Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Ein Irrlicht namens Varoufakis

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Die griechische Wirtschaft war auf dem Wege der Besserung. Doch dann kamen die neue Regierung und ihr Finanzminister - und es ging bergab. Besinnt sich Tsipras nicht rasch, könnte der Euro für die Hellenen schon in wenigen Wochen Geschichte sein.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Für die Beschreibung der Wirklichkeit kann es gelegentlich hilfreich sein, Zahlen heranzuziehen, die mit der Wirklichkeit gar nichts zu tun haben. Das zeigt ein Blick in den halbjährlichen World Economic Outlook, dessen jüngste Ausgabe der Internationale Währungsfonds (IWF) soeben vorgelegt hat. In dem Bericht sagen die IWF-Experten voraus, dass die griechische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 2,5 und im Folgejahr gar um 3,7 Prozent zulegen wird. Zumindest für 2016 ist das die höchste Zuwachsrate unter allen 19 Euro-Staaten. Nach sechs Jahren Rezession, so hat es den Anschein, haben die tapferen Hellenen endlich die Wende geschafft.

Dumm nur, dass die Prognosen nicht auf dem neuesten Stand sind, sondern von Ende vergangenen Jahres stammen, als in Athen noch der farblose Ministerpräsident Antonis Samaras regierte. Seit dieser sein Amt an den linken Popstar Alexis Tsipras verloren hat, erhalten die IWF-Ökonomen keine frischen Daten mehr, um ihre Vorhersagen zu aktualisieren. Deshalb gibt es über den tatsächlichen Zustand der griechischen Volkswirtschaft derzeit keine Gewissheit, sondern nur Mutmaßungen - die allerdings sind einheitlich: Beim Wachstum liegt Griechenland in Europa nicht vorn, sondern wieder weit hinten.

Man kann über die Frage, ob die bisherige Strategie zur Überwindung der Euro-Krise richtig war, trefflich und zu Recht streiten. Man kann etwa mutmaßen, dass Angela Merkel in Griechenland zu viel in zu kurzer Zeit wollte und die sozialen Folgen ihres Kurses zu wenig bedacht hat. Und man kann sich auch über Professoren und Politiker in Deutschland ereifern, die mit der unverschämten, ja beleidigenden Behauptung, in Griechenland habe sich seit 2010 nichts verändert, Ressentiments geschürt und Reformen erschwert haben.

Investoren wenden sich mit Grausen ab

Die Verantwortung dafür aber, dass das Land just in dem Moment erneut in die Rezession abgleitet, in dem die ersten Erfolge der wahrlich harten Spar- und Reformpolitik sichtbar werden, tragen allein der schillernde Herr Tsipras und sein irrlichternder Finanzminister Yanis Varoufakis: Investoren wenden sich erneut mit Grausen von Griechenland ab, die eigenen Bürger plündern ihre Konten, um das Ersparte in Form von Euro-Geldscheinen in Sicherheit zu bringen. Wo auch immer Varoufakis am Wochenende bei der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington auftauchte, herrschte anschließend Fassungslosigkeit, mancherorts auch Entsetzen.

Weil die Athen-Brüsseler Gespräche seit Wochen nicht vorankommen, wollen sich die Griechen nun Geld in China und Russland leihen - zwei Länder, die für alles Mögliche bekannt sind, aber nicht dafür, uneigennützige Kreditgeber zu sein. Tsipras sollte sich einmal in Afrika erkundigen, welchen politischen Preis ein Darlehen aus Peking haben kann. Auch reichen 15 Milliarden Euro, sollten sie denn jemals fließen, nicht einmal aus, um ins nächste Jahr zu kommen. Wenn Tsipras die politischen Grundkoordinaten seines Landes nicht dauerhaft verschieben will, dann werden es auch künftig die EU-, die Euro und die Nato-Partner sein, auf die er setzen muss. Es zeugt also nicht von Weitblick, wenn er diese Partner um eines kurzzeitigen Erfolgs willen vergrätzt.

Die russische Führung hat den vermeintlichen Deal mit Athen im Übrigen bereits dementiert - was weitere Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Athener Regenten nährt. Besinnt sich Tsipras nicht rasch und macht sich endlich mit den EU-Kollegen an die Arbeit, könnte der Euro für die Hellenen schon in wenigen Wochen Geschichte sein. Für das Projekt Europa wäre das ein herber Rückschlag. In Griechenland selbst aber könnte jene "humanitäre Katastrophe", die Varoufakis in milder Übertreibung bereits heute diagnostiziert, tatsächlich schreckliche Realität werden.

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SZ vom 20.04.2015
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