident Juncker und Präsident Hollande

Griechenland-Gipfel in Brüssel: Premier Tsipras, EU-Kommissionspräsident Juncker und Präsident Hollande

(Foto: AP)
  • In Brüssel verhandeln die Chefs der Euro-Länder weiter über eine Lösung der Schuldenkrise in Griechenland. Der Gipfel wird immer wieder für Gespräche in Kleingruppen unterbrochen.
  • Die Euro-Länder haben sich offenbar von der Drohung eines "Grexits auf Zeit" verabschiedet.
  • Die Euro-Finanzminister fordern in einem Papier mehr Reformen von Athen, die zudem bis Mittwoch verabschiedet sein müssen.

Von Daniel Brössler, Alexander Mühlauer und Thomas Kirchner, Brüssel, und Jakob Schulz

Nacht der Gespräche

Für viele der 19 Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone muss die Nacht von Sonntag auf Montag eine frustrierende sein. Sie sind zu einem Euro-Sondergipfel gekommen, der die meiste Zeit ohne sie stattfindet. Immer wieder wird der Gipfel für Gespräche in Kleingruppen unterbrochen. Im Zentrum stehen dabei Kanzlerin Merkel, Frankreichs Präsident Hollande, der griechische Premier Tsipras und EU-Ratspräsident Tusk. So oft kommen die vier zusammen, dass EU-Beamte am frühen Montagmorgen die Übersicht verloren, wieviele Treffen es schon gab. Klar ist aber: Entweder wird in diesem Kreis eine Lösung gefunden oder gar nicht. "Es gibt immer noch Hoffnung", ist zu hören. Großer Streitpunkt ist der von Finanzminister Schäuble geforderte Treuhandfonds mit 50 Milliarden Euro Vermögen als Sicherheit für die Gläubiger. Die Griechen sind empört über diese Forderung. So viele griechische Vermögenswerte seien gar nicht aufzubringen, sagen sie. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) spricht von maximal sieben Milliarden Euro.

Kein "Grexit auf Zeit" mehr

Im Ringen um neue Finanzhilfen verzichten die Euro-Partner Griechenlands auf ihre Drohung eines zeitweiligen "Grexits". Das berichteten Diplomaten am frühen Montagmorgen. In einem Papier der Euro-Finanzminister war die Rede davon gewesen, dass Griechenland vorübergehend die Euro-Zone verlassen müsse, falls keine Einigung über ein Spar- und Reformpaket gelinge. Ein geplanter Privatisierungsfonds sei aber weiter im Gespräch, hieß es. Athen soll Vermögenswerte an diesen Treuhandfonds übertragen, damit dieser sie verkaufen und damit Schulden abtragen helfen kann.

Tsipras' Forderungen

Griechenlands Ministerpräsident Tsipras stellt in der Sitzung der Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder vier Kernforderungen:

  • Der deutsche "Grexit-auf-Zeit"-Vorschlag müsse vom Tisch.
  • Außerdem dürften von der Regierung Tsipras beschlossene Gesetze, die nicht mit den Geldgebern abgestimmt waren, nicht rückgängig gemacht werden.
  • Ferner sollen die griechischen Banken Nothilfen der Europäischen Zentralbank (EZB) sofort in Anspruch nehmen dürfen, damit sie wieder öffnen könnten.
  • Zudem drängt er eine klarere Formulierung zur Schuldenerleichterung.

Die Forderungen der Euro-Länder

Die übrigen Euro-Staaten drängen Griechenland auf dem Gipfel in Brüssel, bis Mittwoch konkrete und weitreichende Reformen im Parlament zu beschließen. Erst danach könnten Verhandlungen über ein neues Kreditprogramm beginnen. Grundlage der Verhandlungen ist ein Papier der Euro-Finanzminister, wonach Athen Mehrwertsteuer-, Renten-, Justiz- und Finanzmarktreformen durchboxen soll. Außerdem soll Griechenland seine Wirtschaft und den Arbeitsmarkt noch stärker liberalisieren.

Unmut in Athen

Die neuen Forderungen provozierten bereits Widerstand in der Athener Koalition. So schrieb Griechenlands Verteidigungsminister Panos Kammenos vom Koalitionspartner Anel auf Twitter: "Jetzt ist klar, dass sie uns vernichten wollen. Es ist genug."

Langer Gipfel erwartet

In Brüssel rechnete ein hochrangiger EU-Beamter am Sonntagabend mit einem sehr langen Treffen. Nach einer ersten Gesprächsrunde wurde der Gipfel für bilaterale Beratungen unterbrochen. Gegen halb zwölf Uhr nachts folgte eine zweite Pause. Weitere Unterbrechungen mit Gesprächen würden folgen, sagte der EU-Beamte: "Jeder arbeitet daran, einen Grexit zu vermeiden."

Athen braucht wohl deutlich mehr Geld

Griechenland braucht in den kommenden drei Jahren wohl deutlich mehr Geld als zuletzt erwartet. Das geht aus dem Arbeitspapier der Euro-Finanzminister an die Chefs der Euro-Länder hervor. In dem Dokument wird der Finanzbedarf Griechenlands auf 82 Milliarden bis 86 Milliarden Euro beziffert. In einer früheren Version waren 74 Milliarden Euro genannt worden. Allein bis Ende August soll Athen 19 Milliarden Euro benötigen. Die Rekapitalisierung der klammen griechischen Banken soll weitere bis zu 25 Milliarden Euro erfordern.

Merkel warnt die Optimisten

Vor dem Treffen der Chefs der Euro-Länder in Brüssel gab sich Kanzlerin Angela Merkel betont zurückhaltend: Die wichtigste Währung - das Vertrauen - sei verloren gegangen, sagte die CDU-Chefin. Es werde keine Einigung um jeden Preis geben. Nun kommt es vor allem auf Merkel an, ob auf diesem Gipfel ein neues Kreditprogramm für Griechenland auf den Weg gebracht werden kann - oder das Land vor dem Grexit steht - dem Ausscheiden aus der Euro-Zone.

Ärger über Schäubles "Grexit-auf-Zeit"-Idee

Finanzminister Wolfgang Schäuble brachte am Samstag in einem Positionspapier einen Grexit auf Zeit ins Spiel. Beim Koalitionspartner SPD entbrannte daraufhin eine heftige Debatte. Auch international erntete der Vorschlag des CDu-Politikers heftige Kritik. So nannte etwa Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann die Idee "entwürdigend". Frankreichs Präsident Hollande wandte sich gegen den Vorschlag. "Es gibt keinen provisorischen Grexit", sagte er. "Frankreich wird alles dafür tun, um zu einer Einigung zu gelangen, die Griechenland den Verbleib in der Euro-Zone ermöglicht", sagte Hollande.

Kritik von Ökonomen

Auch Wirtschaftswissenschaftler urteilten hart über die Vorschläge aus dem deutschen Finanzministerium. Der Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs twitterte: "Griechenland mag inkompetent sein. Die deutsche Führung ist grausam." In einer weiteren Nachricht bezeichnete er die Euro-Zone als "Tollhaus".

Warnung aus Luxemburg

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn rief Deutschland in der Süddeutschen Zeitung (Montagsausgabe) zur Kompromissbereitschaft auf: "Es wäre fatal für den Ruf Deutschlands in der EU und der Welt, wenn Berlin jetzt nicht die Chance ergreift, die sich durch die griechischen Reformangebote ergibt. Der Grexit muss verhindert werden" Und weiter: "Wenn Deutschland es auf einen Grexit anlegt, provoziert es einen tiefgreifenden Konflikt mit Frankreich. Das wäre eine Katastrophe für Europa." Eine Spaltung der EU in Nord und Süd müsse unbedingt verhindert werden. "Die Verantwortung Deutschlands ist riesig. Es geht jetzt darum, nicht die Gespenster der Vergangenheit heraufzubeschwören", mahnte Asselborn.

Renzi: "Genug ist genug"

Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi äußert ebenfalls scharfe Kritik an Deutschland. Eine Demütigung Griechenlands dürfe es nicht geben, sagt Renzi der Zeitung Il Messaggero. "Italien will keinen Austritt Griechenlands aus dem Euro, und zu Deutschland sage ich: genug ist genug." Er wolle Deutschland drängen, eine Einigung mit Griechenland in der Schuldenkrise zu akzeptieren. "Einen europäischen Partner zu demütigen, obwohl Griechenland fast alles aufgegeben hat, ist unvorstellbar", zitierte die Zeitung Renzi weiter.

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