Griechenland-Besuch:Schäuble wagt sich in die Höhle des Löwen

Griechenland Athen Proteste Schäuble

Proteste in Athen: Mit den ungeliebten Sparprogrammen verbinden viele Griechen auch Bundesfinanzminister Schäuble

(Foto: dpa)

Ungeliebter Gast: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat mit dem Spardiktat die griechischen Bürger gegen sich aufgebracht. Jetzt fliegt er in das Land, dem noch viel Schlimmes bevorsteht.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel, und Claus Hulverscheidt, Berlin

Für Menschen außerhalb des Schwabenlandes spricht Hans-Joachim Fuchtel in kaum verständlichen Zungen. Doch nicht nur das: Mit dem markanten Schnauzbart und der lustigen Minipli-Frisur sieht der freundliche 61-Jährige auch so aus, als sei er aus den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts direkt in die heutige Zeit gebeamt worden. Und dass er ein, zwei Pfund zu viel auf die Waage bringt, würde er ebenfalls nie bestreiten.

In Griechenland stört all das niemanden. Für die im Schuldensumpf steckenden Hellenen ist dieser Hans-Joachim Fuchtel vielmehr der lebende Beweis dafür, dass nicht alle Deutschen zu beinharten Spar-Bürokraten und kaltherzigen Sozialstaatszerstörer mutiert sind. Seit zwei Jahren bemüht sich der Christdemokrat im Auftrag von Kanzlerin Angela Merkel darum, jenseits der großen Politik die kleinen Dinge in Griechenland voranzubringen.

So reisten auf seinen Vorschlag hin Dutzende deutsche Bürgermeister in die griechische Provinz, um ihre dortigen Kollegen beim Aufbau einer funktionierenden Verwaltung zu beraten. Umgekehrt vermittelte der Staatssekretär aus dem Arbeitsministerium arbeitslose griechische Ärzte in die deutsche Provinz. Hans-Joachim Fuchtel ist als Griechenland-Beauftragter der Bundesregierung derjenige deutsche Politiker, der die Scherben aufkehrt, die seine prominenteren Berliner und Münchener Kollegen allmonatlich zerdeppern.

"Wer ist Herr Schäuble, dass er Griechenland kränkt?"

Kollegen wie Wolfgang Schäuble zum Beispiel, der an diesem Donnerstag in Athen erwartet wird. Mit seinen wiederholten Ratschlägen und öffentlichen Belehrungen hat es der Bundesfinanzminister ausweislich einer Meinungsumfrage nicht nur geschafft, acht von zehn einfachen Bürgern in Griechenland gegen sich aufgebracht.

Auch Präsident Karolos Papoulias geriet heftig in Wallung. "Wer ist Herr Schäuble, dass er Griechenland kränkt?", tobte der sonst so besonnene Staatschef im vergangenen Jahr. "Ich kann nicht hinnehmen, dass Herr Schäuble mein Land beleidigt." Schäuble hatte zuvor bezweifelt, dass sich alle griechischen Politiker ihrer Verantwortung bewusst sind und indirekt von einer weiteren Parlamentswahl noch im Jahr 2012 abgeraten.

Mittlerweile haben alle Beteiligten ihre Emotionen zumindest so weit im Griff, dass sich der Minister nun in die Höhle des Löwen traut. Von seinen Forderungen nach lückenloser Umsetzung der vereinbarten Spar- und Reformprogramme, das hat Schäuble bereits deutlich gemacht, wird er auch in Athen nicht abrücken. Zugleich will der ungeliebte Gast aber signalisieren, dass die Deutschen - und auch er selbst - zur Bewältigung der Krise mehr anzubieten haben als Sparvorschläge, Sanierungsprogramme und Belehrungen.

Konkret wird der Minister der Regierung in Athen offerieren, dass die deutsche Staatsförderbank KfW kleine und mittlere Betriebe in Griechenland, die händeringend nach bezahlbaren Krediten für Investitionen suchen, indirekt mit zinsgünstigen Darlehen unterstützt. Im Gespräch ist eine Summe von bis zu 100 Millionen Euro. Eine ähnliche Vereinbarung hat das Finanzministerium bereits mit Spanien geschlossen, auch mit Portugal wird verhandelt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Griechen zunächst selbst eine staatliche Förderbank aufbauen. Es werden also noch Monate vergehen, bevor Geld fließen kann.

Loch in der Finanzplanung

Wichtiger als die KfW-Hilfe sind jedoch die Diskussionen hinter verschlossenen Tür. Zwar hat sich die wirtschaftliche Lage in Griechenland etwas stabilisiert, und auch bei der Senkung der Staatseinnahmen sowie der Erhöhung der Einnahmen ist die Regierung zur Überraschung vieler Kritiker einigermaßen auf Kurs. Dennoch klafft in der Finanzplanung für dieses und nächstes Jahr ein großes Loch, unter anderem deshalb, weil weniger Staatseigentum privatisiert werden konnte als ursprünglich geplant. Die Euro-Partner, allen voran Deutschland, werden also womöglich erneut Geld nachschießen müssen, wenn auch zunächst nicht in den Größenordnungen früherer Hilfsaktionen. Auch die Frage eines zweiten Schuldenschnitts im Jahr 2014 oder 2015 steht weiter im Raum.

Merkel und Schäuble ist wegen der bevorstehenden Bundestagswahl naturgemäß daran gelegen, die Frage eines weiteren finanziellen Entgegenkommens vorerst so weit von sich fern zu halten wie möglich. Gleichzeitig werden die Griechen in ihren Forderungen nach einem neuerlichen Forderungsverzicht ihrer Gläubiger offensiver, weil sie wissen, dass die Kanzlerin und ihr Finanzminister ebenso wenig ein Interesse daran haben, wenige Monate vor der Wahl das gesamte Rettungskonstrukt zum Einsturz zu bringen.

"Das Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll"

Von einem solchen Forderungsverzicht wären erstmals nicht nur private Geldgeber wie Banken, Versicherungen und Investmentfonds betroffen, sondern allen voran die öffentlichen Gläubiger, also die EU-Partnerländer sowie womöglich auch der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB).

Keine schöne Aussicht für Merkel, doch für einen Ausstieg aus der Rettungspolitik ist es nach fast vier Jahren wohl zu spät - auch angesichts der erwähnten kleinen Erfolge, die dank des harten Sanierungskurses in Griechenland sichtbar werden. "Vergleicht man die derzeitige Lage mit der vor 18 Monaten, dann muss man sagen: Das Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll", heißt es auch in der Bundesregierung, wobei die Einschränkung gleich auf dem Fuße folgt: "Vergleicht man andererseits den Reformeifer der Iren mit dem der Griechen, kann man auch zur Ansicht gelangen, dass das Glas doch halb leer ist."

Die EU-Kommission in Brüssel hat sich für die erste Lesart entschieden. Ranghohe Beamte verweisen nicht nur darauf, dass der konservativen Ministerpräsident Antonis Samaras seinen Modernisierungswillen bereits mehrfach unter Beweis gestellt habe, sondern sind auch der Ansicht, dass die Regierungskoalition seit dem Ausstieg des dritten Partners vor einigen Wochen sogar stabiler sei als vorher. Sie verfügt über eine Mehrheit von sieben Stimmen und besteht wie vor der Krise aus Samaras' Nea Dimokratia und der sozialistischen Pasok.

Trotz solcher Lichtblicke verschweigt man in Brüssel nicht, dass es weiterhin eine Vielzahl von Problemen gibt. Da wäre die Steuerverwaltung, die es immer noch nicht schafft, die Steuergesetze zu vollziehen. An diesem Mittwoch etwa steht ein Gesetz zur Reform der Einkommensteuer im Parlament zur Abstimmung. Darin geht es unter anderem darum, dass die Steuerbeamten nicht mehr jeden Bürger monatelang routinemäßig prüfen, sondern dass sie Risikogruppen identifizieren und diese gezielt unter die Lupe nehmen. Zudem soll es möglich werden, dass Behördenchefs, die ihre Aufgaben nicht erfüllen, zwangsversetzt werden können. Zur Bekämpfung der Korruption soll zudem die maximale Dienstzeit für ein und denselben Posten auf sieben Jahre begrenzt werden.

Entlassungen und Zeitarbeit

Auch bei der Privatisierung geht es nicht rasch genug voran. Zwar ist das Gasversorgungsnetz gerade an ein Unternehmen aus Aserbaidschan verkauft worden, der Kaufpreis von 400 Millionen Euro soll in den nächsten Wochen überwiesen werden. Für den Gasversorger des Landes aber fand sich kein einziger Interessent. Der Konzern wird jetzt zum zweiten Mal ausgeschrieben. Um die Fortschritte hier wie in allen anderen Bereichen besser kontrollieren zu können, haben die internationalen Kreditgeber mit der Regierung in Athen jetzt Monatspläne entwickelt, die Schritt für Schritt abgearbeitet werden sollen.

Das größte Problem ist und bleibt jedoch die notwendige Verschlankung des Staatssektors, die ja nichts anderes bedeutet als den massiven Abbau von Stellen - und das in einem Land, das im sechsten Jahr in Folge in der Rezession steckt und in dem bereits jeder dritte Bürger im erwerbsfähigen Alter keinen Job mehr hat. Bei den jungen Menschen ist es sogar jeder zweite. Insgesamt sind 1,3 Millionen Menschen auf der Suche nach einem Arbeitsplatz.

Kreditgebern gehen die Job-Kündigungen nicht weit genug

Um den öffentlichen Dienst auf ein Niveau zu bringen, das die Regierung sich leisten kann, geht Samaras nach der sogenannten 5:1-Regel vor: Für fünf Mitarbeiter, die aus Altersgründen ausscheiden oder den Job wechseln, darf nur ein einziger neuer eingestellt werden. Noch in diesem Jahr sollen 4000 Staatsbedienstete gehen, bis Ende 2014 sogar 15.000. Weitere 25.000 Mitarbeiter sollen Teil einer sogenannten "Mobilitätsreserve" werden. Findet sich für sie im Laufe mehrerer Monate keine andere Stelle im öffentlichen Dienst, werden viele wohl auf der Straße stehen.

Den Kreditgebern geht das allerdings noch nicht weit genug, weil es weiterhin nicht möglich sein soll, Mitarbeiter direkt und regulär zu entlassen. Dabei räumen die griechischen Behörden selbst ein, dass sie Tausende Beschäftigte auf ihren Gehaltslisten führen, die nicht zur Arbeit kommen, die ihre Papiere gefälscht haben oder gegen die ein Disziplinverfahren läuft.

Ein weiteres Problem ist das der Zeitarbeiter. Insgesamt 4000 Betroffene haben aus unterschiedlichen Gründen gegen ihre Verträge geklagt, und da die Gerichte in Griechenland oft Jahre brauchen, um selbst simpelste Fälle zu entscheiden, laufen die Verträge einfach weiter - zur Freude der Beschäftigten, die ihren Lohn weiter erhalten.

Einen Teil der Probleme will das Parlament an diesem Mittwoch mit der Verabschiedung gleich mehrerer Gesetze angehen. Schäuble, der von diesen Abstimmungen bei der Festlegung seines Besuchstermins nichts wusste, muss hoffen, dass Samaras eine Mehrheit zustande bringt. Andernfalls könnte der Donnerstag für den Gast aus Berlin heikel werden: Ein Sparkommissar zu Besuch bei Reformverweigerern - das ist eine Konstellation, von der sogar Berater des Ministers sagen, dass ihnen beim Gedanken daran unwohl wird.

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