Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein:Im Tintenfischbecken

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"Giftig und zerstörerisch" soll die Atmosphäre bei Goldman Sachs sein, die Bank ihre Kunden abzocken. Mit seinem Kündigungsschreiben schreckt ein Mitarbeiter die Wall Street auf. Persönlich verantwortlich macht er Goldman-Chef Lloyd Blankfein. Der behauptet, Gottes Werk zu tun und wird als Leibhaftiger beschimpft. Nach oben kennt er keine Grenzen. Weil er von unten kommt.

Jannis Brühl

Lloyd Blankfein kommt von der anderen Seite des Wassers. Er wuchs unter einfachen Leuten auf, in der South Bronx und in Brooklyn. Manhattan sieht man von dort nur aus der Ferne. Aber Blankfein, Sohn eines Lkw-Fahrers und Postangestellten, hat es über das Wasser geschafft. Heute kann er von seinem 26 Millionen Euro teuren Ultra-Luxus-Apartment am Rand des Central Parks auf ganz New York herabblicken. Als Chef der Investmentbank Goldman Sachs steht er an der Spitze der Finanzwelt. Wer diese Welt für böse hält, hält Blankfein für ultraböse.

Lloyd Blankfein, Chef von Goldman Sachs.  (Foto: dpa)

Die Rolle des Schurken fällt dem 57-Jährigen auch in dem Brief von Greg Smith zu, der derzeit die Wall Street in Aufregung versetzt. Goldman-Banker Smith veröffentlichte seine Kündigung in der New York Times. Goldman zocke seine Geschäftspartner ab, schreibt er. Wetten gegen eigene Kunden, gefährliche Finanzprodukte - der Profit stehe in dieser Firma immer über Vertrauen und Moral. Persönlich verantwortlich für die "vergiftete und zerstörerische" Atmosphäre bei Goldman sei Blankfein.

Man muss schon unter Öl- und Waffenfirmen suchen, um ein Unternehmen mit einem ähnlich schlechten Image wie dem von Goldman Sachs zu finden. Als "großen Vampir-Tintenfisch im Gesicht der Menschheit, der seine Tentakel in alles rammt," hat der Journalist Matt Taibbi das Unternehmen in einem berühmten Artikel im Rolling Stone bezeichnet. Buchcover über Goldman werden mit Schlangen illustriert. Radiomoderator Don Imus hat Blankfein "den Teufel Lloyd" genannt.

Die Liste Blankfeins tatsächlicher und angeblicher Sünden ist lang: In Zusammenhang mit der Finanzkrise wird Goldman Sachs im Gegensatz zu anderen Banken nicht Dummheit vorgeworfen, sondern Gerissenheit. Goldman verkaufte Derivat-Papiere, die mit zweifelhaften Hypotheken besichert waren. Doch früher als andere erkannte die Bank, dass viele Amerikaner diese Hauskredite nie zurückzahlen konnten. Also begann das Unternehmen, gegen den Immobilienmarkt zu wetten, pries aber weiter toxische Papiere an. Diese Doppelzüngigkeit wirft der enttäuschte Smith Blankfein in seinem Brief vor: "Nennen Sie mich altmodisch, aber ich mag meinen Kunden kein Produkt verkaufen, das falsch für sie ist."

Als das Finanzsystem 2008 fast zusammenbrach, rettete die Bush-Regierung den Versicherer AIG - angeblich auf Drängen von Blankfein. Denn AIG schuldete Goldman Milliarden - die Staatsknete floss also von AIG gleich weiter an Goldman. Eine treibende Kraft hinter den Zahlungen: der Ex-Goldman-Manager Hank Paulson, damaliger Finanzminister. Außerdem soll Goldman Griechenland geholfen haben, seine hohen Schulden verschleiert zu haben.

Blankfein ist selbst Symbol der Bonus-Exzesse an der Wall Street geworden: 2007 verdiente er etwa 60 Millionen Dollar. Die Finanzkrise hat Goldman etwas bescheidener gemacht: Im vergangenen Jahr dürfte er sieben Millionen Dollar verdient haben. Wer so viel verdient, sollte seine Worte vielleicht besser wählen: Er sei, sagte Blankfein einmal, doch nur ein Banker, der "Gottes Werk" verrichte. Später wollte er das als Witz verstanden wissen.

Vielleicht ist Blankfeins Biographie der Grund für die Kälte, mit der er auf die Vorwürfe reagiert, er habe Goldman zur Profitmaschine ohne Gewissen ausgebaut. Für ihn zählt Aufstieg - und den misst man am besten in Geld. Er ist keiner der Elite-Söhne, deren Familien seit Jahrzehnten an der Wall Street arbeiten. Strebsamkeit und ein scharfer Verstand brachten ihn nach Harvard, das Studium finanzierten ihm Stipendien. Blankfein wurde Anwalt, dann Rohstoffhändler und landete schließlich bei Goldman Sachs, weil die seinen Arbeitgeber Donovan kauften.

"Ich will ihren Ehrgeiz nicht deckeln"

Als Goldman-Chef Hank Paulson 2006 - wie so viele Goldmänner vor ihm - zu Regierung von George W. Bush ging und Finanzminister wurde, übernahm Blankfein seinen Posten. Aus Sicht der Bank war er ein würdiger Nachfolger: Er manövrierte Goldman einigermaßen unbeschadet durch die Finanzkrise, während der Krise brachten die riskanten Wetten seiner Investment-Banker hohe Einnahmen gegen den Trend. Für 2011 meldete das Unternehmen vier Milliarden Dollar Gewinn.

Blankfein managt ein Unternehmen während drastischer Veränderungen. Mit dem Börsengang 1999 war Goldman von eine Firma privater Eigentümer zur Aktiengesellschaft geworden. Das setzt ein Unternehmen in der Regel unter Druck, mehr auf kurzfristige Gewinne hinzuarbeiten - entsprechend wurden bei Goldman die Geschäfte riskanter. Resultat war die Kultur, die Smith in seinem Brief beklagt.

Weil er von unten kommt, gibt es nach oben keine Grenze für ihn. Wie bei den oft kritisierten Boni seiner Mitarbeiter: "Ich will ihren Ehrgeiz nicht deckeln. Es ist schwierig für mich, mich dafür auszusprechen, ihre Bezahlung zu deckeln." Nur rhetorisch fragt er: "Ist es möglich, zu viel Ehrgeiz zu haben? Ist es möglich, zu erfolgreich zu sein?"

Nur den eigenen Aufstieg und den seiner Firma im Blick, fehlt Blankfein das Verständnis für die Wut der unteren 99 Prozent Amerikas. Dass astronomische Gehälter und hochriskante Geschäfte in Zeiten von Immobilien- und Arbeitsmarktkrise einen Keil zwischen die Elite und den Rest treiben, scheint ihm egal zu sein. Vorwürfen wegen der Finanzkrise begegnete er in einer Anhörung mit Chuzpe: Sein Unternehmen sei für die schlechten Hypothekenderivate, die es verkauft hatte, nicht verantwortlich.

Der Tintenfisch-Vergleich des Journalisten Taibbi sorgte 2009 für Aufregung. Das Bild eines blutsaugenden Monsters, das sich an der Menschheit festsaugt, erinnerte manche an antisemitische Karikaturen, an Phantasien von der jüdischen Weltverschwörung. Goldman Sachs wurde von deutsch-jüdischen Einwanderern gegründet, Blankfein selbst ist jüdisch. Er nahm den Artikel persönlich und rückte ihn in die Nähe historischer Verschwörungstheorien: "Ich war schockiert, dass manche den Text als Beweis ansahen, dass Goldman Sachs den Reichstag niedergebrannt und Erzherzog Ferdinand erschossen hat."

Blankfein hat Goldman Sachs' Erfolg weiter geformt, aber sich der Wall Street auch angepasst - zumindest vom Lebensstil her. Früher war er ein bärtiger, übergewichtiger Kettenraucher. Heute ist er wesentlich dünner, Cola Light das Getränk seiner Wahl. Gesicht und Schädel sind kahlrasiert. Das trägt, in den Worten einer Reporterin des Magazins New York, "zu einer unglücklichen Ähnlichkeit mit Dr. Evil aus den Austin- Powers-Filmen bei". Aber das ist nicht Dr. Evil, sondern nur Lloyd Blankfein, der amerikanische Traum.

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