Griechenland-Referendum:"Der Tag, an dem mein Land unterging"

Crisis in Greece

"Sollen wir für den Verbleib im europäischen Haus stimmen, oder nicht?" Der Journalist Tasos Telloglou (nicht im Bild) schreibt über die Tage vor dem Referndum.

(Foto: dpa)

Menschen weinen, Verwandte sprechen nicht mehr miteinander: Es sind bizarre Tage, die Griechenland vor dem Referendum erlebt. Auszüge aus dem Krisentagebuch eines Journalisten.

Von Tasos Telloglou

Die Maschine aus Berlin nimmt Kurs auf Athen. Ist es dieselbe Stadt, die ich drei Tage zuvor Richtung Deutschland verlassen habe? Es ist Mittwochmorgen. Am Abend zuvor hat das Land seine IWF-Schuld nicht bezahlt. Die Kollegin, die mitfliegt, fragt, ob es Zeit sei auszuwandern. Im Januar hatte sie Tsipras gewählt. Und heute? "Ich bin enttäuscht", sagt sie. "Ich werde im Referendum mit 'Ja' stimmen." Also gegen Tsipras.

Die Hallen des Athener Flughafens sind leer. Die Busse von Ktel, dem überregionalen Netz, fahren nicht: Kein Benzin. Ich nehme ein Taxi. Der Fahrer, er heißt Babis, weint während der Fahrt. Er könne seiner Tochter, die in England studiert, kein Geld mehr schicken. Jahrelang habe er Verteidigungsminister Akis Tsochatzopoulos gefahren (der nun im Gefängnis sitzt wegen Bestechung). "Ich kenne die alten Politiker", sagt Babis. "Dann habe ich dieses frische, junge Gesicht gesehen und dachte, Tsipras könne ein Neuanfang sein."

Der Autor

Tasos Telloglou, 53, Journalist, arbeitet für die griechische Zeitung Kathimerini und den TV-Sender Star in Athen.

Ein Freund aus Thessaloniki ruft an. Er erzählt, dass Tankstellenbesitzer zu den Ölfirmen fahren und bar zahlen, damit sie kein Geld über die Banken schicken. Metzger sammelten Geld von den Kunden und importieren Fleisch. Später ein Treffen mit einem Politiker der regierenden Syriza. Er weiß nicht weiter. "Tsipras hatte ein gutes Abkommen mit Merkel und Hollande ausgehandelt", sagt er: "Sie haben in mehreren Punkten nachgegeben, weil sie Griechenland im Euro halten wollen." Doch bei der Schuldenerleichterung habe er nicht bekommen, was er wollte: "Tsipras hat sich verzockt. Der Sonntag wird schwer für ihn. Verliert er, muss er zurücktreten." So etwas hört man nur in Vier-Augen-Gesprächen.

Von Freunden erfahre ich, dass sie mit ihren Freunden über das Referendum streiten, dass Verwandte nicht mehr miteinander sprechen.

Das Land steht still, ist wie eingefroren

Es ist Donnerstag. Nikitas Printzos ist ein Konservativer, Vorsitzender der Bauerngenossenschaft von Volos. Die haben in der Krise ein Plus erwirtschaftet. Er hat eine neue Fabrik ohne Kredit gebaut. Am Telefon erzählt Printzos, er habe die Bauern für die Getreideernte bezahlt. Die hätten jetzt Schecks in den Händen und könnten sie nicht einlösen. "Und mir fehlt das Material, um neue Milchflaschen zu produzieren, das wird importiert. Wenn ich bis Montag nicht kaufen kann, bleiben die Viehzüchter auf ihrer Milch sitzen." Printzos holt tief Luft. Ich kenne ihn seit zehn Jahren, ich weiß, er nicht leicht aufgibt. Nun sagt er: "Der Milchabsatz ist in den letzten drei Tagen auch um 15 Prozent gesunken."

Tsipras erklärt, Bankeinlagen, Löhne und Renten seien sicher. Die Schlangen vor den Bankautomaten sprechen eine andere Sprache. An einem Automaten sagt der vorderste Mann, Tsipras habe es den Kreditgebern "mit seinem stolzen Auftritt" gezeigt. Der Mann dahinter schimpft: "Da ich nicht so stolz bin und an mein Geld will, wirst du mir deinen Platz geben. Wenn ich das letzte Geld abgehoben habe, kannst du bis morgen mit Deinem Stolz leben."

Am Eingang meines Senders steht auch ein Bankomat: Donnerstag, 9.30 Uhr, 20 Kollegen davor. Jeder darf 60 Euro abheben; da die 20-Euro-Noten alle sind, bekommen wir nur 50 Euro. Das ist immer noch viel in einem Land, in dem die meisten unter 800 Euro im Monat haben. Um 11.30 Uhr ist der Automat leer. Finanzminister Varoufakis sagt, seine Frau und er seien die Einzigen, die nicht vor dem Bankomaten standen. Dafür lauern dort Kleinkriminelle, um die Rentner zu bestehlen.

"Dir vertrauen wir, deinen Banken nicht"

Giorgos Ioannidis hat eine Fabrik zur Metallverarbeitung in Thessaloniki, zwölf Angestellte. Nur zwei arbeiten an diesem zweiten Tag des staatlichen Bankrotts. Die anderen hat er in Urlaub geschickt. "Zehn Tage bezahlt, dann unbezahlt", sagt er. Das Land steht still, ist wie eingefroren. Leere Straßen, leere Läden. "Ich schaue den ganzen Tag fern und tue nichts", sagt Christos. Das ganze Land sieht dauernd fern.

Ich kriege 15 bis 20 Telefonate am Tag von Leuten, die Fragen: Wo gehen wir hin? Ich sage dann: Wir fahren auf Sicht. Diese Redewendung habe ich in Berlin Anfang der Woche zum ersten Mal gehört, von einem Vertreter des Bundesfinanzministeriums.

Die humanitäre Krise, von der Syriza so viel geredet hat, sie ist da. Venetis, eine Großbäckerei, verteilt Brot an Arbeitslose, Vodafone verschenkt Handy-Kredite, die Regierung erlaubt Gratis-Fahrten im Verkehrsnetz.

Aber Krankenhäuser müssen zahlen. Ein Lieferant fordert von einer Athener Entbindungsklinik 60 000 Euro. Das Gesundheitsministerium ruft bei der Klinik an, damit der Mann sein Geld bekommt. Als die 60 000 Euro gezahlt sind, will er 80 000. Der Klinikvertreter protestiert. Der Lieferant sagt: "Ich muss 20 000 Euro an die Beamten im Ministerium geben."

Bei der Veranstaltung "Diamonds of the Greek Economy 2015" gewinnt der größte griechische Generika-Hersteller Vianex einen Preis. Der leitende Aktionär Dimitris Giannakopoulos spricht sich als einziger der Oligarchen des Landes für das "Nein" im Referendum aus - also für Tsipras. Sein Unternehmen werde alle Aufträge erfüllen, sogar gegen Kredit, damit genug Medikamente in den Apotheken seien: "Vor uns haben wir ein sehr wichtiges Referendum, das uns Gelegenheit gibt, die Sparpolitik in zu Frage zu stellen." Die Medikamentenausgaben dürften nicht begrenzt werden, die EU wolle Griechenlands Pharmaindustrie "zerstören". Wenige Leute klatschen, viele Unternehmer verlassen aus Protest den Saal.

Freitag spreche ich mit Tasos V. , er produziert Glas. Seit ein paar Tagen verlangen seine ausländischen Lieferanten Barzahlung. "Dir vertrauen wir, deinen Banken nicht", sagen sie. Wie wird er abstimmen? "Zwischen der Irrenanstalt von Syriza und dem Gefängnis, in das mich zwangsläufig die Kosten- und Abgabenlawine führt, bin ich neugierig auf die Irrenanstalt."

Griechenland ist zerrissen wie nie zuvor in den vergangenen sechs Krisenjahren. Sollen wir für den Verbleib im europäischen Haus stimmen, oder nicht? Die Hälfte der Bürger fühlt sich nicht mehr wohl in diesem Haus. Merkt das jemand da draußen? Das ist unser fürchterliches Dilemma. Die Vereinbarung, die die Institutionen vorgeschlagen haben, wird das Land wirtschaftlich nicht lebensfähiger machen - zu hohe Abgaben, zu viele Steuern. Dennoch erscheint mir die Abkoppelung von der Euro-Zone noch schlimmer. Es ist eine Wahl zwischen den Meeresdämonen Skylla und Charybdis.

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