Grenzgänger Norbert Hansen:Flexibilität am Arbeitsplatz

Es war ein pikanter Seitenwechsel: Norbert Hansen wurde vom Bahn-Gewerkschafter zum Bahn-Vorstand. Gerade im Tarifstreit möchte er den alten Kollegen noch beweisen, dass er kein Verräter ist.

Detlef Esslinger

Zwei Wochen ist das Foto nun alt, es entstand beim Auftakt der Tarifverhandlungen, es täuscht ein bisschen und erzählt doch viel.

Grenzgänger Norbert Hansen: Bahn-Personalvorstand Norbert Hansen. Sein Verhältnis zu den alten Kollegen wird nach eigener Aussage "täglich besser".

Bahn-Personalvorstand Norbert Hansen. Sein Verhältnis zu den alten Kollegen wird nach eigener Aussage "täglich besser".

(Foto: Foto: AP)

Zwei Männer geben sich die Hand, das heißt, eigentlich reicht sie nur der eine, der andere lässt es halt geschehen. Der eine, der Größere, hält den Arm angewinkelt und lächelt den anderen an, er sucht erkennbar die Nähe.

Der Kleinere aber? Durchgedrückter Arm, Kopf abgewandt und das Kinn gesenkt - der ganze Körper verrät, dass dieser Mann auf diese Begegnung nicht rasend scharf gewesen ist. Ein bisschen täuscht das Bild deshalb, weil knapp eine Sekunde zuvor die Szene noch anders aussah. Da schenkte auch der Kleinere dem Größeren einen Blick und sogar ein Lächeln. Aber nun ist es gut damit. Schluss mit den Freundlichkeiten.

Norbert Hansen, 56, dürfte noch einige Arbeit zu verrichten haben, bevor es für seinen alten Kollegen Alexander Kirchner wieder opportun ist, sich mit ihm nett auf einem Foto zu zeigen.

Angenehm bezahlte Funktion

Seit Jahren hat es sich kein Gewerkschafter mehr so stark mit den Seinen verdorben wie Hansen - obwohl er im Grunde nur etwas gemacht hat, was nach den Regeln der deutschen Mitbestimmung sogar erwünscht ist: Er hat die Seiten gewechselt, er kümmert sich zwar weiter um Beschäftigte, aber dies nun in der sehr angenehm bezahlten Funktion eines Personalvorstands der Deutschen Bahn.

Solch eine Konstellation gibt es in vielen Großunternehmen, auch bei der Post kommt der Personalvorstand von einer Gewerkschaft, in dem Fall von Verdi, und der Pressesprecher des Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske ist soeben als Arbeitsdirektor zum Tüv Nord gewechselt. Hat niemanden aufgeregt.

Im Fall Hansen war es anders, aus vielen Gründen: Er war nicht Pressesprecher, sondern Vorsitzender der Gewerkschaft Transnet. Er hatte jahrelang für einen Börsengang der Bahn geworben, trotz der Skepsis der meisten Mitglieder. Er handelte kurz vor seinem Wechsel eine Beschäftigungssicherung aus, die keine war. Und dann gab er vor Dienstantritt der Bild-Zeitung ein Interview, in dem er Stellenabbau ankündigte und die Lokführer zum Saubermachen von Abteilen aufforderte.

Immer pragmatisch

Nun sitzt er in seinem Eckbüro im 23.Stock des Bahntowers am Potsdamer Platz und will den Beschäftigten beweisen, dass er kein Verräter ist. "Unsere Gewerkschaft", sagt er, habe eine lange Tradition. Nie habe sie das Prinzip des fundamentalen Widerstands verfolgt, immer habe sie versucht, pragmatisch mitzugestalten.

Hansen sagt: "Vergleichen Sie doch mal die Arbeitsbedingungen bei der Bahn mit denen bei der Telekom und den Postdiensten." Bei der Bahn, da hätten die Beschäftigten über all die Jahre ihren Besitzstand gehalten, hier sei niemand mit seinem Betrieb ausgelagert und danach zu schlechteren Bedingungen weiterbeschäftigt worden.

So gesehen hat Hansen sich nicht geändert und auch nichts verraten, sein neuer Job, das ist die Fortsetzung des Pragmatismus mit anderen Mitteln. Er sagt: "Ich sehe mich als Gewerkschafter mit Verantwortung im Vorstand."

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum die Bahn-Beschäftigten Norbert Hansen nicht trauen, obwohl er für sie möglicherweise bereits Verbesserungen erreicht hat.

Flexibilität am Arbeitsplatz

Hansen trägt weiter seine knallroten, locker gebundenen Krawatten, im linken Ohrläppchen funkelt wie immer der Brilli, und als sein Nachfolger bei Transnet, Alexander Kirchner, ihm Anfang Dezember die Forderungen für die Tarifrunde in Form eines mannshohen Adventskalenders präsentierte, stellte Hansen sich das Teil ins Büro, hinter den Schreibtisch.

Welche Zugeständnisse muss einer gewähren, damit ihm die Beschäftigten vielleicht wieder vertrauen, die neuen Kollegen im Vorstand ihn aber nicht als deren fünfte Kolonne sehen?

Am Münchner Hauptbahnhof steht Donnerstagfrüh der Schaffner Bernhard Mayer, 43, zusammen mit ein paar Dutzend Kollegen; mit ihrem Warnstreik wollen sie familienfreundlichere Arbeitszeiten durchsetzen. Dass eine Schicht maximal neuneinhalb Stunden dauert, nicht aber zwölf. Dass sie wenigstens ein Wochenende im Monat wirklich frei haben. Dass sie nicht immer zwei Stunden auf dem Bahnhof von Memmingen rumsitzen müssen, bis in einem anderen Zug endlich ihr Dienst weitergeht.

Seit Jahren ist das ein großes, strittiges Thema, und wenn nicht alles täuscht, was aus den Verhandlungen dringt, wird es nun Fortschritte geben, jetzt, da der Gewerkschafter im Vorstand sitzt. Also Punkt für Hansen? Nicht beim Schaffner Mayer, nicht bei den Männern um ihn herum. "Wie man seine Ideale nur so verraten kann!" - "Man fühlt sich schon verarscht." - "Er sagt jetzt das Gegenteil von dem, was er früher gesagt hat."

Das ist wohl der Preis, den Norbert Hansen zu bezahlen hat: dass die Beschäftigten alle Fortschritte ihrem Kampfeswillen zuschreiben, für alle Rückschritte aber diesen Personalvorstand verantwortlich machen.

Vor genau einem Jahr, im Februar 2008, ließ der Transnet-Vorsitzende Hansen dagegen protestieren, dass nun auch die Bahn Pläne fürs Auslagern hat, dass sie den Regionalverkehr künftig in Tochterfirmen betreiben will, für die der Tarifvertrag nicht gilt.

Niedrigere Personalkosten der Konkurrenz

Und nun muss der Personalvorstand Hansen begründen, warum genau das gut sein soll - am Beispiel des Regionalverkehrs in Franken, wo es von Dezember 2011 an so laufen wird. "Unsere Konkurrenten haben niedrigere Personalkosten als wir. Wenn wir mit unseren Kosten gegen die antreten, können wir das Geschäftsfeld Nahverkehr auch gleich aufgeben."

Er schaut sich die Pressemitteilung vom Februar 2008 an, die man ihm reicht. "Transnet warnt Deutsche Bahn vor Tarifflucht", das war damals die Überschrift, Hansen nickt, er streicht sich über die Augenbraue. Dann sagt er: "Der letzte Satz ist entscheidend", liest vor: "Es gebe ausreichend Möglichkeiten, steigende Personalkosten auszugleichen."

Hansen spricht von mehr Flexibilität und mehr Effizienz, so wie es auch bei anderen Unternehmen üblich sei. Dort würden Mitarbeiter "häufiger als bei uns" für unterschiedliche Tätigkeiten eingesetzt. Was er meinen könnte: Schaffner verkaufen auch mal Tickets, Lokführer helfen in der Werkstatt. Mit dem Ergebnis, dass das Unternehmen weniger Personal braucht, ohne das vorhandene schlechter bezahlen zu müssen.

Er nennt die Beispiele nicht selber, und das mit dem Saubermachen schon gar nicht, er ist auch so schon ausgelastet, Widersprüche aufzulösen, zwischen damaligem Reden und heutigem Tun. Wie findet er eigentlich inzwischen sein Verhältnis zu den alten Kollegen? Die Antwort kommt sofort, er wird auch einen Tick lauter dabei: "Täglich besser!"

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