Google:Abstürzende Mondraketen

Früher gab es bei Google unendlich viel Geld für verrückte Ideen. Doch die Zeiten haben sich geändert: Der Mutterkonzern Alphabet achtet nun akribisch darauf, dass die hohen Investionen in absehbarer Zeit auch wieder hereingespielt werden.

Von Helmut Martin-Jung

- Die junge Ingenieurin kam gar nicht mehr dazu, ihre Frage an Larry Page fertig zu formulieren: "Sind Sie interessiert an ..." Page, einer der beiden Google-Gründer und heute Chef des Google-Mutterkonzerns Alphabet, unterbrach sie damals, Ende der Neunzigerjahre, und sagte: "Ja, wir sind an allem interessiert." Sieht man sich die öffentlich bekannten Projekte von Alphabet an, könnte man leicht zu der Einschätzung kommen, an dieser Haltung habe sich seither nichts geändert. Vom Internet aus der Luft über selbstfahrende Autos bis hin zu Riesenbildschirmen arbeiten Ingenieure teils unter strikter Geheimhaltung an vielen "Moonshots" - verrückt erscheinenden Vorhaben, in denen womöglich großes Potenzial steckt.

Alphabet kann sich solchen Luxus leisten. Allein die jüngste Quartalsbilanz weist einen Gewinn von gut fünf Milliarden Dollar aus. Dennoch: So unendlich wie früher, als nicht einmal der Finanzchef die X-Abteilung betreten durfte, ist die Geduld der Konzernführung längst nicht mehr. Projekte, die nicht in absehbarer Zeit Gewinne abwerfen, werden rigoros beendet. Jüngstes Opfer ist das Vorhaben, mittels solarbetriebener Drohnen das Internet in entlegene Gegenden zu bringen. Der Konzern hatte dazu 2014 die Firma Titan Aerospace gekauft. Diese entwickelte Drohnen, die lange in großer Höhe fliegen konnten. Doch dem Team gelang es nicht, die Führungsetage davon zu überzeugen, dass diese Idee in einigen Jahren gewinnbringend umgesetzt werden könnte.

Als treibende Kraft hinter dieser neuen Art gilt eine Frau, die man intern als ruthless Ruth, die rücksichtslose Ruth, bezeichnet, wie der Nachrichtendienst Bloomberg kolportiert. Ruth Porat, Finanzchefin seit Mai 2015, will genau wissen, für welche Ideen das Geld der Firma ausgegeben wird, und sie drängt darauf, dass dieses Geld so bald wie möglich auch wieder hereinkommt. Das Drohnen-Projekt ist da nur eines von vielen, das eingestellt wurde.

Viele Führungsleute sind gegangen, nachdem ihre Projekte gestrichen wurden

Auch die Idee, mehr und mehr Städte mit Glasfaserleitungen zu versorgen, wurde beendet. Schluss ist auch mit den Roboter-Experimenten. Das Unternehmen Boston Dynamics, das Google gekauft hatte, steht wieder zum Verkauf - von einem Bieter hat man bis dato aber noch nichts gehört. Insgesamt hatte Google elf Robotics-Firmen gekauft, Leiter der Abteilung war der Android-Erfinder Andy Rubin, der das Unternehmen 2014 verließ.

Rubin ist nicht der Einzige. Auch viele Führungsleute, deren Projekte zurechtgestutzt oder ganz eingestellt wurden, sind gegangen.

Den Luxus, ein wenig gspinnert zu sein, leisten sie sich zwar immer noch bei Alphabet/Google. Auf der Visitenkarte einer Managerin steht "Head of getting moonshots ready for contact with the real world", frei übersetzt also "Vorbereitung verrückter Projekte auf die Wirklichkeit" - sie prüft Moonshots auf ihre Umsetzbarkeit.

Doch was nicht funktioniert und es nach Einschätzung der Oberen auch auf absehbare Zeit nicht tun wird, wird gestoppt. Manchmal, so wie beim eingestellten Drohnen-Projekt, können Mitarbeiter dann in andere Abteilungen wechseln. Viele Ingenieure des Solarflieger-Projektes kümmern sich nun um das verwandte Vorhaben "Loon". Große Ballons, die von den Luftströmungen vorwärtsgetrieben werden, sollen Internet in entlegene Regionen bringen. Auch ein verrücktes Projekt.

Ein Vorhaben, das einschlägt, könnte der reiche Alphabet-Konzern gut gebrauchen. Denn bis dato ist das Konstrukt zu 99 Prozent von Google abhängig. Den Konzern mit seinen sprudelnden Werbeeinnahmen nennen sie in Mountain View "die Geldmaschine". Würde die ins Stottern geraten - wonach es derzeit nicht aussieht -, wäre es auch mit den Moonshots schnell vorbei.

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