Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise:Warum Griechenlands "Wiedergeburt" so schwierig ist

  • Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras verspricht den Bürgern finanzielle Entlastungen.
  • Unklar ist, wie diese Pläne und die ehrgeizigen Wachstumsziele finanziert werden sollen.
  • Tsipras steht unter Druck, im kommenden Jahr wird die Regierung neu gewählt. Derzeit liegt die Opposition in Umfragen deutlich vorne.

Von Christiane Schlötzer, Athen

Das amerikanische Sternenbanner und die griechische Flagge, in einem Logo vereint, und davor, mit einem Lächeln für die Kameras, der griechische Premier Alexis Tsipras: Einige Politiker der griechischen Linkspartei Syriza haben sich bei diesem Anblick gewiss die Augen gerieben, schließlich gehörte eine kräftige Dosis Antiamerikanismus lange zur DNA der griechischen Linken. Die USA sind in diesem Jahr Ehrengast der Internationalen Messe Thessaloniki, die noch bis zum kommenden Sonntag dauert. Im gut ausgestatteten amerikanischen Pavillon pries US-Handelsminister Wilbur Ross bei einem gemeinsamen Rundgang mit Tsipras Griechenland als "Ort der Stabilität" im östlichen Mittelmeer.

Mit der Türkei, dem Nachbarn der Griechen, haben die USA derzeit Probleme. Ankara und Washington tragen ihre politischen Differenzen auch in einem Handelskonflikt aus, mit Strafzöllen und Beschimpfungen. Ross kündigte nun Investitionen amerikanischer Unternehmen in Griechenland an. Die braucht Athen dringend, wenn wahr werden soll, was Tsipras den Griechen in Thessaloniki versprach: eine wirtschaftliche "Wiedergeburt" ihres Landes, mit weniger Steuern, geringeren Rentenkürzungen und mehr Jobs.

Am 20. August wurde Griechenland nach acht Jahren aus dem Milliardenhilfsprogramm der internationalen Kreditgeber entlassen. Seit Beginn der Krise ist die Wirtschaftsleistung um ein Viertel geschrumpft, die Erholung dürfte länger dauern als bei anderen Krisenländern. Eine voraussichtliche Wachstumsrate von zwei Prozent für 2018 "ist sicherlich enttäuschend" nach einer so tiefen Rezession, schreibt die eher konservative griechische Zeitung Kathimerini. Von dem Blatt befragte Experten rechnen damit, dass Griechenland zehn Jahre für eine Erholung brauchen werde.

Das liegt auch an den Zielen, die Athen im Auftrag seiner Kreditgeber zu erfüllen hat: Haushaltsüberschüsse (ohne Zinskosten) von 3,5 Prozent bis zum Jahr 2022, und danach - bis 2060 - von 2,2 Prozent. Die griechische Zentralbank warnt, so hohe Überschüsse habe bis auf die Erdölproduzenten kein Land der Erde für so lange Zeit erreicht. Zuletzt hat Athen diese Vorgaben vor allem durch stete Steuererhöhungen und die Zurückhaltung bei Investitionen eingehalten. Griechische Unternehmer klagen darüber seit langem.

Tsipras kündigte nun in Thessaloniki für die Jahre 2019 bis 2022 an, die Unternehmensteuer von 29 auf 25 Prozent zu senken, gleichzeitig den Mindestlohn wieder anzuheben, Kleinunternehmer sollen weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. Auch die unpopuläre Eigentumssteuer soll wieder sinken. Familien mit geringen Einkommen sollen mehr Wohnungszuschüsse bekommen, Offiziere und Richter rückwirkend mehr Geld. Dazu ist die Regierung zum Teil durch Gerichtsurteile gezwungen. Insgesamt habe man für diese Erleichterungen bis 2022 einen Spielraum von 3,5 Milliarden Euro, sagte Tsipras, der in seiner Rede auch versprach, die mit den Gläubigern vereinbarten Ziele einzuhalten.

Die Kontrolleure prüfen die Fortschritte alle drei Monate

In Thessaloniki protestierten am Wochenende mehrere tausend Menschen gegen die Sparpolitik der Regierung. Gewerkschaften hatten zu den Protesten aufgerufen. "Wir wollen Jobs und nicht endlose Steuern", stand auf den Transparenten.

Wie gering der griechische Spielraum ist, zeigte sich schon am Montag. Da waren die Kontrolleure bereits wieder in Athen. "Erweiterte Kontrolle" nennt sich das jetzt. Abgesandte von Europäischer Zentralbank, Euro-Rettungsfonds ESM, EU und IWF wollen auch nach dem Ausscheiden aus dem Hilfsprogramm alle drei Monate die griechischen Staatsfinanzen unter die Lupe nehmen, aktuell geht es um den Haushalt für 2019. Hält das Land den Reformkurs ein, soll als Belohnung bis 2022 jährlich eine Milliarde Euro an Athen überwiesen werden. Diese Summe hat Tsipras offenbar schon eingeplant.

Auch von den besonders umstrittenen Rentenkürzungen zum 1. Januar 2019 möchte sich der Premier gern verabschieden. Seine Regierung werde "unseren europäischen Kollegen" erklären, dass diese Maßnahme "nicht nur finanzpolitisch unnötig ist. Sie ist zudem nicht konstruktiv und verhindert Wachstum", sagte Tsipras. Nach Informationen von Kathimerini könnte Tsipras zumindest bei diesem Punkt schon eine Annäherung mit den EU-Partnern erzielt haben. Die EU-Kommission sei bereit, die Kürzungen von Januar auf April zu verschieben, berichtete die Zeitung.

In den Umfragen liegt die Opposition vorne

Das dürfte Tsipras nicht reichen. Denn 2019 ist in Griechenland ein Wahljahr. Im Mai finden Kommunal- und Europawahlen statt. Die Parlamentswahl wäre eigentlich erst für Herbst vorgesehen, aber die konservative Nea Demokratia (ND) drängt, auch diese auf den Mai vorzuziehen. Kein Wunder: Die ND liegt in allen Umfragen vorn, auch in der ersten seit dem Ende des Hilfsprogramms, die gerade für die Zeitung To Proto Thema gemacht wurde. Da beträgt der Vorsprung der Oppositionspartei 10,9 Prozent. 78 Prozent der Befragten machten in dieser Befragung die Regierung auch für das verheerende Ausmaß des Feuers Ende Juli in der Nähe von Athen verantwortlich, mit 98 Toten. Bei der Brandbekämpfung und der Vorsorge haben viele staatliche Stellen versagt.

Der Schwerpunkt der Messe in Thessaloniki liegt in diesem Jahr auf der digitalen Innovation. Interesse an einem eher traditionellen griechischen Gewerbe, an den großen Werften von Skaramangas und Elefsina, samt ihrem militärischen Teil, hat jetzt das US-Unternehmen Onex Shipyards geäußert - in einem Brief an die griechische Regierung. Die erwartet im Lauf der Woche noch weitere gute Nachrichten aus Amerika.

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SZ vom 11.09.2018/vd
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