Griechenland:Das Endspiel

Als Griechenland am Abgrund stand, half die Staatengemeinschaft eilig aus, um den Euro vor dem Zerfall zu bewahren. Doch ein Schuldenschnitt ist jetzt die einzig vernünftige Lösung.

Catherine Hoffmann

Ein Jahr ist es her, da packte Europa die Panik: Griechenland stand am Abgrund der Pleite. Von der Angst erfüllt, der Euro könnte zerbrechen, schnürten Euro-Zone und Internationaler Währungsfonds (IWF) ein milliardenschweres Paket. Geld genug, so hoffte man, um Athen für drei Jahre den Rücken frei zu halten. Irland und Portugal folgten bald. Auch die Europäische Zentralbank griff ein und kaufte, was neu war, notleidende Staatsanleihen. Ziel der hektischen Maßnahmen: einen Dominoeffekt vermeiden, der auch Spanien und Italien mitreißt; die Banken schützen, die den Löwenanteil der Zinspapiere schlingernder Staaten in ihren Büchern halten; und den Euro vor dem Zerfall bewahren.

Parthenon

Der Euro würde eine Umschuldung Griechenlands überleben. Er würde sogar gestärkt, wenn nicht länger alle Staaten bedingungslos für schlechte Politik haften.

(Foto: Cliff Wassmann)

All dies sind noch immer gute Argumente für die Rettung, aber kein Grund, nicht über den nächsten Schritte nachzudenken: einen Schuldenschnitt. Die Anleger hatten Zeit, die ökonomischen Unterschiede der einzelnen Euro-Mitglieder zu erforschen: Die Banken hatten Gelegenheit, fragwürdige Anleihen zu verkaufen. Und das Fortbestehen des Euro stellen nicht einmal mehr die Spekulanten an der Wall Street in Frage.

Doch nichts bewegt sich. Stur halten die Retter an dem einmal eingeschlagenen Kurs fest. War Phase eins der Krise von Furcht und ein bisschen Reue geprägt, so herrschen in Phase zwei Verdrängung und Verleugnung vor. Weder ökonomische Kenntnisse noch das Wissen um die jahrhundertealte Geschichte von Schuldenkrisen und Staatspleiten schützen Politiker vor der Illusion, dass ihre Operation gelingen könnte. Jede Kritik an den getroffenen Maßnahmen wird als Angriff auf Europa abgetan, hinter dem entweder mangelhaftes Verständnis oder hemmungslose Gier amerikanischer Investmentbanker steckten, die sich gegen Europa verschworen hätten.

Die Unredlichkeit dieser Argumente ist für jeden erkennbar, der sich um Verständnis bemüht. Doch Berlin und Brüssel lassen nichts unversucht, das Volk einzulullen. Sie wollen den Deutschen einreden, dass ihre Medizin wirkt, dass Europa gesundet, wenn noch mehr Schulden gemacht und neue Garantien ausgesprochen werden. Keine Bank müsse auf ihre Forderungen verzichten, nur die Bürger sollen bluten. Griechen, Iren und Portugiesen werden Löhne und Renten gekürzt, im Dienste der Wettbewerbsfähigkeit und Haushaltssanierung. Griechenland, glauben die Helfer, kehrt schon in zwei Jahren an den Kapitalmarkt zurück. Die Anleger sind dann so beeindruckt vom Turnaround der Hellenen, dass sie ihnen gerne Geld leihen, so das offizielle Credo. Und Athen kann allmählich seine kolossalen Schulden abtragen.

Die Zweifel an dieser Logik wachsen. Die Kurse griechischer Anleihen stürzen ab, weil die rabiaten Sparpläne nicht helfen; die Schuldenquote steigt weiter, die Bevölkerung murrt. Die Akteure an den Finanzmärkten glauben nicht an eine sanfte Lösung, sie fürchten den unvermeidlichen Zusammenbruch. Heulen und Zähneklappern zeichnen Phase drei des griechischen Dramas aus. Die europäischen Eliten sind verwirrt: Sollte ihre Flucht aus der Wirklichkeit scheitern?

Spielt Brüssel weiter auf Zeit, versinkt Griechenland noch tiefer im Schuldensumpf, dann folgt 2013 dem alten Rettungsschirm ein neuer. Die Regierung in Athen wird entmündigt und ihre Altschulden, die noch in privaten Händen verblieben sind, werden ebenso wie die jüngsten Kredite von EU und IWF durch neue abgelöst. In ein paar Jahren säßen Euro-Partner, Währungsfonds und Notenbank auf allen Schulden Athens, die Transferunion wäre vollkommen. Wo bleibt der Nicholas Brady Europas, der den Wahnsinn verhindert?

Der einstige amerikanische Finanzminister hatte vor mehr als 20 Jahren hoch verschuldeten Entwicklungsländern wie Mexiko und Brasilien eine neue Chance gegeben, indem er die internationalen Banken zum teilweisen Schuldenverzicht zwang. Insbesondere die amerikanischen Finanziers waren zunächst entsetzt. Aber sie mussten zugeben: Niemand, nicht einmal sie selbst, glaubte noch daran, dass die Südamerikaner die Milliarden, die sie sich gepumpt hatten, jemals abstottern würden.

Auch die Gläubiger Griechenlands - und vermutlich auch anderer Peripherieländer - müssen den Regierungen einen großen Teil ihrer Schulden erlassen; es geht nicht anders. Kommt das Eingeständnis früh genug, teilen sich staatliche Retter und private Gläubiger die Lasten: Derzeit steht Hellas bei ihnen mit insgesamt 340 Milliarden Euro in der Kreide. Damit Athen ein erträgliches Schuldenniveau erreicht, müsste es von 60 Prozent seiner Altlasten befreit werden. Der Vorteil dieser Lösung: Nicht nur die Steuerzahler wären dran, auch die privaten Gläubiger würden eingebunden, die maroden Staaten so blauäugig Geld geborgt haben.

Funktionieren wird dies nur, wenn Politiker alle Illusionen über Bord werfen, eine Umschuldung könnte auf freiwilliger Basis gelingen. Es wäre ein großer Wurf, mit großen Risiken. Nicht alle Banken werden den hohen Abschreibungen gewachsen sein. Die Politiker in Berlin und andernorts müssten ihren Wählern die 180-Grad-Wende vom Retten zum Rasieren erklären. Und die Schockwellen des Haircuts wären auch in Lissabon und Dublin zu spüren.

Doch der Euro würde überleben. Er würde sogar gestärkt, wenn nicht länger alle Staaten bedingungslos für schlechte Politik haften.

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