Kein Sparer, der auf der Suche ist nach ein paar Promille Rendite für Tages- oder Festgeld, schaut sich eine Bankbilanz an. Aber hätte man es bei der Bremer Greensill Bank getan, dann hätte man Erschreckendes gesehen: Nicht nur den erstaunlichen Umstand, dass sich die Bilanzsumme in kurzer Zeit versiebenfacht hat, was sehr viel ist für ein vermeintlich harmloses Geldhaus aus der Provinz. Nein, es wäre vielleicht auch aufgefallen, dass das Institut, das auf seiner Internetseite mit einem ebenso "nachhaltigen Geschäftsmodell" wie "starken Fundament" wirbt, seit 2015 insgesamt 72 Millionen Dollar allein für die Anschaffung von vier Privatflugzeugen ausgab: Erst zwei gebrauchte des Typs Piaggio und 2019 dann noch eine "Gulfstream" für allein 43 Millionen Dollar, alle "langfristig überlassen" an eine Enkelgesellschaft der Bank in Australien, mit Sitz im Steuerparadies Isle of Man.
An diesem Mittwoch aber sind dann viele Sparer wohl auch so in Angst und Schrecken versetzt worden. Denn die deutsche Finanzaufsicht Bafin setzte am Nachmittag ihr schärfstes Instrument ein und verhängte ein so genanntes Moratorium über die Bremer Greensill Bank. Damit können die Bank-Kunden vorerst kein Geld mehr ein- und auszahlen. Auf diese Weise sollen Vermögenswerte einer strauchelnden Bank für Einleger und Gläubiger so gut wie möglich gesichert werden. Etwas später gab die Bremer Staatsanwaltschaft bekannt: Es sei dort eine Anzeige der Bafin im Zusammenhang mit der Greensill Bank eingegangen. Dem Vernehmen nach geht es um Bilanzbetrug.
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Die Bank aus Bremen versuchte derweil, ihre Kunden beruhigen. Die Spareinlagen der Kunden seien durch den Einlagensicherungsfonds der deutschen Privatbanken geschützt, sagte ein Sprecher. Zuvor hatte die britisch-australische Muttergesellschaft Greensill Capital erwogen, in Australien Gläubigerschutz zu beantragen und verhandelt nun mit dem US-Finanzinvestor Apollo über einen Verkauf. Im Verlauf der Woche könne es dazu einen Abschluss geben.
Für die meisten Greensill-Kunden kam die Lage sicher mehr als überraschend. Die Muttergesellschaft war zuvor allenfalls Experten ein Begriff - obwohl sie schillernder kaum sein könnte. Sie ist nicht nur eng verbunden mit dem britisch-indischen Stahlmagnaten Sanjeev Gupta, der sich unlängst auch für die Stahlsparte von Thyssen-Krupp interessiert hatte, sondern wird auch vom früheren britischen Premierminister David Cameron beraten.
2011 gründete der Australier Alexander Greensill die Firma, die heute in London, New York, Chicago, Miami, Sydney, Frankfurt und Bremen rund 800 Mitarbeiter für ein spezielles Geschäft beschäftigt: die Lieferkettenfinanzierung. Greensill finanziert zum Beispiel Stahlwerken Lieferanten-Forderungen. Das ist eigentlich ein eher ungefährliches Geschäft. Aber offenbar hatte Greensill auch reihenweise hoch riskante Kredite zu günstigen Konditionen vergeben, über die Bremer Bank auch an das Stahlimperium von Gupta. Diese Kredite wiederum reichte Greensill an Anleger weiter, etwa an Kunden der Schweizer Großbank Credit Suisse, welche Greensill-Fonds im Volumen von enormen zehn Milliarden Euro verkauft hatte - als angeblich wenig riskante Anlage. Auslöser der Schieflage in dieser Woche war nun eine drastische Maßnahme der Schweizer Bank: Sie fror die Fonds am Montag plötzlich ein, aus Angst, die Kredite könnten weniger wert sein. Die Lage verschärft haben dürfte, dass Greensill Versicherungsschutz in Höhe von 4,6 Milliarden US-Dollar verloren hat, mit dem an Anleger weitergereichte Kredite abgesichert wurden.
Greensill dürfte sich ganz bewusst Deutschland ausgesucht haben
Der Versuch, eine einstweilige Verfügung gegen mehrere Versicherer durchzusetzen, war am Montag gescheitert. Zu den Gesellschaften gehören der japanische Versicherer Tokio Marine und die Insurance Australia Group. Der Supreme Court des australischen Staates New South Wales wird diesen Freitag in der Sache erneut verhandeln. Die Gesellschaften hatten Kreditversicherungspolicen nicht verlängert. Greensill hat mindestens seit sieben Monaten Probleme mit seinen Versicherungen.
Der Fall ist nicht nur eine Blamage für die internationale Hochfinanz und möglicherweise Ausdruck einer Blase an den Kreditmärkten, sondern auch ein Ärgernis für die hiesigen Privatbanken. Denn sie sichern die Einlagen der deutschen Privatkunden ab und müssen nun mit einem Schaden von bis zu drei Milliarden Euro rechnen. Kommt es zu einem so genannten Sicherungsfall, werden Privatanleger aus einem gemeinsamen Topf der Privatbanken entschädigt. So war es zuletzt bei Kunden von Lehman Brothers oder der Maple Bank. Die übrigen Institute müssen dann versuchen, sich das Geld im Insolvenzverfahren zurückzuholen. Die Schieflage von Greensill wird für die hiesige Einlagensicherung zur wohl größten Herausforderung seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und seiner deutschen Tochter 2008. Dabei stellt sich auch die Frage, wie gut die Privatbanken ihrem Mitglied Greensill auf die Finger geschaut haben. Zu den Geschädigten gehören dem Vernehmen nach auch rund 50 Kommunen, die insgesamt wohl einen dreistelligen Millionenbetrag bei der Bank angelegt hatten, obwohl Kommunen seit 2017 eigentlich nicht mehr von der Einlagensicherung geschützt werden.
Und wie steht es um die Schlagkraft der deutschen Finanzaufsicht Bafin, die bereits nach der Pleite des Zahlungsdienstleisters Wirecard massiv in die Kritik geraten ist? Greensill dürfte sich für seine Bank ganz bewusst den Standort Deutschland ausgesucht haben. Unter dem Schutz der hiesigen Einlagensicherung und unbeachtet von der als eher lax bekannten Finanzaufsicht in Bonn ließ sich das Geld von ahnungslosen Anlegern einsammeln. Diese legten ihr Geld mit Hilfe von Fintech-Zinsplattformen wie Weltsparen und Zinspilot bei der Greensill Bank an.
In Berlin versuchte man am Mittwoch den Eindruck zu erwecken, die Finanzaufsicht habe in diesem Fall ganze Arbeit geleistet - anders als bei Wirecard. Die Behörde prüfe bereits seit sechs Monaten und aus eigenem Antrieb die Bücher der Bank, habe zuletzt sogar einen Sonderbeauftragten eingesetzt. Dem Vernehmen nach hatte die Bafin Anfang des Jahres verhindert, dass weiteres Geld an die britische Muttergesellschaft abfließt. Außerdem hätten die Aufseher die Annahme neuer Kundengelder begrenzt. Den Ernstfall verhindern konnte dies aber offensichtlich nicht.