Die Heilung von Krebs ist eine Aufgabe, die zu klein ist für Larry Page. Der Google-Gründer, 42 Jahre alt mit stark ergrauendem Schopf, hat sich etwas Größeres vorgenommen. Er will das Altern stoppen. Den Tod. "Eine der Sachen, die ich erstaunlich finde, ist die Tatsache, dass man rund drei Jahre zur durchschnittlichen Lebenserwartung des Menschen hinzufügt, wenn man Krebs löst", philosophierte er in einem Interview mit dem Magazin Time. "Wir denken immer, dass die Lösung von Krebs diese große Sache ist, die die Welt komplett verändern wird. Aber wenn man mal einen Schritt zurückmacht und sich das Ganze anschaut, gibt es zwar sehr, sehr viele tragische Krebsfälle, und das ist sehr, sehr traurig, aber insgesamt gesehen wäre das nicht so ein großer Fortschritt, wie man denkt."
Der Mann, der die Informationen der Welt sortiert, sieht sich als Visionär. Er hat Google mit seinem Mitgründer Sergey Brin 1998 erfunden, um Wissen für die Massen zugänglich zu machen. Google kennt unsere Daten und unsere Sorgen und damit auch die größte Menschheitssorge: den Tod. Zwar hat sich die Lebenserwartung seit 1840 verdoppelt und steigt alle vier Jahre um ein Jahr. Doch es bleibt dabei, dass nach wenigen Jahrzehnten unser Ende wartet. Eine Pille gegen das Altern hat noch keiner erfunden. Unsere Gesellschaft ist um dieses Wissen entstanden. Und so alt wie die Urangst vor dem Tod ist der Traum vom ewigen Leben, in dem der Tod nicht unvermeidbar, sondern heilbar ist wie eine Krankheit.
2013 hat Google ein Tochterunternehmen gegründet, das den Namen California Life Company trägt, Calico. "Wir gehen das Altern an, eines der größten Rätsel des Lebens", lautet die Mission der Firma, von der niemand so ganz genau weiß, was sie macht. Bislang war Calico eine Google-Tochter, jetzt wird sie eine Google-Schwester. Page baut den Konzern gerade komplett um und sortiert alle Geschäftsbereiche unter einer Holding namens Alphabet. Google wird eine der Holding-Firmen, Calico eine der anderen, außerdem gibt es Firmen, die sich um Themen wie selbstfahrende Autos oder die Versorgung der Welt mit Internetzugängen per Drohne kümmern. Sie sollen alle unter dem Alphabet-Dach mehr Freiheit und Eigenständigkeit haben als bislang. Und wenn sie hohe Verluste schreiben, schadet das den Geschäftszahlen von Google nicht. Page hat diese Nebenprojekte "Moon Shots" - Mondflüge - getauft, weil sie so visionär sind. Und bei kaum einem der Moon Shots geht es um so viel wie bei Calico: den Tod an sich.
Es sei über lange Jahre ein schwerer Kampf gewesen, Wissenschaftler von der Machbarkeit der Heilung des Todes zu überzeugen, schreibt der Biomediziner und Altersforscher Aubrey de Grey in einem Essay. "Seit Googles Entscheidung, seine astronomischen Ressourcen für einen gezielten Angriff auf das Altern zu nutzen, könnte dieser Kampf überwunden sein: Wenn finanzielle Beschränkungen wegfallen, spielen Griesgrame keine Rolle mehr." Page hat für seinen größten Moon Shot Calico die besten Forscher zusammengebracht. Vor allem den Molekularbiologen Arthur Levinson, genannt Art, einen der Pioniere des Silicon Valley und heute Aufsichtsratschef von Apple. Er ist der Chef von Calico. Für Mediziner, Wissenschaftler und Technikaffine ist der 65-Jährige eine Respektperson und ein Genie auf dem Gebiet der Biotechnologie. Schon als Kind begeisterte er sich für Physik und Astronomie, studierte später Biochemie. 1980 kam er zum Biotech-Unternehmen Genentech, leitete dort zunächst die Arzneimittelforschung und war dann fast 20 Jahre Vorstands- und später Verwaltungsratschef des Unternehmens. Neue und bahnbrechende Therapien wurden sein Markenzeichen, wie die Krebsmedikamente Avastin und Herceptin. Die Mittel sind auf das Erbgut zugeschnitten, wirken gezielt. Vermarktet werden die Arzneien vom Schweizer Pharmaunternehmen Roche, das Genentech im Jahr 2009 übernahm und bis heute von Levinsons Forschungseifer profitiert.
Bei Calico hat Levinson Zellbiologen, Onkologen, Biochemiker und Kardiologen zusammengetrommelt. Die genauen Ziele und Methoden seiner Firma hält er unter Verschluss. Aber es existiert eine Forschungsallianz mit dem Pharmaunternehmen Abbvie zu Alterskrankheiten wie Krebs und dem Verlust von Nervenzellen. Damit zielt Calico auf die sogenannten vier apokalyptischen Reiter der Geriatrie: Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Demenz, an denen die meisten Menschen heutzutage sterben. Gemeinsam wollen die Unternehmen bis zu 1,5 Milliarden Dollar in ein gemeinsames Forschungszentrum im Großraum von San Francisco investieren. Calico ist für die Grundlagenforschung zuständig, Abbvie eher für die Umsetzung und die kommerzielle Expertise. Wann ein Produkt entsteht, das man verkaufen kann, wann und ob Calico je Geld verdienen wird, bleibt unklar.
Das Magazin Time hat Calico schon 2013 eine Titelgeschichte gewidmet. Die Überschrift lautete "Google vs. Tod". "Ich schlage nicht vor, dass wir unser gesamtes Geld in solche spekulativen Dinge stecken sollten", sagt Page darin. "Aber wir sollten eine angemessene Summe (. . .) für Dinge ausgeben, die ein wenig langfristiger und ein bisschen ehrgeiziger angelegt sind." Laut Medienberichten hat Google bereits 730 Millionen Dollar in Calico gesteckt. Pages Logik wird klar: Wenn nicht Google, wer dann? Wer sonst hat Geld und Können, um das Altern zu stoppen?
Google hat keine Expertise in der Lebensverlängerung. Aber der Konzern ist gut darin, große Datenmengen zu sammeln und auszuwerten, was immer mehr zur Kernaufgabe von Medizinern und Wissenschaftlern wird. Gerade hat Calico eine Partnerschaft mit Ancestry verkündet, einer Website, bei der Amerikaner ihre Stammbäume eingeben - zum Teil samt medizinischen und genetischen Daten. Calico bekommt Zugang zu mehr als einer Million anonymisierten DNA-Informationen. Solche Daten auszuwerten und zum Beispiel Gemeinsamkeiten bei denen zu finden, die besonders lang gelebt haben, gehört zu Googles Kernkompetenz. Und Google - beziehungsweise Calico - bringt die Geisteshaltung des Silicon Valley in die Medizin: Es gibt nichts, was Technologie und Datenverarbeitung nicht lösen kann.
Die großen Pharmaunternehmen wie Roche, Novartis, Merck oder Pfizer setzen weniger auf eine längere Lebenserwartung als auf die Bekämpfung von Krankheiten. Schließlich verschreiben Ärzte Medikamente und Therapien und keine Lebensjahre. Und mit bahnbrechenden Mitteln gegen Krebs oder Hepatitis lassen sich Milliarden verdienen. Doch wegen der Datensammel- und Verwertungskompetenz des IT-Konzerns aus Kalifornien räumt Roche-Verwaltungsratspräsident Christoph Franz deshalb unumwunden "eine gewisse Konkurrenz" zu Google ein.