Die Lage ist ernst. Griechenland braucht frisches Geld, sonst muss die Regierung in Athen Bankrott anmelden. Sollte es dazu kommen, bekämen vor allem Europas Steuerzahler die Rechnung präsentiert. So weit, so klar. Doch die wirklichen Abläufe eines Grexit kennt niemand. Ein solches Ereignis gab es noch nicht. Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie viel Zeit hat Athen noch?
Die griechische Regierung und die Gläubiger müssen sich bis spätestens 30. Juni auf eine Lösung im Schuldenstreit einigen, denn an diesem Tag läuft das aktuelle Hilfsprogramm aus. Gibt es eine Übereinkunft, kann der Gouverneursrat des Euro-Rettungsfonds ESM die Hilfen in Höhe von 7,2 Milliarden Euro an Griechenland auszahlen. Bevor das passiert, müssen die Regierung in Athen und die Geldgeber sich aber auf einen Reformkatalog einigen. Dieser muss dann von der Euro-Gruppe, die turnusgemäß am 18. Juni tagt, genehmigt werden. Der Deutsche Bundestag und alle anderen nationalen Parlamente der Eurozone müssten dem dann noch zustimmen.
Wann spricht man vom Grexit?
Der Grexit müsste in einem Ausstiegsvertrag zwischen Athen und der EU beschlossen werden, schließlich wurde die Eurozone für die Ewigkeit gegründet. In den Verträgen der Währungsunion ist deshalb nicht geregelt, wie der Ausstieg eines Mitgliedslandes zu vollziehen ist. Die Eurozone kann Griechenland nicht rauswerfen.
Was ist die größte Gefahr?
Viele Politiker und Notenbanker befürchten, dass der Grexit schmutzig abläuft. Denn was würde passieren, wenn Griechenland seine Schulden nicht mehr bedienen kann, aber dennoch in der Eurozone bleiben möchte und sich einem Ausstiegsvertrag verweigert? Wie ginge man damit um, würde Griechenland eine Parallelwährung einführen? Auch um dieses Durcheinander zu verhindern, sucht man seitens der Geldgeber nach einer Einigung.
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Wie viel Geld steht auf dem Spiel?
Insgesamt haben die Geldgeber Griechenland etwa 321 Milliarden Euro geliehen. Gläubiger sind der Internationale Währungsfonds (IWF), die Europäische Zentralbank (EZB) und vor allem der Euro-Rettungsschirm EFSF ( siehe Grafik). Deutschland steht für 50 Milliarden Euro gerade.
Griechenland hat die drei im Juni anstehenden Tilgungszahlungen an den IWF zu einer einzigen zusammengefasst, die erst Ende des Monats fällig wird. Kann Athen weitere Zahlungen aufschieben?
Nein. Eine in den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts geschaffene Regelung erlaubt es einem IWF-Mitgliedsstaat, mehrere in einem Kalendermonat anstehende Tilgungsraten zu einer zu vereinen - nicht mehr und nicht weniger. Dabei reicht es, wenn die betreffende Regierung den Fonds über ihr Vorhaben informiert, einer Zustimmung der IWF-Gremien bedarf es nicht. Der letzte Staat, der diese Möglichkeit in Anspruch nahm, war Sambia - vor drei Jahrzehnten.
Was passiert, wenn Griechenland tatsächlich eine Kreditrate an den IWF nicht zurückzahlt?
Technisch betrachtet läuft zwei Wochen nach einem Zahlungsausfall ein mehrstufiges Verfahren an, das mit einer Mahnung an die Regierung in Athen beginnen würde. Nach vier Wochen müsste IWF-Chefin Christine Lagarde den 24-köpfigen Exekutivrat informieren. Nach drei Monaten könnte den Griechen der Zugang zu ihren Kapitaleinlagen beim IWF gekappt werden, nach zwölf bis 15 Monaten würde der Fonds dann jede Unterstützung des Landes einstellen. Nach insgesamt zwei Jahren würde ein Ausschlussverfahren eingeleitet, das im Rauswurf des Landes aus dem Fonds gipfelte.
Was wären die Folgen für den IWF?
Ein Zahlungsausfall hätte womöglich gewaltige politische Konsequenzen, denn noch nie in der fast 70-jährigen IWF-Geschichte konnte ein Industrieland sein Geld nicht zurückzahlen. Der IWF verlöre seinen Nimbus als Vorzugskreditgeber der Welt und müsste womöglich seine gesamte Kreditvergabestruktur verändern. Im Ergebnis bekämen vermutlich gerade jene Länder keine Darlehen mehr, die die Hilfe des Fonds am dringendsten benötigen. Und schließlich geriete auch IWF-Chefin Lagarde unter Druck: Der Französin wird unter der Hand vor allem aus Südamerika und Asien schon heute ein übertriebenes und zu riskantes Engagement in Europa vorgeworfen.
Könnte auch die EZB durch eine Pleite Athens Geld verlieren?
Ja, die EZB hat noch griechische Staatsanleihen im Wert von etwa 25 Milliarden Euro in ihrem Besitz. Sollte Griechenland etwa die nächste Tilgung im Juli versäumen, wäre das ein Zahlungsausfall. Für den Verlust haften die einzelnen Notenbanken der Eurozone. Auf die Bundesbank entfielen davon 27 Prozent.
Wer steht für die Notkredite an griechische Banken gerade?
Die griechischen Banken sind seit Februar auf Nothilfen (Emergency Liquidity Assistance, kurz ELA) angewiesen. Dabei vergibt die griechische Notenbank auf eigenes Risiko Kredite an die heimischen Geldhäuser. Die EZB muss diese Nothilfen jedoch jede Woche genehmigen. Der Betrag beläuft sich mittlerweile auf 83 Milliarden Euro. Griechische Bürger und Unternehmen räumen wegen der ungewissen Zukunft ihre Konten leer. Diese Nothilfen finanzieren den Kapitalabfluss. Geht Griechenland pleite, verkauft die griechische Notenbank die hinterlegten Sicherheiten, vor allem griechische Staats- und Bankanleihen. Dabei gibt es Risikopuffer: Eine Anleihe im Wert von einer Million Euro wird also beispielhaft nur mit 600 000 Euro beliehen. Wenn die Sicherheiten trotzdem nur mit Verlust verkauft werden können, bleibt die griechische Zentralbank auf dem Fehlbetrag sitzen.
Ist die EZB auf der sicheren Seite?
Nicht unbedingt. Aufgrund der vielen Auslandsüberweisungen griechischer Bürger hat die EZB über das europäische Zahlungssystem Target an die griechische Notenbank Forderungen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Wenn die griechische Zentralbank den Betrag im Falle einer Staatspleite nicht zurückzahlen kann, würde die EZB haften und sich das fehlende Kapital dann anteilsmäßig von den Mitgliedsnotenbanken holen. Die Bundesbank könnte dann über Jahre keinen Gewinn mehr an das Finanzministerium abliefern.
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