Google will Boston Dynamics verkaufen:Wie ein Mensch

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Man werde es nicht schaffen, in den nächsten Jahren einen freundlichen Roboter für den Hausgebrauch zu bauen, der sich verkaufen lässt und Gewinne bringt, heißt es.

Von Kathrin Werner, New York

Atlas kann Türen öffnen und schneebedeckte Abhänge hinabklettern. Er stolpert nie. Er kann sich bücken, schauen, wo etwas auf dem Boden liegt, Pakete aufheben und ins Regal schieben. Wenn ihn jemand umschubst, rappelt er sich wieder auf. Atlas ist ein Roboter, er hat Gelenke, Arme und Beine wie ein Mensch. Die so menschliche Maschine ist beeindruckend, aber ganz schön unheimlich.

Das findet sogar Google - ein Konzern, vor dessen Macht es vielen Menschen ebenfalls gruselt. Atlas ist das neueste Vorzeigeprojekt der Google-Tochter Boston Dynamics. Genauer: der Noch-Tochter.

Die Holding Alphabet will die Welt mit Zugängen zum Internet per Drohne versorgen

Denn das Video über Atlas, das Boston Dynamics offenbar ohne Absprache mit dem Mutterkonzern vor einigen Wochen ins Internet stellte, hat laut Medienberichten die Entscheidung noch bestätigt, dass Google das erst 2013 gekaufte Roboterunternehmen verkaufen will. Google habe festgestellt, dass Boston Dynamics es nicht schaffen werde, in den nächsten Jahren einen Roboter zu bauen, der sich verkaufen lässt und Gewinne bringt.

Google wollte einen freundlichen Roboter für den Hausgebrauch, das Gegenteil von Atlas. Google hat etliche Projektgruppen und Schwesterfirmen, die an Dingen arbeiten, die mit Internet-Suchmaschinen nichts zu tun haben. Inzwischen gehört Google einer Holding namens Alphabet, zu der Unternehmen zählen, die sich um die Heilung von Diabetes kümmern, selbstfahrende Autos bauen oder die Welt mit Zugängen zum Internet per Drohne versorgen wollen.

Konzerngründer Larry Page hat diese Nebenprojekte "Moon Shots" getauft, also Schüsse auf den Mond. Der Begriff leitet sich ab vom englischen Begriff "long shot", eine Art "Schuss ins Blaue". Und der Schuss zum Mond ist eben ein extrem langer long shot. Ums Geldverdienen geht es bei den Moonshots erst einmal nicht, sie sollen weit in die Zukunft blicken, schließlich verdient der Konzern mit Internetwerbung genug. Ende 2015 hielten allein die Auslandsniederlassungen von Alphabet 43 Milliarden Dollar an Barbeständen. Google hätte sich Verluste der kleinen Roboterfirma aus Boston locker leisten können.

Es geht bei dem Verkauf um mehr. Es geht ums Prinzip.

Boston Dynamics hat nie so recht zu dem kalifornischen Web-Konzern gepasst. Das Unternehmen, das im Jahr 1992 aus der Eliteuni Massachusetts Institute of Technology (MIT) hervorging, arbeitete vor allem für das US-Militär. Besonders die Forschungsagentur Darpa des Verteidigungsministeriums interessiert sich für die Automaten der Firma des ehemaligen MIT-Professors Marc Raibert, die irgendwann Soldaten ersetzen können - eine Art Drohne auf Beinen.

Boston Dynamics' Geräte haben einen ungewöhnlich guten Gleichgewichtssinn und gute Fortbewegungstechnik. Big Dog läuft wie ein echter Hund. Sand Flea hüpft wie ein Floh. Und Cheetah (Gepard) kann unwegsames Gelände meistern und schneller laufen als Sprinter Usain Bolt. Die Geräte könnten der Unterbau von Roboter-Soldaten werden und zum Beispiel das Gepäck der Soldaten tragen. Allerdings müssten sie dafür deutlich leiser werden. Bislang surren und rattern sie so laut, dass die US-Soldaten auch Vuvuzela blasend durchs Feindesland marschieren könnten, sie haben ihre Tests mit den flinken Robotertieren erst einmal eingestellt.

Google ist im Jahr 2013 auf eine groß angelegte Robo-Shoppingtour gegangen. Boston Dynamics war die achte Roboterfirma, die Google innerhalb eines halben Jahres gekauft hatte. Das Google-Team wuchs auf 300 Roboter-Ingenieure und bekam intern den Namen Replicant, Leiter wurde der Topmanager Andy Rubin, der Entwickler von Googles erfolgreichem Betriebssystem für Smartphones Android - ein Zeichen, dass Google das Team wichtig war. Was genau der Konzern mit Robotern vorhatte, hat er allerdings nie gesagt - und offenbar auch selbst nicht gewusst. Will Google Roboter bauen, die Menschen Jobs wegnehmen? Rubin hat Google 2014 verlassen. Seither hat die Roboter-Sparte Schwierigkeiten, einen Chef zu finden und zu halten, die zugekauften Start-ups haben außerdem Kommunikationsprobleme. Besonders Boston Dynamics gilt als widerspenstig, es gab Streit. Das ergibt sich aus internen E-Mails und einem Konferenzprotokoll, die ein Google-Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Bloomberg zugespielt hat. Vor allem Googles Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit war nicht begeistert von Atlas und dem unheimlichen Internetvideo.

Amazon soll interessiert sein, so viele Teile des Geschäfts wie möglich zu automatisieren

"Wir sehen ein paar negative Diskussionen darüber, dass er Furcht einflößend ist und den Leuten Jobs wegnehmen kann", schrieb Courtney Hohne, die Pressesprecherin von Google X, laut Bloomberg in einer internen Nachricht. Sie wollte, dass Google X auf Distanz zu dem Video geht. "Wir werden zu dem Video keinen Kommentar abgeben, weil es auch nicht viel zu ihm hinzuzufügen gibt. Und wir wollen die meisten der Fragen nicht beantworten, die es aufwirft." Im Dezember hatte Google die Robotersparte in das Forschungslabor Google X eingegliedert, Boston Dynamics allerdings nicht. Stattdessen steht die Firma zum Verkauf. Ein Google-Sprecher wollte die Pläne nicht kommentieren.

Amazon soll laut Medienberichten zu den Interessenten zählen, der Online-Händler arbeitet schließlich daran, so viele Teile des Geschäfts wie möglich zu automatisieren und Arbeiter durch Maschinen zu ersetzen - Atlas könnte Amazons Regale einräumen. Amazon hat vor gut zwei Jahren große Aufregung verursacht, als er eine Zustell-Drohne vorstellte, die Amazon-Päckchen vor die Haustür plumpsen lassen soll.

Im Jahr 2012 hat das Unternehmen aus Seattle bereits die Roboterfirma Kiva Systems für 775 Millionen Dollar übernommen, die Automaten baut, die Warenlager sortieren. Als wahrscheinlichster Käufer für Boston Dynamics gilt allerdings Toyota, genauer gesagt das Toyota Research Institute. Laut dem gewöhnlich gut informierten Nachrichtenportal Tech Insider sind die Unternehmen beinahe so weit, den Kaufvertrag zu unterschreiben.

Toyota hat ein Forschungslabor für künstliche Intelligenz und Robotik im kalifornischen Palo Alto gegründet, das in diesem Jahr eröffnet. Eine Milliarde Dollar wollen die Japaner in den ersten fünf Jahren in ihr Recherche-Institut stecken. Marc Raibert, der Gründer der Bostoner Roboterfirma, hat bereits am MIT mit Gill Pratt, dem neuen Chef des Toyota-Instituts, zusammengearbeitet.

Etliche Mitarbeiter aus Googles Roboter-Team haben den Suchmaschinenkonzern bereits verlassen und arbeiten jetzt bei dem Toyota-Recherche-Institut. Bei Toyota könnte Atlas dann irgendwann am Fließband in den Autofabriken stehen.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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