Süddeutsche Zeitung

Anleihenmärkte:Droht die nächste Blase?

Niedrige Zinsen führen dazu, dass sich Unternehmen sehr günstig mit Geld eindecken können. Für Anleger kann das sehr teuer werden, wie die Pleite der Finanzgruppe Greensill zeigt.

Von Herbert Fromme, Köln

Banges Warten in britischen Apotheken in der vergangenen Woche: Würden die monatlichen Abschlagszahlungen für Medikamente, die an den Gesundheitsdienst NHS geliefert wurden, pünktlich kommen?

Die Unruhe war berechtigt. Denn die Forderungen der Pharmazeuten an den NHS wurden von der Finanzgruppe Greensill gegen eine Gebühr vorfinanziert. Die britische Regierung unter Premierminister David Cameron hatte das System 2010 eingeführt. Cameron ist mit dem australischen Gründer Lex Greensill befreundet und seit 2018 offiziell Berater des Konzerns.

Greensills Finanzgruppe implodiert gerade. In Australien hat sie ein Schutzverfahren vor Gläubigerforderungen angemeldet, in Großbritannien wird die Insolvenz erwartet. Die Greensill Bank in Bremen wurde von der Finanzaufsicht Bafin geschlossen.

Die britischen Apotheken konnten aufatmen: Der NHS zahlte direkt, als die Probleme bekannt wurden. Aber viele Anleger und Unternehmen werden hohe Verluste wegen Greensill erleiden.

Die Firma hatte Forderungen von Unternehmen vorfinanziert, etwa für Apotheken, Industriekonzerne oder Rohstoffhändler. Die Mittel dafür besorgte sich das Finanzhaus bei externen Anlegern. Dazu gehörten Privatleute, Kommunen und viele Großanleger wie Schweizer Pensionskassen. Doch jetzt wollen oder können wichtige Geschäftspartner nicht mehr zahlen, Versicherer ziehen ihre Kreditdeckungen zurück. Greensill ist am Ende.

Lex Greensills Geschäftsmodell ist nicht sehr verbreitet. Aber der Zusammenbruch wirft die Frage auf, ob Forderungen gegen Unternehmen - ob Vorfinanzierung, Darlehen oder Anleihen - aktuell das größte Risiko für die Finanzmärkte darstellen.

Anleger schwimmen im Geld, sie suchen nach Rendite

Covid-19 sorgt für die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, viele Pleiten sind die Folge. Da leben Privatanleger, Versicherer und Pensionsfonds gefährlich, die Milliarden in Firmenanleihen halten. Ihr erstes Risiko ist der Ausfall von Schuldnern. Dann ist das Geld weg. Die zweite Gefahr: Wenn die Zinsen schnell steigen, verlieren die Anleihen mit Minizinsen schnell an Wert. Auch das führt zu hohen Verlusten.

Dass da etwas heiß läuft, zeigt der größte Anleihemarkt der Welt, die USA. Dort haben Firmen allein 2020 frische Schulden in Höhe von sagenhaften 2,5 Billionen Dollar am Anleihemarkt aufgenommen. Das sind 2500 Milliarden Dollar - knapp sechs Mal der deutsche Bundeshaushalt.

Die Verschuldungswelle ist eine Folge der Niedrigzinsen. Anleger schwimmen im Geld und suchen verzweifelt nach Rendite. Firmen könnten sich günstig finanzieren. Der Trend ist nicht auf die USA beschränkt. Der Londoner Vermögensverwalter Janus Henderson berechnet die Nettoverschuldung von Unternehmen, also Fremdkapital minus liquide Mittel. Sie ist schon 2019 global um acht Prozent auf 8,3 Billionen Dollar gestiegen, 2020 waren es 9,4 Billionen Dollar. Firmen aus Deutschland belegten 2019 hinter den USA mit Nettoschulden von 762 Milliarden Dollar den zweiten Platz. Drei der zehn am stärksten verschuldeten Konzerne der Welt haben ihren Sitz hier: VW, Daimler und BMW.

"Die Unternehmen mit guten Ratings wie Bayer oder Daimler, die jetzt Anleihen ausgeben, haben sich das gut überlegt", sagt Christof Kessler, Chef des Vermögensverwalters Gothaer Asset Management. "Sie können Anleihen mit Laufzeiten von zehn oder 15 Jahren ausgeben, früher waren sieben Jahre die Regel bei Unternehmensanleihen. Und das zu einem Zins von unter einem Prozent." Kesslers Firma verwaltet 34 Milliarden Euro, das meiste für den mittelgroßen Versicherer Gothaer.

Aber dann gibt es auch Unternehmen, die weniger solide dastehen und sich gerade deshalb hoch verschulden - einige bei Greensill. Sie müssen etwas mehr Zinsen zahlen, aber das Geld ist immer noch günstig. Viele waren schon vor der Pandemie schwach. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, die von den Zentralbanken getragen wird, erwartet eine Pleitewelle infolge der Covid-Pandemie, die zu Ausfällen von einer Billion Dollar an Unternehmensanleihen führen könnte.

US-Finanzinvestor Warren Buffett setzt lieber auf Aktien

Nach Angaben des US-Investmentmanagers Leuthold steigt die Zahl der sogenannten Zombie-Firmen stark an. Das sind Unternehmen, die drei Jahre hintereinander nicht so viel verdient haben, wie sie für Zinsen ausgeben müssen. Und US-Finanzinvestor Warren Buffett warnt: "Bei Anleihen sollte man heutzutage nicht engagiert sein", schreibt er im jüngsten seiner legendären Aktionärsbriefe. Investoren versuchten, die "erbärmlichen Renditen" aufzupeppen und Anleihen zu kaufen, die von wackeligen Emittenten ausgegeben würden. Riskante Darlehen seien aber nicht die Antwort auf niedrige Zinsen. Buffett investiert lieber in Aktien.

In Finanzkrisen platzen Blasen, die sich in den Jahren davor aufgebaut haben. 2001 war es die Blase am Aktienmarkt, 2008 explodierten die US-Hypothekenfinanzierungen. 2021 oder 2022 könnte die Anleihen-Blase platzen.

Kapitalanleger Kessler hält das nicht für zwingend. Denn die Zentralbanken auf beiden Seiten des Atlantiks sind mit Ankaufprogrammen für Anleihen unterwegs, um mit Milliardenbeträgen den Zusammenbruch dieses Marktes zu verhindern. Kessler sieht das positiv. "Ich glaube nicht, dass es allzu große Erschütterungen geben wird, zum Beispiel einen steilen Anstieg der Zinskurve." Dann gäbe es nämlich massiven Abschreibungsbedarf.

Seine Firma hält ohnehin nur noch 13 Prozent aller Anlagen in solchen Papieren, früher waren es mehr als 30 Prozent. "Die Verzinsung der Unternehmensanleihen ist für uns nicht attraktiv", erläutert er. "Als Langfristinvestor gehen wir eher in alternative Investments, die ebenfalls langfristig sind", sagt Kessler. "Dazu gehören niederländische Hypotheken-Darlehen." Da seien auch die Zinsen viel besser.

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