Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Projekt Herkules

Der griechische Aktienmarkt boomt. Besonders die Papiere von Banken sind gesucht. Dabei leiden sie unter faulen Krediten.

Von Victor Gojdka

Man könnte sagen, dass Profianleger Aaron Stern immer wieder völligen Schrott kauft. Momentan, sagt Stern im Börsenfernsehen, sei er ganz heiß auf Titel der griechischen Alpha Bank. Dass in den Bilanzen des Instituts Schrottkredite in Milliardenhöhe lagern, ficht Stern nicht an. "Aus Gegenwind für Griechenland ist Rückenwind geworden", sagt der Investor, grinst verschmitzt und lässt seine Augenbrauen wackeln. Stern, soll das zeigen, traut sich was.

Viele Investmentprofis beobachten derzeit, dass Griechenlands Wirtschaft dieser Tage wie ein Phoenix aus der Asche zu steigen scheint. Seit Jahresbeginn hat der Athener Aktienindex bereits um sagenhafte 42 zugelegt. Damit schlägt die Athener Börse alle anderen Weltbörsen um ein Weites, der deutsche Leitindex Dax humpelt da mit einem Plus von 25 Prozent hinterher. Aus Griechenland, dem einstigen Sorgenkind der Eurozone, ist zumindest am Aktienmarkt ein Spitzenreiter geworden. Plus 42 Prozent? Da sprechen manche schon von der "Ouzo-Börse". Doch Skeptiker befürchten, dass der Börsenboom nur eine Scheinblüte sein könnte. Wenn ein Ort Auskunft über die Lage der griechischen Wirtschaft geben kann, dann sind es die Bankfilialen im Land. Jahrelang herrschte dort Flaute, doch seit diesem Jahr kehren die Menschen verstärkt in die Niederlassungen zurück. "Manchmal stehen sie sogar Schlange", hat Griechenlandexperte Jakob Suwalski von der Ratingagentur Scope bei seinen Reisen beobachtet. Dass so viele Menschen die Filialen bevölkern, macht einerseits Hoffnung: Langsam fassen die Griechen wieder Vertrauen, bringen ihr Geld nach langen Jahren endlich zurück auf die Bank. Dass sie jede Überweisung einzeln tätigen, zeigt andererseits aber auch, dass am Ende des Monats oft kaum Geld übrig ist - und sie für Daueraufträge schlicht noch zu klamm sind. Die Lage in den Bankfilialen spiegelt die wirtschaftliche Situation im Land: An allen Ecken und Enden gibt es noch Probleme, aber die Aussicht ist freundlich.

Der neue Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis weiß genau, was Investoren sich wünschen

Dass der Aktienmarkt seit Jahresbeginn in die Höhe geschossen ist, hat vor allem mit einem Mann zu tun: Im Juli gewann Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Partei Nea Demokratia die absolute Mehrheit im griechischen Parlament. Mitsotakis kommt zwar aus einer der verhassten Politikerdynastien des Landes, er weiß aber ganz genau, wie internationale Anleger ticken. Studium an einer Eliteuniversität, Jobs bei Beratungsfirmen, Investmentgesellschaften und Privatbanken - die Investoren schätzen den 51-jährigen Politiker.

Gleich nach seinem Amtsantritt hat Mitsotakis losgelegt: Posten in Regierung und Ämtern hat er stark mit Technokraten besetzt - und nicht wie früher üblich mit Günstlingen oder Parteisoldaten. Die lästigen Kapitalverkehrskontrollen hat er aufgehoben, Steuern will Mitsotakis radikal drücken. "Denn die vorherige Regierung hat die Steuerschraube völlig überdreht", sagt Ökonom Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Selbständige, sagt er, mussten mitunter bis zu 80 Prozent Steuern zahlen. "Er schneidet damit auch erste alte Zöpfe ab", sagt Kritikos. "Aber es gibt zahlreiche weitere, die noch hängen."

Dazu gehörte bislang auch das einstige Athener Flughafengelände Ellinikon, das endlich privatisiert werden soll: Unternehmen, Einkaufszentren und Luxusimmobilien sollen auf dem 620 Hektar großen Areal für neue Hoffnung sorgen und ausländisches Geld anlocken. Von Ellinikon aus soll ein Zeichen in das ganze Land gehen - und zu Investoren in der ganzen Welt.

Doch nicht nur an den Börsen zeigt sich dieses Jahr eine wundersame Entwicklung, auch die griechischen Anleihemärkte haben Anleger verblüfft. Besonders deutlich wurde das im Frühherbst, als Investoren Griechenland für dreimonatige Staatspapiere erstmals einen Negativzins gezahlt haben. Im Klartext: Der griechische Staat kassiert am Ende der Laufzeit unter dem Strich Geld dafür, dass Anleger ihr Geld bei ihm parken dürfen. Kaum an einer anderen Stelle wurde so deutlich, wie sehr die Europäische Zentralbank mit ihrer Niedrigzinspolitik die Anleiherenditen über den Sommer drückte.

Doch auch die Investoren scheinen wieder zaghaftes Vertrauen in griechische Staatstitel zu fassen: Noch Anfang des Jahres ließen sich Anleger das Risiko bei zehnjährigen griechischen Anleihen mit einer Rendite von mehr als vier Prozent schmackhaft machen, über den Sommer sind die Renditen der zehnjährigen Staatspapiere auf inzwischen 1,51 Prozent zusammengeschmolzen - stärker als die Renditen anderer südeuropäischer Länder. Und das, obwohl sich die Staatsschulden Griechenlands immer noch auf 185 Prozent der Wirtschaftsleistung türmen. "Viele haben Mitsotakis Vorschusslorbeeren geschenkt", erläutert Ratingexperte Suwalski.

Auch die Aufwärtsjagd am Aktienmarkt zeugt von dieser Stimmung. Vor allem griechische Bankaktien stehen bei Investoren derzeit hoch im Kurs, sie tragen den Aufschwung an der Börse im Besonderen. Dabei lagern in den Büchern der griechischen Finanzinstitute immer noch knapp 79 Milliarden Euro an faulen Krediten, wohlgemerkt knapp die Hälfte aller Kredite. Das ist nicht nur eine Last für die Banken, sondern für die gesamte Wirtschaft: Denn wenn in den Banken jederzeit Kredite platzen können, sitzt ihnen permanente Angst im Nacken - und die Häuser vergeben kaum neue Darlehen an Unternehmer im Land. "So bremsen die faulen Kredite gleich doppelt", sagt Scope-Mann Jakob Suwalski.

Nun soll ausgerechnet ein Kunstgriff diese Last mindern, die Banken wollen ihre faulen Kredite vor allem an internationale Investoren losschlagen. Die Hoffnung solcher Schnäppchenjäger: Die kriselnde Finanzmasse zu großen Rabatten aufschnappen und am Ende vielleicht doch noch unerwartet viele Zahlungen aus den Kreditpaketen rauspressen. Damit das attraktiv wird, setzt die griechische Regierung auf ein Großprojekt: Banken sollen ihre faulen Kredite bündeln, der Staat garantiert für die besten Pakete - um die Investoren ein wenig zu beruhigen. Bis 2021 sollen die Problemkredite in den Büchern der Banken so von knapp 79 Milliarden auf rund 26,5 Milliarden Euro sinken, ein ambitionierter Plan. Dem Programm haben die Politiker den klingenden Namen "Projekt Herkules" verliehen. Sie wissen offenbar, welche Aufgabe vor ihnen steht.

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Quelle:
SZ vom 09.12.2019
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