Griechenland:Revolte gegen das Nichtstun

Die Krise in Griechenland stürzt gerade jene in Existenznot, die am allerwenigsten dazu beigetragen haben. Die Wut ist groß und viele haben es satt, auf Hilfe zu warten. Sie packen selbst an. In einer kleinen Stadt am Fuße des Olymp ist so eine Bewegung entstanden, die längst auf ganz Griechenland ausstrahlt - und womöglich einmal Modell für andere Länder Europas sein wird.

Mit Videoreportage. Von Hans von der Hagen und Sonja Sydow

Was tun, wenn das Leben schief läuft? Bürger der griechischen Stadt Katerini direkt am Fuß des Olymp haben eine Antwort darauf gefunden: Viele von ihnen haben sich der Initiative "O topos mou" ("Mein Ort") angeschlossen, die nicht nur Probleme in der Region lösen will, sondern auch Menschen günstig mit Lebensmitteln versorgt.

Das schon vor der Krise im Jahr 2007 von Elias Tsolakidis gegründete Projekt macht mittlerweile in vielen Regionen des Landes Schule. Tsolakidis, technischer Direktor am European College of Sport Science in Köln, lebt seit 35 Jahren in Deutschland und pendelt regelmäßig nach Griechenland, wo seine Familie wohnt. Darum steckt auch ein Stück Deutschland in dieser Initiative. Eine erstaunliche Geschichte in zwölf Miniaturen.

Wut

Griechenland: Kiki Sidiropoulus, Bürgerin von Katerini: "Ich kann es mir nicht leisten, bei mir selbst zu wohnen."

Kiki Sidiropoulus, Bürgerin von Katerini: "Ich kann es mir nicht leisten, bei mir selbst zu wohnen."

(Foto: szs; Bildbearbeitung: dho)

Es sind bittere Tage, wenn die Kinder zurückkommen. Nicht etwa zu Besuch, aus Lust auf die Eltern. Sondern weil es nicht mehr anders geht. Kiki und Kostas Sidiropoulus, eine Familie in Katerini, kennt die anstrengenden Seiten erzwungener Solidarität, mit der sich viele Griechen durch die Krise retten müssen. Eigentlich wohnt Kiki auf dem Land, unweit Katerinis.

Ihr Mann Kostas hatte bei einer Tankstelle gearbeitet, die die Krise nicht überlebte. Nun reicht das Geld nicht mehr. "Ich kann es mir nicht leisten, bei mir selbst zu wohnen", sagt Kiki. Sie brauche 350 Euro, um das Haus zu heizen. Das Benzin, um nach Katerini zu fahren, wo sie noch in einer Konditorei arbeitet und die Kinder zu Schule gehen, koste weitere 100 bis 150 Euro.

Die einzige Lösung war der Umzug zurück in das Haus der Mutter in Katerini. Dort ist es nun eng geworden: zwei Kinder im Wohnzimmer, die Eltern im Schlafzimmer und die Mutter in der Küche. "Was soll man machen?", fragt Kiki. "Wir haben keine andere Wahl." Woher soll das Geld auch kommen?

Sie arbeitet für etwa 650 Euro im Monat. Ihr Mann Kostas findet nur ab und an eine Tätigkeit, was weitere 100 bis 150 Euro bringen kann. Von den dann insgesamt rund 800 Euro gehen noch Steuern ab und das Haus muss abbezahlt werden. Für die beiden Kinder gibt es 280 Euro - im Jahr. "Das ist nichts", sagt Kiki.

Macht das nicht wütend? Oder überwiegt Resignation?

"Ja, es ist Wut."

Aber die Wut richte sich nicht nur gegen diejenigen, die heute an der Macht sind. "Sondern auch auf uns selbst, weil wir uns nicht gewehrt haben. Jetzt müssen wir den Preis dafür bezahlen."

Griechenland: "Die Vertretungen der regierenden Parteien in den Städten haben wie Geschäfte funktioniert", sagt Elias Tsolakidis, Initiator der Freiwilligenbewegung in Katerini.

"Die Vertretungen der regierenden Parteien in den Städten haben wie Geschäfte funktioniert", sagt Elias Tsolakidis, Initiator der Freiwilligenbewegung in Katerini.

(Foto: szs; Bildbearbeitung: dho)

Doch wann ist es denn endlich mal gut? Wie weit muss Zusammenhalt gehen? Wie lange müssen Eltern für ihre Kinder haften? Es sei schön, dass Solidarität funktioniere, sagen die Menschen in Griechenland. Aber sie könne doch nicht die einzige Antwort auf die Krise bleiben.

Wie sich noch zeigen wird: Sie bleibt es auch nicht.

Sorgsamkeit

Doch wie konnte es so weit kommen? Georgios Baliakas, Lehrer und Schauspieler am Theater in Katerini, spricht von einer inneren Katastrophe - die Beziehung der Menschen zum Recht habe sich gelöst: "Wir haben gute Gesetze hier. Es fehlt aber ein Gesetz, das sagt, dass auch alle Gesetze gültig sind." Was recht ist und was nicht - es war in Griechenland fast egal geworden.

Ein Beispiel: Die Vertretungen der regierenden Parteien in den Städten hätten wie Geschäfte funktioniert, sagt Elias Tsolakidis, Initiator der Freiwilligenbewegung in Katerini (Foto). Jeder konnte hingehen und sich mit seinem persönlichen Wunsch in die Reihe stellen. Der eine wollte auf Kreta studieren, der andere beruflich versetzt werden. Solche Wünsche wurden auf Papier notiert und in Ordner sortiert.

"Ich habe Dir geholfen, jetzt sollst Du mich wählen"

"Ich wurde damals aufgefordert, eine Software für ein solches Büro zu schreiben, um all diese Wünsche archivieren zu können", erinnert sich Tsolakidis. Vor den Wahlen seien sie dann wieder hervorgeholt und die Leute daran erinnert worden, was für sie getan wurde. Das Motto: "Ich habe Dir geholfen, jetzt sollst du mich wählen."

Floss Geld dabei?

"Natürlich. Es wurden dicke Geschäfte abgewickelt."

Ungeheuerlich höre sich das an, sagt Tsolakidis. Aber so sei es gewesen. Jetzt stehe dieses System auf dem Kopf. Es funktioniere nicht mehr. "Viele Menschen glauben aber immer noch, dass sie hinter den Türen der Parteibüros wieder dran kämen, wenn sie bestimmte Leute wählen."

Verdruss

Die innere Katastrophe, die Ent-Ordnung des Lebens - sie ist in Griechenland an jeder Ecke sichtbar. Es gibt da zum Beispiel einen Bürgersteig in Katerini, nur einige Jahre alt und umrandet von weißem Marmor.

Genau dort, wo der Bürgersteig einer Kreuzung folgen müsste, klafft eine große, dreieckige Lücke. Tsolakidis geht oft daran vorbei und jedes Mal ist da wieder diese Wut. Anstrengen muss er sich nicht, um vor Zorn zu beben.

"Zwei Steine wurden völlig unprofessionell dahingeklatscht, Tausende Menschen sind daran vorbeigegangen und keiner hat den Mund aufgemacht. Keiner hat gesagt: "Verdammt noch mal, wer hat das hier gebaut?"

Mit diesen Bildern sei eine ganze Generation groß geworden. Man sehe zwar alles, aber das Gehirn verarbeite nichts mehr, weil es sich an das Kaputte, fortwährend Unperfekte gewöhnt habe.

Strenge

Es war die Wut über den Bürgersteig, die Elias Tsolakidis zum Initianten der Bewegung O topos mou macht. Er hat sich nicht an die Bilder des Kaputten gewöhnt.

Vielleicht weil dieser 54-jährige Mann, der sich in seinen Kapuzenpullis so nahbar gibt und so jürgenkloppig wirkt, vielleicht also weil Tsolakidis eine Strenge in sein Leben aufgesogen hat, die nicht nur über andere richtet, sondern ihn auch selbst antreibt.

Was ist denn seine Begründung, warum er sich nicht an die Bilder gewöhnt habe?

"Wahrscheinlich wegen meiner Familie - und weil ich 35 Jahre in Deutschland gewohnt habe."

Muss denn Griechenland aussehen wie Deutschland?

"Nein, das wäre falsch. Es gibt aber manche Dinge, die hier funktionieren müssen."

Bildung, Gesundheit, Arbeit, Umwelt gehörten dazu - um diese Themen kümmerte sich in Griechenland keiner. "Hier ist Geld das Allerwichtigste und das ist falsch."

Treue

Griechenland brauche einen Systemwechsel, sagt Tsolakidis. Das ist nicht im klassischen Links-Rechts-Muster gemeint, sondern steht für die Suche nach Gerechtigkeit: Einige wenige Familien beherrschten das Land. "Die können Gesetze zu ihren Gunsten entwerfen oder ändern lassen - und dafür muss das ganze Volk bezahlen. Das war immer so." Darum könne der Wechsel nicht von oben, sondern nur von unten kommen.

Als es im vergangenen Winter in Katerini stark geschneit hatte, hätten alle auf die Kommune geschimpft. Warum denn die Stadtreinigung nicht die Bürgersteige frei räume. Aber "der Bürgersteig vor meinen Haus gehört doch zu mir. Ich muss ihn pflegen", sagt Tsolakidis.

Weil solche Gedanken gänzlich unkrisenhaft sind und für jedes Land der Welt gelten, ist die Entstehung der Initiative O topos mou auch gar nicht der Krise geschuldet - sie entstand schon davor.

Feuereifer

Konkret wurde das Netzwerk, als im Jahr 2007 die Wälder in Griechenland brannten. Tsolakidis sah in den Nachrichten, dass die Flammen auch das Museum von Olympia versengten. In dessen Bibliothek hatte er seine Diplomarbeit geschrieben. Daraufhin sei er zur Feuerwehr gegangen und habe gefragt, wie er helfen könne, falls in der Gegend von Katerini etwas passieren würde. Doch die wollten ihn nicht, weil er keine entsprechende Ausbildung hatte, boten ihm aber an, im Jahr drauf wiederzukommen.

Er kam wieder und die Feuerwehr schlug ihm vor, an heißen Tagen den Olymp mit dem Fernglas zu überwachen. Gemeinsam mit Freunden baute er einen Unterstand am Strand und organisierte Ausflüge: Jeden Tag beobachte eine andere Familie den Berg der Götter. Plötzlich waren es mehr als 200 Familien, die den ganzen Sommer über Feuer meldeten. 2012 nahmen 518 Familien teil. Es wird ihnen einfach gemacht: Sie müssen sich lediglich im Internet in eine Liste eintragen, so wie immer bei O topos mou. Einen Chef kennt die Gruppe nicht.

Griechenland: Mühlenbesitzer Athanassios Koutsiaris erzählt, dass die günstigen Preise die Kunden misstrauisch gemacht hätten.

Mühlenbesitzer Athanassios Koutsiaris erzählt, dass die günstigen Preise die Kunden misstrauisch gemacht hätten.

(Foto: szs; Bildbearbeitung: dho)

Bauernschlau

Ohne die Krise hätte wohl kaum jemand außerhalb Katerinis von O topos mou Notiz genommen. Freiwilligeninitiativen gibt es auch anderswo. Doch dann prallten die Nöte zusammen, die der Bauern und Unternehmer und die derjenigen, die die Ökonomen so gerne "Verbraucher" nennen. Der Gang in die Geschäfte ist für viele Griechen zum Albtraum geworden, weil zwar einerseits die Einkommen dramatisch gesunken oder gleich ganz weggefallen sind, die Preise in den Geschäften aber nicht mit dieser Entwicklung synchronisiert wurden: Sie sind so hoch wie vor der Krise.

Im November 2011 hörte Tsolakidis im Radio, dass Bauern aus Protest am Weißen Turm in Thessaloniki Kartoffeln verschenkten. Sie wollten darauf aufmerksam machen, dass sie für jedes Kilo nur wenige Cent bekamen, in den Supermärkten die Kartoffeln dann aber ein Vielfaches kosteten. So entstand die Idee zur Initiative "Ohne Zwischenhändler". Durch sie sollten Bauern mehr Geld für ihre Produkte erhalten - und die Kunden weniger zahlen. Anderthalb Jahre später werden nun schon Kartoffeln, Mehl, Reis, Zwiebeln, Orangen oder Olivenöl aber auch Waschmittel direkt zwischen Produzenten und Privatleuten gehandelt - zu einem Bruchteil des üblichen Preises. "Ohne Zwischenhändler" ist mittlerweile die bekannteste der knapp 20 Initiativen von O topos mou geworden. Andere engagieren sich in Umweltprojekten oder organisieren Proteste gegen die hohen Gebühren für die griechischen Autobahnen.

Griechenland: Unternehmer Savvas Mavromatis hat Schecks im Wert von 300.000 Euro im Tresor, die womöglich nie bezahlt werden.

Unternehmer Savvas Mavromatis hat Schecks im Wert von 300.000 Euro im Tresor, die womöglich nie bezahlt werden.

(Foto: szs; Bildbearbeitung: dho)

Anfangs, berichtet Mühlenbesitzer Athanassios Koutsiaris (Foto), seien die Leute misstrauisch gewesen, weil ihnen die Waren derart billig angeboten worden seien. Sie hätten erst davon überzeugt werden müssen, dass sie für wenig Geld gute Produkte erhielten. Mittlerweile trägt ein Teil seines Mehls schon den Schriftzug von "Ohne Zwischenhändler": als Gütesiegel, denn die Initiative verlangt, dass die Produkte etwa auf Schadstoffe überprüft werden.

Zuversicht

Warum lassen sich so viele Anbieter auf "Ohne Zwischenhändler" ein, auch die Unternehmer, die anders als die Bauern normalerweise nur mit Großhändlern zusammenarbeiten? Sie verdienen ja nicht unbedingt mehr.

Ärger auf dem Markt

Und aus Solidarität tun sie es nicht. Die Antwort gibt Savvas Mavromatis, ein Produzent von Reinigungsmitteln in einem Nachbarort von Katerini. Er hat in seinem Tresor Schecks oder Wechsel seiner Abnehmer im Volumen von etwa 300 000 Euro liegen. "Wertloses Papier", schimpft er. Vielleicht zahlen die Banken dafür in vielen Monaten einmal Geld, vielleicht auch nie. Gerade erst ist wieder ein großer Scheck geplatzt.

Von O topos mou bekommt er hingegen das, was gerade jetzt wichtig ist: Bargeld. Damit kann er seine Schulden, seinen Betrieb und seine Leute bezahlen. Mavromatis stellt sogar ein, weil es so gut läuft.

Glück

Entstanden ist da keine Genossenschaft, auch kein Bauernmarkt. Die Erzeugnisse werden an bestimmten Samstagen auf einem großen Platz am Stadtrand von Katerini angeliefert.

Ortstermin Anfang Februar: Da stehen vier Lastwagen mit 96 Tonnen Zwiebeln und Orangen. Mehr als 80 Helfer sind dabei, die keinen Cent für ihre Arbeit bekommen. 2000 Kunden, die zuvor im Internet Waren bestellt haben, bezahlen bar, fahren mit ihren Autos direkt an die Laster heran. Die Fahrer müssen nicht einmal aussteigen; die Helfer laden die Produkte direkt in den Kofferraum. Morgens um acht sagt Tsolakidis: "Um halb eins ist alles weg." Tatsächlich: Um halb eins ist alles weg. Die Verteilung verläuft schnell und reibungslos, mit schier unheimlicher Präzision. Insgesamt profitierten vielleicht 3000 Familien von der Aktion, immerhin ein Viertel der Stadt, schätzt Tsolakidis.

Was in Katerini auf die Beine gestellt wird, macht Eindruck: Im ganzen Land haben sich knapp 50 Gruppen gebildet, die ähnlich vorgehen und vernetzt arbeiten. Sie beraten sich gegenseitig und warnen einander, wenn ein Produzent versucht, die Käufer über den Tisch zu ziehen. Auch das kommt vor. Teilweise verwenden die Gruppen bereits ein einheitliches "Ohne Zwischenhändler"-Logo auf den Produkten.

Griechenland: "Die sollen erstmal Steuern zahlen", schimpft Vaso Efkarpidu, Marktfrau in Katerini.

"Die sollen erstmal Steuern zahlen", schimpft Vaso Efkarpidu, Marktfrau in Katerini.

(Foto: szs; Bildbearbeitung: dho)

Missgunst

Der Bewegung "Ohne Zwischenhändler" geht es nicht in erster Linie um Wohltätigkeit. Sie will etwas in Bewegung setzen, vor allem neue regionale Wirtschaftskreisläufe. Und das sorgt für Ärger. Auf dem Markt in Katerini etwa regen sich viele Händler über O topos mou auf, denn ihnen bricht das Geschäft weg. "Die sollen erstmal Steuern zahlen", schimpft Vaso Efkarpidu (Foto), die als Marktfrau am örtlichen Markt Obst verkauft. Tsolakidis versichert, "Ohne Zwischenhändler" zahle Steuern.

Ein Großhändler für Obst und Gemüse berichtet, dass der Umsatz um 30 bis 40 Prozent geschrumpft sei. Er kann natürlich nicht genau sagen, welcher Teil davon der Krise und welcher den Aktivitäten der Initiative geschuldet ist. Aber so oder so: Ihm fehlt nun Geld, und das macht wütend. Grundsätzlich unterstütze er aber die Arbeit der Bewegung.

Opportunismus

Griechenland: Savvas Hionidis, Bürgermeister von Katerini, sagt, er wolle kein politisches Kapital aus dem Erfolg von O topos mou schlagen.

Savvas Hionidis, Bürgermeister von Katerini, sagt, er wolle kein politisches Kapital aus dem Erfolg von O topos mou schlagen.

(Foto: szs; Bildbearbeitung: dho)

Und was sagt die Politik? O topos mou lässt sich weder links noch rechts einordnen. Nach Ansicht von Antonios Kalfas, der ebenfalls am Theater Katerini arbeitet und Mitglied der linken Partei Syriza ist, sei gerade das ihr großes Plus: "Die Bewegung wird von vielen Menschen anerkannt, weil sie unabhängig ist. Endlich arrangieren sich Leute aus allen Teilen der Gesellschaft, ganz gleich ob sie konservativ, orthodox oder unpolitisch sind." Die Menschen in Griechenland hassten die Politik, ja, und glaubten trotzdem an sie, sagt Kalfas. Die großen Versammlungen in Athen, wo sich derzeit oft die Unpolitischen, aber auch die Rechten und die Linken treffen würden - das sei fast wie die Agorá in der Antike, als die Bürger auf einem Platz zusammenkamen. Und O topos mou - das sei Agorá im Kleinen.

Es kann also nicht die politische Couleur dieser Bewegungen sein, die manchen Politikern Sorge macht. Es ist deren Erfolg, der allerdings von Ort zu Ort durchaus unterschiedlich ausfallen kann. Einige Politiker versuchen, sich dann an die Spitze solcher Initiativen zu stellen. Der Bürgermeister von Katerini, Savvas Hionidis, beteuert, er wolle kein politisches Kapital aus dem Erfolg von O topos mou schlagen. Er unterstütze lediglich die Bewegung, in dem er etwa einen Platz für die Verteilung der Waren zur Verfügung stelle.

Reibungslos ist das Verhältnis zwischen ihm und Tsolakidis allerdings nicht. Nachdem dieser in einem Zeitungsbeitrag geschimpft hatte, Politik könne nicht mit Whiskyglas und Zigarette in der Hand gemacht werden, verklagte der Bürgermeister Tsolakidis..

Stolz

Der Mann aus Köln weist freilich eigene politische Ambitionen von sich. O topos mou wolle unabhängig sein, "doch das, was wir machen, ist höchst politisch", sagt Tsolakidis: Nur so, von unten könnten die notwendigen Änderungen in Gang gesetzt werden. Die Politiker, die Bürgermeister, sie müssten aus dem Verhalten der Bürger lernen, sich zu verändern. Gruppen wie diese seien darum ein neues Element in der Politik. Sie müssten gemeinsam mit den Parteien das Land stabilisieren und ein neues Griechenland bauen, ergänzt Autor Kalfas. "Es geht doch nicht darum, jeden Samstag nur Mehl oder Milch zu kaufen."

Griechenland: Georgios Baliakas und Antonios Kalfas: "Die Krise ist im Theater ein Thema, das auf Resonanz stößt."

Georgios Baliakas und Antonios Kalfas: "Die Krise ist im Theater ein Thema, das auf Resonanz stößt."

(Foto: szs; Bildbearbeitung: dho)

Im Theater von Katerini haben sie im vergangenen Jahr das Stück "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats" von Peter Weiss gespielt. Das Interesse sei vergleichsweise groß gewesen, sagt Georgios Baliakas, der Schauspieler.

Warum? Weil in diesem Drama Fragen gestellt würden, mit denen sich auch viele Griechen beschäftigten. In einem Dialog zwischen den Herren de Sade und Marat werde diskutiert, wie sich Gesellschaft ändere. De Sade setze dabei auf das Individuum. Wandel in der Gesellschaft könne demnach nur durch die Neuerung des Einzelnen entstehen. Marat hingegen glaubte an die Macht der Revolution und an Bewegung der gesamten Gesellschaft.

Und da ist noch etwas: Nichts ärgert die Griechen so sehr wie der Vorwurf, sie würden nur am Strand liegen und Ouzo trinken. Vielleicht sind die Bürger von Katerini gerade deswegen so stolz auf das, was in ihrem Ort entstanden ist.

Die Freiwilligeninitiative mit ihren mittlerweile 3500 Teilnehmern ist eine von vielen Antworten auf das Chaos im Land, aber eine, die den Leuten erkennbar gut tut. Möglich, dass irgendwann auch mal die Deutschen bei den Griechen nachfragen, wie das geht: Nicht immer nur auf den Staat zu warten.

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