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Griechenland:Der Grexit - und drei Alternativen

Im April 2010 bat die damalige griechische Regierung um Hilfe. Fünf Jahre später steht das Land wieder mal am Abgrund. Wie geht es weiter? Szenarien für die Zukunft.

Von Cerstin Gammelin und Alexander Hagelüken

Giorgos Papandreou trug geschäftsmäßig Anzug und Krawatte, doch er stand auf einer Insel in der Sonne. Während der damalige griechische Premier die Euro-Partner per TV-Ansprache um Finanzhilfe bat, funkelte hinter ihm das Meer. Weiße Häuschen strahlten auf der Hafenpromenade des Eilands Kastellorizo. Hilferuf vor Urlaubslandschaft: An diesem Donnerstag sind sie genau fünf Jahre her, diese Bilder, die im Rest Europas Skepsis gegenüber dem strauchelnden Sonnenstaat hervorriefen. An diesem Freitag werden die Euro-Finanzminister schon wieder beraten: Wie geht es weiter mit Griechenland? Obwohl seit Papandreous Ansprache im April 2010 mehr als 240 Milliarden Euro an Krediten nach Athen überwiesen wurden, ist es dem Land nicht gelungen, die Krise zu überwinden, die Vetternwirtschaft zu besiegen und die Wirtschaft zu modernisieren.

Seit dem Machtwechsel im Januar hat sich die Lage dramatisch verschlimmert. Die neue Links-rechts-Regierung von Premierminister Alexis Tsipras zapft alle verfügbaren Geldquellen an, um ihre Verbindlichkeiten zahlen zu können. Gegner der Rettungsprogramme fordern hingegen, dass Griechenland aus der Euro-Zone hinausgeworfen wird. Ihr Kalkül: Wenn Athen kein Geld mehr auftreiben und es seine Schulden nicht mehr bedienen kann, das Land also bankrott ist, dann würde dies die Griechen automatisch aus dem Euro-Gebiet katapultieren. Diese Hoffnung wird sich allerdings womöglich nicht erfüllen. Vítor Constâncio, Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, sagte am Montagabend vor dem Europäischen Parlament: "Der EU-Vertrag sieht nicht die Möglichkeit vor, ein Land auszuweisen." Es gebe "keinen Automatismus, wonach ein Zahlungsausfall gegenüber einem oder mehreren Kreditgebern zu dem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone führen könnte".

Die Kreditgeber verhandeln seit Wochen mit der Regierung in Athen. Sie sind bereit, die Reformvorschläge, die die Tsipras-Truppe in den vergangenen Wochen nach Brüssel übermittelt hat, weitgehend zu akzeptieren. Was fehlt, ist allerdings eine Vereinbarung, was mit den bereits von der Vorgängerregierung zugesagten Reformen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Renten passiert. Am Dienstag verlautete in Brüssel, es gebe in der Sache keinen Durchbruch. Und ohne Durchbruch gibt es keine Reformagenda, ohne Reformagenda wiederum, so die offizielle Beteuerung, kein Geld aus dem noch bis 30. Juni laufenden Hilfsprogramm.

Wie also geht es mit Griechenland weiter, fünf Jahre nach dem dramatischen Appell auf der schönen Insel? Vier mögliche Szenarien für die Zukunft des Landes.

1. Einigung auf Reformen

Der Wirtschaftsberater Jens Bastian hat in 16 Jahren in Griechenland etwa zehn Premierminister erlebt, aber so etwas wie die im Januar gewählte Regierung Alexis Tsipras noch nicht: "Eine Mischung aus Dilettantismus und Planlosigkeit" beobachtet der Deutsche, der für die EU-Taskforce arbeitete. "Sie haben nicht nur keinen Plan A, sondern auch keinen Plan B."

Vermutlich muss man so gut mit dem Land vertraut sein wie Bastian, um darin nicht nur etwas Schlechtes zu sehen, sondern auch eine Chance. Tsipras sei eben planlos - und daher keineswegs so stark auf einen linkspopulistischen Anti-Reformkurs festgelegt, wie es die genervten Euro-Partner empfinden: "Bei ihm hat ein Realitätscheck eingesetzt." Zumal der Regierung rasend schnell das Geld ausgeht: In den kommenden Wochen muss sie für Staatsgehälter, Renten und Schuldendienst mehrere Milliarden aufbringen. Per Erlass zwingt sie bereits Staatsbetriebe, ihre Guthaben zur Verfügung zu stellen.

Bastian hält es daher für die wahrscheinlichste Lösung, dass ein einsichtiger gewordener Tsipras sich mit den anderen Euro-Regierungen und dem IWF auf ein moderates Reformpaket einigt. "Das wäre das beste Szenario für das Land", glaubt der Frankfurter Ökonomie-Professor Volker Wieland. Geholfen wäre dem Staat aber nur mit wirklichen Reformen, sagt Wieland: Die Bürokratie müsste abgebaut, die Korruption bekämpft, das Steuersystem modernisiert werden.

Ist so ein Szenario wahrscheinlich?

Bisher will die Regierung Tsipras vor allem Reformen der früheren Regierungen zurückdrehen und Privatisierungen stoppen. Selbst beim Kampf gegen die grassierende Steuerhinterziehung gibt es sehr widersprüchliche Signale. So soll die Tsipras-Regierung neuerdings Steuersündern, die dem Staat mehr als eine Million Euro schulden, Strafen und Verzugszinsen erlassen und Ratenzahlungen erlauben, etwa dem russischen Milliardär Ivan Savvidis, Besitzer des Fußballklubs Paok Thessaloniki. "Für eine linke Regierung leistet sie selbst beim Kampf gegen Steuerbetrug nicht viel", kritisiert der Wirtschaftsweise Wieland. "Sie weiten die Ausnahmen sogar noch aus."

Kein Wunder, dass es Skepsis gibt, ob die Regierung Tsipras wirklich eine Einigung mit den Kreditgebern durch ernsthafte Reformen sucht. Hans-Werner Sinn, der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, glaubt es nicht: "Das erste Szenario wird es nicht geben", erklärt er. Er hält eine andere Entwicklung für wahrscheinlich:

2. Weiterwursteln

In diesem Szenario schlägt die Regierung Tsipras keinen echten Reformkurs ein - wird aber weiter von den Kreditgebern finanziert. "Ich kann mir vorstellen, dass sie Geld von den Partnern bekommen. Es würde aber bei der Massenarbeitslosigkeit bleiben", sagt Sinn.

Commerzbank-Ökonom Christoph Weil meint, die Regierung Tsipras arbeite seit Langem auf dieses Szenario hin. Die Drohungen mit einer möglichen Pleite, die Ankündigung einer Volksabstimmung, das Flirten mit Russland und China - alles darauf angelegt, die Euro-Partner zu erpressen, auch ohne ernsthafte Reformen Geld auszuzahlen. Tsipras könne aus innenpolitischen Gründen gar nicht mehr grundlegend nachgeben, lieber verlasse er den Euro. Zugleich hält Weil die anderen Regierungen für wankelmütig: "Ich habe immer wieder erlebt, dass sie einknicken."

Was würde das bedeuten?

In Griechenland würde es wirtschaftlich nicht aufwärts gehen - und das Land dauerhaft am Tropf der Geldgeber hängen. Die Auszahlung der letzten Raten aus dem aktuellen Hilfsprogramm wäre nur der Anfang, angeblich fehlen in den kommenden drei Jahren weitere 30 Milliarden Euro, rechnet die Commerzbank vor. Im Sommer 2014 gab es konjunkturelle Hoffnungszeichen, mehrere Institutionen rechneten für dieses Jahr mit deutlich mehr als zwei Prozent Wachstum. Dann trübte sich die Lage im vierten Quartal 2014 ein. Bereits vor dem Regierungswechsel begannen die Griechen, weniger Steuern zu zahlen. Seither stocken viele Investitionen.

Die Commerzbank rechnet für dieses Jahr inzwischen mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um ein halbes Prozent. Was für ein Rückschlag. "Die jetzige Regierung hat das Pflänzchen der Hoffnung zerstört", beklagt der Wirtschaftsweise Wieland. "Es ging ja aufwärts."

Knicken die Euro-Regierungen gegenüber Athen ein, sieht er auch "ein fatales Signal an andere Euro-Staaten, die hart reformieren". Commerzbank-Analyst Weil hält ein Durchwursteln ohne Besserung für schlimmer als einen Grexit, ein Verlassen des Euro: "Lieber jetzt als später. Und lieber dann der Bevölkerung helfen, als weiter solche Regierungen finanzieren."

Soweit zu den Gefahren eines Weiterwurstelns. Und was, wenn die Euro-Partner hart bleiben und ohne Reformen Hilfszahlungen verweigern? Dann droht der schlingernden Regierung Tsipras rasch Szenario drei:

3. Zahlungsausfall

Schon jetzt kratzt die Regierung das Geld für staatliche Leistungen oder den Schuldendienst mühsam zusammen. Wenn sie offiziell die Zahlungen einstellt, wäre der Staatsbankrott da - und potenziell eine Kettenreaktion: Es droht auch griechischen Banken die Pleite.

Die Investmentbank Goldman Sachs kommt in einer Studie allerdings zu dem Schluss, dass Athen auch bei einem Zahlungsausfall im Euro-System verbleiben kann. Grundsätzlich bestätigt das EZB-Vizepräsident Constâncio. Goldman Sachs wählt einen pragmatisch-realistischen Ansatz. Könnte die Regierung ihre Kredite nicht zahlen, dann bauten sich Zahlungsrückstände auf. Die könnten später wieder abgebaut werden. Kann die Regierung ihre Beamten nicht zahlen, gibt es Schuldscheine, die gegen Euro getauscht werden können. Womöglich entsteht ein Parallelwährungssystem. Um einem Ansturm auf die Banken vorzubeugen, müssten Kapitalverkehrskontrollen eingeführt werden wie 2013 auf Zypern.

Das klingt beherrschbar. Nach einem Zahlungsausfall ist allerdings vieles möglich - auch ein Aufruhr, der Neuwahlen erzwingt. Und womöglich eine kooperationsbereitere Regierung an die Macht bringt, was den Europartnern gefallen würde. Womöglich aber auch wieder eine sehr radikale Regierung. Denkbar auch, dass ein Zahlungsausfall Griechenlands Kreditwürdigkeit noch mehr beschädigt. Und dass sie der Anfang eines endgültigen Absturzes ist, an dessen Ende die Kreditgeber große Anteile ihres Geldes verlieren.

4. Ausstieg aus dem Euro

Der EU-Vertrag sieht einen Ausstieg eines Landes aus dem Euro nicht vor. Ifo-Präsident Sinn hält den Grexit trotzdem für den einzigen Weg, damit das Land wieder alleine wirtschaften kann: eine Rückkehr zur Drachme, die gegenüber dem Euro stark abwertet. So würde das Land wieder wettbewerbsfähig: "Griechenland ist noch viel zu teuer." Sinn erwartet, dass die Griechen dann heimische Produkte kaufen statt teurer gewordener Importware, dass mehr Touristen kommen und das Fluchtkapital zurückkehrt.

Wirtschaftsberater Bastian befürchtet dagegen eine "soziale Katastrophe. Er lebte schon in Athen, als es die alte Drachme noch gab: "Die Wirkung einer Abwertung verpufft schnell. Eine Abwertung löst die strukturellen Probleme der Verwaltung, der mangelnden Investitionen und der fehlenden Exportfähigkeit nicht." Ein Grexit wäre aus dieser Sicht eine noch größere Talfahrt. Die Commerzbank erwartet, dass die Wirtschaft im ersten Jahr um zehn Prozent einbricht. Weitere Folgen: unabsehbar.

Mit Einnahmen in Drachmen könnte die Regierung jedenfalls kaum die Kredite der Hilfsparteien von deutlich mehr als 200 Milliarden Euro zurückzahlen - ein herber Verlust auch für den deutschen Steuerzahler. Sinn hält einen Schuldenerlass allerdings ohnehin für unerlässlich, damit das Land wirtschaftlich eine Chance hat. Nach einer Übergangsphase könne es sogar in den Euro zurückkehren.

Unter den Euro-Staaten gilt ein Grexit bisher als unwahrscheinlich. Allerdings halten die Partner die Risiken daraus für geringer als noch vor Jahren. Sie glauben inzwischen nicht mehr, dass ein griechisches Aus Staaten wie Portugal oder Spanien beschädigen würde.

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Quelle:
SZ vom 22.04.2015
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