An diesem Sonntag geht es um "die Situation". So nennt die Europäische Zentralbank (EZB) in ihrer typisch kühl-minimalistischen Mitteilung das, was am Samstag passiert ist: Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis und die anderen Minister der Euro-Gruppe haben ihre Verhandlungen abgebrochen. Damit läuft - Stand jetzt - das Programm am Dienstagnacht aus, das die Regierung in Athen mit Notfallkrediten versorgt. Am kommenden Sonntag sollen die Griechen abstimmen, ob sie das weitere Sparprogramm befürworten. Es war Voraussetzung für die Auszahlung der nächsten Milliardentranche des Kreditprogramms. Die 18 übrigen Euro-Finanzminister neben Varoufakis haben ihr Verhandlungsangebot aber zurückgezogen. "Die Situation" ist also ziemlich verfahren.
Warum schauen jetzt alle auf die Europäische Zentralbank?
Die Frage ist, ob die EZB Griechenland den Stecker zieht. Die Banken des Landes sind Zombie-Institute. Ihnen geht es schlecht, sie haben wenig eigenes Kapital. Die Griechen heben in Scharen ihre Ersparnisse ab, weil sie Angst haben, was damit passiert. Das schwächt die Geldhäuser weiter. Die EZB hält die Institute bisher mit Emergency Liquidity Assistance am Leben. Das ist Notfall-Geld, das sicherstellen soll, dass die Institute flüssig sind und die Bürger weiter Geld abheben und Überweisungen tätigen können. Die Notkredite kommen von der nationalen Zentralbank in Athen, formal gesehen billigt die EZB sie derzeit täglich. Nur eine Zweidrittelmehrheit im EZB-Rat könnte das stoppen. Darin sind die Chefs der Notenbanken der Euro-Länder und die EZB-Direktoren vertreten.
Das läuft doch schon lange. Warum jetzt die Dramatik?
Die Emergency Liquidity Assistance ist nur als Überbrückung gedacht. Die EZB darf sie nur gewähren, wenn die Banken und der Staat, der hinter ihnen steht, zahlungsfähig ist, also genügend Kapital in der Hinterhand hat. Griechenland bekommt derzeit an den Finanzmärkten de facto keine Kredite. Die einzigen Einnahmen der Regierung in Athen neben Steuern sind Kredite der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Um zahlungsfähig zu bleiben, braucht Athen also das Rettungsprogramm - das aber wegen der geplatzten Verhandlungen Dienstagabend ausläuft. Von Mittwoch an steht also die Solvenz Griechenlands in Frage - und damit die Grundlage für die Emergency Liquidity Assistance.
Wer sagt denn, dass die Notfallhilfe nicht etwas länger gewährt werden könnte?
Die EZB selbst. Es gab schon einmal in der Euro-Krise den Fall, das ein Land kurz davor stand, keinen Zugang zu internationalen Finanzmärkten zu haben und ohne Notfallprogramm dazustehen: Zypern im Jahr 2013. Damals teilte die EZB mit: " Emergency Liquidity Assistance kann nur erwogen werden, wenn ein EU/IWF-Programm in Kraft ist, das die Solvenz der betroffenen Banken sicherstellt." Wenn die EZB jetzt anders entscheidet, widerspricht sie sich selbst. Das könnte ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen - und damit das höchste Gut, das eine Zentralbank besitzt. Die Zuverlässigkeit einer Notenbank soll garantieren, eine Währung stabil zu halten.
Was könnte die EZB entscheiden?
Sie könnte die Banken von Mittwoch an nicht mehr unterstützen. Geldautomaten würden leer bleiben, Kunden könnten Überweisungen nicht mehr ausführen, weil die Beträge bei der Bank selbst nicht mehr gedeckt wären. Für die griechische Wirtschaft, die sowieso schon am Boden liegt, wäre dies ein extremer Schock.
Könnte die EZB nicht doch die eigenen Regeln noch so interpretieren, dass Griechenland noch ein paar Tage bleiben?
Vielleicht. Die EZB will (und darf eigentlich) keine Politik machen. Wenn sie die griechischen Banken in die Pleite schickt, könnte Chaos ausbrechen, ein Staatsbankrott könnte folgen. Die Regierung könnte ihre Beamten nicht mehr bezahlen, keine Renten mehr überweisen. Das auszulösen, ist nicht die Aufgabe der EZB. Sie soll eben nur die Währung stabil halten. Eine politische Lösung ist theoretisch immer noch möglich, das betonen auch Jeroen Dijsselbloem, der niederländische Finanzminister und Chef der Euro-Gruppe, in der alle Euro-Finanzminister Mitglied sind, sowie IWF-Chefin Christine Lagarde. Somit könnte die EZB eventuell die Hilfe verlängern, bis das Ergebnis des Referendums klar ist. Legt die EZB einen Tag fest, bis zu dem sie die Banken am Leben erhält, kommt das einem Ultimatum an die Regierung gleich. Denkbar ist dann auch, dass angesichts dessen die Volksabstimmung auch wieder abgesagt wird.
Was passiert in Griechenland, wenn die Banken kein Notfallgeld mehr bekommen?
Zeichnet sich eine potenzielle Pleite der Institute ab, könnte es zu einem Sturm auf die Banken kommen. Bürger wollen ihr Geld abheben, weil sie den Geldhäusern nicht mehr trauen. In der Emergency Liquidity Assistance ist ein Puffer von rund drei Milliarden Euro eingebaut. Am Samstag haben die Griechen eine Milliarden Euro abgehoben, normal sind an einem solchen Wochenendtag 30 Millionen Euro. Der Puffer würde also wohl nicht ausreichen, die Banken von Mittwoch an bis zum Samstag vor dem Referendum flüssig zu halten. Die Regierung in Athen könnte kurzfristig Bank-Feiertage ausrufen, an denen die Institute geschlossen bleiben, um das zu verhindern. Oder sie führt sogenannte Kapitalverkehrskontrollen ein. Diese begrenzen, wie viel Geld am Automat abgehoben werden darf, zum Beispiel nur noch 300 oder 100 Euro am Tag pro Konto. Bargeld dürfte in einem solchen Fall auch nur nach bestimmten Regeln nach Griechenland ein- und ausgeführt werden.
Ist Griechenland nicht eh am Dienstag pleite, weil das Land dem IWF einen Kredit zurückzahlen muss?
Rund 1,6 Milliarden Euro muss Athen dann zurückzahlen. Dafür fehlt wohl das Geld. Allerdings gilt Athen nicht sofort als insolvent, sondern die Zahlung gilt zunächst als "im Verzug" (hier der genaue Zeitplan in den IWF-Statuten als PDF). Zahlt Griechenland sechs Monate nicht, stünde der EU-Staat in einer Reihe mit Somalia, Sudan und Simbabwe. Es wäre ein schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit der Regierung. Aber, so absurd es klingt, das ist das momentan kleinste Problem Griechenlands.