Grenzkontrollen:Die wegen der Flüchtlinge eingeführten Grenzkontrollen kosten die EU Milliarden

Refugees Flow Slows On German-Austrian Border

Da stehen sie und kontrollieren: Polizisten an der A 3 am Grenzübergang von Österreich nach Deutschland. Wie hier entstehen auch bei Salzburg teils lange Staus.

(Foto: Johannes Simon/Getty Images)
  • Betroffen sind alle: Firmen, die auf Lieferungen warten, Touristen auf dem Weg in den Urlaub.
  • Seit Mitte vergangenen Jahres haben Schweden, Frankreich, Deutschland und Österreich temporäre Ausnahmen von Schengen beantragt, um Ankommende an den Grenzen teilweise zu kontrollieren.
  • Die ausnahmsweisen Kontrollen in den vier Staaten reduzieren Europas Wohlstand um neun bis 15 Milliarden Euro im Jahr, vor allem in den betroffenen Ländern, rechnen die Ifo-Forscher vor.

Von Alexander Hagelüken

Die Europäische Union versucht durch einen umstrittenen Deal mit der Türkei, den Flüchtlingsstrom zu begrenzen. Doch nach der Schließung der Balkanroute wird spekuliert, nun kämen viele Menschen über Libyen und das Mittelmeer. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Österreichs Außenminister Sebastian Kurz betonten noch am Freitagabend die Hoffnung, Grenzkontrollen am viel befahrenen Brenner-Übergang ließen sich vermeiden. In dieser unsicheren Lage entbrennt nun eine Debatte, wie viel Wohlstand solche Kontrollen Europa kosten.

Wie sich die Kontrollen auswirken, erleben die Bürger seit vergangenen Sommer ganz real. An Grenzübergängen etwa zwischen Deutschland und Österreich bilden sich zeitweise kilometerlange Staus. Das Filzen von Autos, Bussen und Lastwagen kostet Zeit. Das Ganze schneller zu machen - das war die Logik des Schengen-Abkommens, in dem seit den 90er-Jahren nach und nach mittlerweile 22 EU-Staaten das Wegfallen von Kontrollen vereinbarten. Berechnungen zeigen, dass eine Grenze zwischen zwei Schengen-Staaten 20 Minuten schneller zu passieren ist als eine Grenze zu einem Land außerhalb des Schengen-Raums.

Seit Mitte vergangenen Jahres haben Schweden, Frankreich, Deutschland und Österreich temporäre Ausnahmen von Schengen beantragt, um Ankommende an den Grenzen teilweise zu kontrollieren. Schon das reduziert die Wirtschaftsleistung erheblich, zeigt eine neue Studie des Münchner Ifo-Instituts, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die längeren Wartezeiten erhöhen die Transportkosten, verteuern dadurch die Waren und verringern den Handel.

Pro Jahr ergebe sich für 24 EU-Staaten ein Wohlstandsverlust von bis zu 140 Milliarden Euro

Sie halten Touristen vom Reisen ab und behindern viele Firmen, die ihre Produktion auf eine lagerschonende Lieferung von Teilen in letzter Minute "just in time" umgestellt haben. Die ausnahmsweisen Kontrollen in den vier Staaten reduzieren Europas Wohlstand um neun bis 15 Milliarden Euro im Jahr, vor allem in den betroffenen Ländern, rechnen die Ifo-Forscher vor.

Die wirklich große Frage aber ist: Was löst eine Verstärkung der Flüchtlingskrise aus, die zu einer flächendeckenden Einführung von Kontrollen in Europa führt? Die Antwort ist für alle europäischen Politiker wichtig, die über Grenzkontrollen, die Verteilung von Flüchtlingen oder andere Maßnahmen entscheiden. Die französische Denkfabrik France Stratégie warnt, flächendeckende Kontrollen reduzierten den Handel um zehn bis 20 Prozent. Die Wirtschaftsleistung in den 22 Schengen-Staaten sinke um mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht dem Umsatz des drittgrößten deutschen Unternehmens.

Noch negativer schätzt das Prognos-Institut die Folgen ein. Die Forscher kalkulieren zwei Szenarien und rechnen binnen zehn Jahren mit einem um knapp 500 Milliarden bis 1,4 Billionen Euro niedrigeren Bruttoinlandsprodukt, das wäre fast die Hälfte dessen, was die Bundesrepublik jedes Jahr erwirtschaftet. Pro Jahr ergebe sich für 24 EU-Staaten ein Wohlstandsverlust von bis zu 140 Milliarden Euro.

Mit Schengen scheitert der Binnenmarkt? Der Forscher sagt: "Grotesk übertrieben"

Das Ifo-Institut hält nun dagegen: Die Wissenschaftler beziffern den Schaden für die ganze EU nur auf knapp 30 bis 65 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist immer noch viel, aber deutlich weniger als bei den anderen Studien. Woher kommt dieser gewaltige Unterschied? Das Ifo vergleicht die Handelsströme vor und nach Einführung von Schengen ab 1995 und ermittelt so, was die faktische Abschaffung von Schengen kosten könnte. Forscher Gabriel Felbermayr rechnet so aus, dass die Transportkosten durch die Kontrollen im Mittel um sieben Prozent steigen. Weil die Transportkosten nur etwa zehn Prozent des Werts einer Ware ausmache, sei der Effekt begrenzt.

Um wie in den anderen Studien von France Stratégie und Prognos auf eine Verteuerung der Waren um bis zu drei Prozent zu kommen, müssten die Transportkosten durch Grenzkontrollen um 30 Prozent steigen. Unrealistisch viel, findet Felbermayr. Sein Fazit: "Wenn Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagt, mit Schengen scheitert gleich der ganze Binnenmarkt, ist das grotesk übertrieben." Die Politik der Grenzkontrollen verursache Kosten, helfe aber gegen illegale Zuwanderung, und sei damit weit günstiger als die Folgen eines unkontrollierten Zustroms von Flüchtlingen.

Die Frage ist, ob die Ifo-Methodik wirklich alle Kosten von Grenzkontrollen erfasst. So befürchten die Ökonomen der US-Bank Morgan Stanley eine Beeinträchtigung des Investitionsklimas. Vor allem kleinere Firmen könnten durch die geschlossenen Grenzen von Geschäften in anderen Staaten abgebracht werden. Indem sie andere Effekte als eine Steigerung der Transportkosten ansetzen, ermittelt Morgan Stanley ähnliche Schäden wie France Stratégie - Handelseinbußen von bis zu 20 Prozent. So ein Einbruch würde den Kontinent um Jahre zurückwerfen.

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