Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingskrise:Geschäft an der Grenze

  • Die Flüchtlingskrise ist für viele Unternehmen ein gutes Geschäft, vor allem dann, wenn sie Sicherheitstechnik liefern.
  • Rüstungs- und Telekommunikationskonzerne, aber auch Mittelständler verdienen seit einigen Jahren viel Geld mit dem Ausbau von Grenzanlagen.
  • Branchenbeobachter schätzen, dass der Markt weiter wächst und Europa zum größten Abnehmer wird.

Von Kristiana Ludwig

Die Widerhaken am Stahlband gleichen Rasiermessern, Klingendraht gilt als effektiver als Stacheldraht. Auf Mauern, Gittern und an Grenzen soll er Menschen aufhalten. Klingendraht ist besser bekannt als Nato-Draht. Und der ist heute gefragt; viele Staaten zäunen sich ein gegen den Ansturm der Flüchtlinge. Von der Krise profitieren Sicherheitsfirmen.

Zäune, Kilometer um Kilometer

Bulgarien hat an seiner Grenze zur Türkei einen 35 Kilometer langen Zaun gebaut. Er soll jetzt um 130 Kilometer verlängert werden. Griechenland hat zwölf Kilometer Stahl zwischen sich und die Türkei gezogen, und Ungarn baut an der Grenze zu Serbien an einem 175 Kilometer langen Wall. "In Krisen können wir uns vor Aufträgen kaum retten", sagt Talat Deger, Geschäftsführer des Drahtherstellers Mutanox in Berlin, "weil sich jeder einzäunt". Deger hat sich kürzlich dagegen entschieden, Klingendraht nach Ungarn zu liefern. "Nicht human" sei sein Produkt, sagt er, wenn man es in losen Rollen auf dem Erdboden verteilt, um fliehende Menschen zu bremsen. Einer seiner größten Konkurrenten, der spanische Produzent European Security Fencing, hatte in Ungarn weniger Skrupel. "Wir haben das Material nur geliefert, nicht installiert", sagte ein Sprecher der spanischen Zeitung El Mundo.

Der Londoner Branchendienst Strategic Defence Intelligence (SDI) erwartet, dass sich Europa in den nächsten zehn Jahren zu einem der größten Märkte für Grenzverteidigung entwickelt, mit einem Wachstum von knapp zwei Prozent jährlich. "Vor allem für die Landgrenzen steigen die Investitionen", sagt SDI-Mann James Moseley. Er schätzt, dass Privatunternehmen in diesem Jahr rund 3,9 Milliarden Dollar mit der Ausrüstung europäischer Grenzschützer verdienen.

Es locken öffentliche Aufträge

Um die Einwanderung zu kontrollieren, braucht es aber weit mehr als Zäune. Weil Europas Außengrenzen auch im Mittelmeer verlaufen, kaufen die Polizeibehörden Patrouillenboote und Überwachungstechnik, sie lassen Unternehmen Satellitenbilder auswerten und Software entwickeln, um die Daten der Migranten zu sammeln. Vor allem Rüstungskonzerne bieten moderne Grenzsicherungssysteme an. Europas Grenzschutzbehörde Frontex hat in diesem Jahr ein Budget von 114 Millionen Euro, mit dem sie auch Luftfahrtfirmen beauftragt, Land und Meer zu beobachten. Die EU unterstützt ihre Mitgliedstaaten zudem aus zwei Fonds bei der Grenzsicherung.

Zwischen 2014 und 2020 sollen gut neun Milliarden Euro fließen. Der Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus Group etwa entwickelte für Rumänien seit 2004 Grenzschutzsysteme inklusive Grenztürmen und Kommunikationssystemen. Mehr als eine Milliarde Euro nahm er damit ein. Seine Expertise machte Airbus anschließend wieder zu Geld: 2009 exportierte der deutsch-französische Konzern ein komplettes Grenzsystem nach Saudi-Arabien.

Auch Rüstungskonzerne wie die französische Thales Group, die italienische Finmeccanica oder der Drohnenhersteller Indra aus Spanien haben sich im Grenzschutzmarkt etabliert. Das französische Rüstungsunternehmen Morpho erhält dem Wirtschaftsdienst SDI zufolge in den nächsten vier Jahren im Schnitt 36,5 Millionen Euro aus den europäischen Sicherheitsbudgets. Morpho hat sich zum Beispiel auf Fingerabdruck-Scans an Flughäfen spezialisiert und beteiligt sich damit auch an einem EU-Pilotprojekt, das "intelligente Grenzen" testet.

Auch Deutsche Konzerne sind dabei

In Deutschland ist die Telekom-Tochter T-Systems in diesem Geschäft. Zusammen mit anderen europäischen Firmen arbeitet sie an grenzüberschreitenden Migrantendatenbanken. Die Bundesregierung hat aus den EU-Fonds für Grenzsicherheit bis 2022 mehr als 134 Millionen Euro beantragt. Von dem Geld profitiert auch das Essener Unternehmen Secunet, das zu Giesecke & Devrient gehört und zusammen mit der deutschen Polizei Gesichtsscanner für Großflughäfen entwickelt hat - und ihr die Geräte nun verkauft.

Bei der Opposition stoßen diese Anschaffungen auf Kritik. Der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko fordert, "keine weiteren Gelder in entsprechende Technologien zu investieren". Flucht lasse sich nicht "mit Grenzkontrolle einhegen", sagt er. Die englische Bürgerrechtsorganisation Statewatch bemängelt den Einfluss von Rüstungsunternehmen auf die Grenzpolitik der EU. In Brüssel entscheidet eine Sicherheitsberatergruppe darüber, welche Forschungsprojekte die EU finanziert. Firmen wie Airbus und Morpho sitzen mit am Tisch und sicherten sich anschließend selbst die Forschungsaufträge - für Drohnen, die Flüchtlingsboote verfolgen, oder künstliche Nasen, die Menschen in Transportern "erschnuppern" sollen. "Es besteht ein Interessenkonflikt", sagt Statewatch-Aktivist Chris Jones. Auch das Fraunhofer-Institut spiele eine Doppelrolle, weil es die EU sowohl in Sachen Grenzschutz berät als auch für sie forscht.

Einige Unternehmen verdienen auch an den Abschiebungen. England beauftragte private Sicherheitsunternehmen damit, abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatländer zurückzubringen. Deutschland zahlt im Schnitt 84 000 Euro, um ein Flugzeug zu mieten. Die EU-Kommission hat kürzlich einen Plan vorgelegt, wie sie Abschiebungen besser koordinieren will. Frontex soll bald ein Abschiebebüro bekommen.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2015/sry
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