Griechenland geht seine Strukturprobleme an:Wenn die Therapie schmerzt

Es ist unseriös, die miserablen Wirtschaftsdaten in Griechenland als Beleg dafür heranzuziehen, dass das Hilfemodell der Euro-Staaten gescheitert sei. Was Heilung bringen soll, sorgt manchmal dafür, dass die Beschwerden erst einmal zunehmen - diesen Mechanismus gibt es auch in der Wirtschaftspolitik.

Claus Hulverscheidt

In der Homöopathie kennt man das Phänomen der Erstverschlimmerung: Die Kügelchen und Dragees, die Heilung bringen sollen, sorgen erst einmal dafür, dass die Beschwerden sogar noch zunehmen. Erst im Anschluss setzt eine - dafür um so nachhaltigere - Gesundung ein. Einen ähnlichen Mechanismus gibt es auch in der Wirtschaftspolitik: Geht ein Land seine strukturellen Probleme an, indem es etwa das Arbeitsrecht flexibilisiert, abgeschottete Märkte öffnet und Investitionen erleichtert, dauert es oft Jahre, bis sich die Reformen in höherem Wachstum und sinkenden Arbeitslosenzahlen niederschlagen. Bis es so weit ist, herrscht meist Katzenjammer.

Man mag sich angesichts der formidablen Lage, in der sich die deutsche Wirtschaft im weltweiten Vergleich befindet, ja kaum noch daran erinnern - aber das heute hoch gelobte Reformprogramm Agenda 2010 kostete erst vor wenigen Jahren einen Kanzler namens Schröder sein Amt. Vor diesem Hintergrund ist es unseriös, die miserablen Wirtschaftsdaten etwa in Griechenland als Beleg dafür heranzuziehen, dass das Hilfemodell der Euro-Staaten gescheitert sei.

Die hellenische Republik verfügt über keine funktionierende Verwaltung, sie leidet unter Bürokratie, Selbstbedienungsmentalität und Steuerhinterziehung, es mangelt ihr an konkurrenzfähigen Produkten. All das zu ändern, dauert zehn bis 15 Jahre - ein Zeitraum, der für viele Griechen mit Jobverlust, Geldsorgen und Zukunftsangst verbunden sein wird. Wenn die Menschen das nicht wollen, dann muss ihr Land aus der Währungsunion austreten. Wenn es hingegen Euro-Mitglied bleiben will, dann wird es ohne grundlegenden Umbau nicht gehen - Erstverschlimmerung inklusive.

© SZ vom 14.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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