Griechenland am Abgrund:Dax fällt zum Start um vier Prozent

An anti-austerity protester burns a euro note during a demonstration outside the European Union (EU) offices in Athens

Angst vor dem Lehman-Moment: Ein EU-Gegner in Athen arrangiert sich zumindest schon mal dem Austritt aus dem Euro

(Foto: REUTERS)
  • Die Eskalation der Griechenland-Krise erschreckt deutsche Aktienanleger. Der Dax fällt zur Eröffnung um etwa vier Prozent ins Minus.
  • Der Euro fällt leicht, erholt sich aber schon wieder.
  • Der Ausstieg eines Mitglieds aus dem Euro-Raum war bislang nicht vorgesehen. Experten halten die europäischen Institutionen trotzdem für stark genug, eine Pleite Griechenlands abzufedern.

Analyse von Markus Zydra

An den globalen Finanzmärkten spricht man wieder über Lehman Brothers. Die überraschende Pleite der amerikanischen Investmentbank stürzte die Welt im Herbst 2008 in die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise seit den Dreißigerjahren. Nun steht Griechenland vor der Pleite. Droht der Welt dadurch ein zweiter Lehman-Moment?

Die Finanzmärkte werden in aller Regel nur dann richtig nervös, wenn unerwartete Dinge geschehen. Nun kann man nicht behaupten, dass ein Grexit völlig überraschend käme. Deutsche Großbanken jedenfalls erklärten schon am Sonntag, man habe sich seit langem auf einen Hellas-Kollaps vorbereitet.

Die Börsen hatten sich allerdings in den letzten Tagen auf eine Einigung zwischen Gläubiger und griechischer Regierung eingestellt, in Athen waren die Aktienkurse gestiegen. Nun müssen die Spekulanten umdisponieren. Vor allem die riskanten Aktien und die Staatsanleihen finanzschwacher Euro-Staaten kommen jetzt auf den Verkaufszettel.

Das zeigte sich am Montagmorgen. Anleger verkauften Dax-Aktien, der deutsche Leitindex fiel zur Eröffnung um mehr als vier Prozent, unter die Marke von 11 000 Punkten. Der Euro fiel zwischenzeitlich um etwa eineinhalb Cent, das ist nur ein moderater Verlust. Der Kurs erholte sich am Montagmorgen schon wieder.

Gundsätzlich haben viele Investoren seit Wochen eine verstörende Gelassenheit an den Tag gelegt. Tenor: Der Grexit sei mit Lehman nicht vergleichbar. Nach einigen turbulenten Wochen würde deutlich werden, dass die Euro-Zone ohne Griechenland sogar stabiler dastünde.

Kann Draghi halten, was er der Welt versprochen hat?

Und wenn nicht? Im Ernstfall setzen die Märkte auf Mario Draghi. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) hatte schließlich 2012 versprochen, "alles zu tun, um den Euro zu retten". Dieses Versprechen gelte auch für eine Euro-Zone mit 18 Mitgliedern. So einfach denkt man sich das.

In der Tat konnte Draghis Schutzschild in den letzten drei Jahren für Ruhe sorgen. Doch ein Grexit verändert die Lage. Wie glaubwürdig ist das Versprechen der EZB dann noch bei der nächsten Schuldenkrise in Portugal oder Spanien? Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz bezweifelt, dass Draghi damit noch einmal durchkommt. Durch den Ausstieg Griechenlands, so Stiglitz, wisse alle Welt, "dass Europa eben nicht alles tut, um den Euro zu retten". Der Keim des Zweifels an Europa erhalte neue Nahrung.

Die Währungsunion ist für die Ewigkeit ausgelegt, sie gilt als unwiderruflich. Der Ausstieg eines Mitgliedslandes, der Grexit, ist nicht vorgesehen. Griechenland wäre ein gefährlicher Präzedenzfall, mit negativen Folgen für das Wachstum in Europa. Ein Beispiel: Wenn heute ein deutsches Unternehmen in Portugal investiert, geht die Firma davon aus, dass diese Euro-Investition kein Wechselkursrisiko birgt. Doch künftig könnten sich europäische Unternehmen fragen, ob nicht irgendwann auch Portugal infolge einer Schuldenkrise den Escudo wieder einführt und damit die Rentabilität der Investition gefährdet.

Das sind die Lehren aus vergangenen Staatspleiten

Die internationale Wirtschaftsgeschichte kennt zahlreiche Beispiele von Staatspleiten. Den Fällen gemeinsam ist, dass die Folgen für den Rest der Welt stets unterschiedlich ausfielen. Jede Staatspleite entwickelt sich anders. Der griechische Staatsbankrott wäre ein spezieller Fall, weil er innerhalb eines gemeinsamen Währungsraums stattfände. Es ist also unmöglich zu prognostizieren, wie Investoren, Unternehmer und Anleger auf einen Grexit auf lange Sicht tatsächlich reagieren würden.

Große Sorgen machen sich jedoch die griechischen Nachbarn in Bulgarien, Mazedonien, Rumänien und Serbien. Dort führen griechische Banken viele Filialen. Die Institute gelten als sicher, weil sie dem griechischen Staat kein Geld geliehen haben sollen. Die Kunden sind beunruhigt. In Bulgarien halten griechische Banktöchter rund 20 Prozent der gesamten Spareinlagen. Bulgarische Exporteure sind zu sieben Prozent durch griechische Institute finanziert, so die New York Times. Die Pleite Griechenlands könnte also auf dem Balkan für Turbulenzen sorgen.

Man sollte dieser Tage auch zurückdenken, wie sich die Wahrnehmung verändert hat. Im Jahr 2010 haben Europas Politiker den Fall Griechenland noch wie ein "Lehman-Ereignis" behandelt. Damals fürchtete man ein Übergreifen der griechischen Schuldenkrise auf andere Staaten und auf den europäischen Bankensektor. Auch aus diesem Grund schnürte man damals die Rettungspakete für Athen.

Manche Experten sehen nun eine andere Lage. "Die ausländischen Banken haben ihr Engagement in Griechenland in den letzten Jahren massiv zurückgefahren", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Man könne einen Grexit nicht mit der Lehman-Pleite vergleichen. "Die Bankkunden in den anderen hochverschuldeten Ländern wie Spanien oder Italien würden im Falle eines Grexit wohl nicht ihre Banken stürmen, weil sie wissen, dass Griechenland politisch und wirtschaftlich ein Sonderfall ist", so Krämer.

Europas Kontrollstruktur wurde zudem gestrafft. Die europäische Bankenaufsicht liegt bei der EZB. Dort können die Aufseher zentral die Risiken eines Grexit für das Bankensystem überwachen. Auch durch den Aufbau des Euro-Rettungsschirms ESM und den Bankenabwicklungsmechanismus steht die Euro-Zone stabiler da. "Europa verfügt jetzt über die Instrumente, um eine Ansteckung der Krise auf andere Staaten zu verhindern", sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Die Situation im Jahr 2015 sei nicht mit der von 2011 zu vergleichen. Der Ökonom sagt, dass Italien und Spanien durch ihre wirtschaftspolitischen Reformen viel besser dastünden und weniger verletzlich seien als noch vor vier Jahren. "Die Systemkrise in der Euro-Zone ist vorbei."

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