Finanzen:Notenbanken kaufen den Goldmarkt leer

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Goldbarren sind gefragt wie lange nicht. Beunruhigend im Westen finden Experten, dass viele Käufer es heimlich tun. (Foto: Catherina Hess)

Die Geldhüter bunkern so viele Tonnen des Edelmetalls wie seit Jahrzehnten nicht. Dahinter könnten auch düstere Absichten stehen.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Wer es in Zeiten von Gaskrise, Atomdrohungen und Stromsorgen mit der Angst zu tun bekommt, der kann im Internet ganze Survival-Pakete kaufen. Neben Wasser, Dosenessen und einer Notstromversorgung kaufen sich manch Hartgesottene auf Wunsch auch ein paar Plättchen Gold. Für den Ernstfall eben.

Angesichts dieser Lage ist bemerkenswert, dass nicht nur Privatleute in diesem Jahr Gold horten, sondern auch die Zentralbanken so viel Edelmetall kaufen wie seit Jahrzehnten nicht. Alleine im dritten Quartal haben sie 399 Tonnen Gold gebunkert, so zeigen es Statistiken des World Gold Council. Im gesamten Jahr lagen die Goldkäufe damit so hoch wie seit 1967 nicht mehr, als der Dollar wohlgemerkt teilweise noch mit Gold gedeckt war. "Das ist eine enorme Menge, die mich wirklich überrascht hat", sagt Christian Brenner vom Goldhändler Philoro.

Unter den größten offiziellen Käufern am Goldmarkt finden sich auffällig wenige westliche Staaten: So war die Türkei im abgelaufenen Quartal mit 31 Tonnen der größte Käufer, gefolgt vom zentralasiatischen Usbekistan mit 26 Tonnen und Indien mit 17 Tonnen. Viele Notenbanken kaufen laut einer aktuellen Umfrage Gold, weil anders als bei Bankeinlagen oder Staatsanleihen kein Ausfallrisiko besteht. Zudem betrachten die Geldhüter das Edelmetall als langfristig inflationssicher und in Krisenzeiten vergleichsweise stabil. Und in der Tat hat Gold seit Jahresbeginn nur rund drei Prozent an Wert verloren, weit weniger als andere Anlageklassen. "In Zeiten geopolitischer Unsicherheit und hoher Inflation scheinen sich die Zentralbanken auf Gold als Wertspeicher zu besinnen", sagt Rohstoffexpertin Ewa Manthey von der ING Bank.

Knapp drei Viertel der Goldkäufe kommen jedoch von Notenbanken, die sich nicht namentlich zu ihren Käufen bekannt haben. Viele Experten vermuten hinter den riesigen Goldkäufen daher weit sinistere Motive: eine Zeitenwende am Finanzmarkt. Bisher investierten viele Notenbanken einen Großteil ihrer Reserven gerne in US-amerikanische Staatsanleihen, die als weitgehend risikolos galten und sich im Zweifelsfall schnell zu Geld machen lassen.

Eine Idee, die sich verbreitet: lieber hartes Gold als sanktionsanfällige Dollars

Seit Russland am 24. Februar jedoch die Ukraine überfiel, ist auch am Finanzmarkt kaum etwas mehr wie es war. So haben die westlichen Staaten Russland weitgehend vom internationalen Dollar-System abgeschnitten, das Vermögen der russischen Zentralbank eingefroren - und diskutieren nun sogar, es zu konfiszieren. "Wir leben auch mit Blick auf die internationalen Finanzströme in einer zunehmend geteilten Welt", sagt Goldexperte Adrian Ash vom Handelshaus Bullionvault. Wer als Notenbank nicht mit anderen Staaten, Währungen oder Banken zu tun haben will, setzt nun gerne auf das Edelmetall. Die Idee: hartes Gold statt sanktionsanfällige Dollars.

Die russische Zentralbank meldet bereits seit Februar ihre Goldkäufe nicht mehr offiziell, was großen Raum für Spekulationen lässt. Im März und April habe man "allenfalls kleinere Käufe" getätigt, sagte Vize-Zentralbankchef Alexej Sabotkin kürzlich. Ob man den Aussagen des Notenbankers trauen darf, ist fraglich. "Ich könnte mir vorstellen, dass Russland einfach einen Großteil seiner eigenen Goldproduktion selbst aufkauft", sagt Goldhändler Henrik Marx vom Metallkonzern Heraeus. Im Nachgang der Krim-Annexion 2014 kaufte die Notenbank Rechnungen zufolge über Jahre mehr als 80 Prozent der heimischen Produktion - und will sich bereits seit Jahren unabhängiger vom Dollar machen.

Zwar ist das Land aktuell vom westlichen Goldmarkt an der Londoner Goldbörse LBMA abgeschnitten, dennoch kann Russland weiterhin mit Gold handeln. "Sie können das Gold sicher in Usbekistan, in der Türkei oder anderen Anrainerstaaten unterbringen", sagt Martin Siegel vom Goldfonds Stabilitas. Dafür müsste die Zentralbank das Gold nicht einmal zwangsläufig physisch in die Nachbarstaaten transportieren, sondern könnte Käuferländern schlicht das Eigentum am Gold in den eigenen Tresoren übertragen - und im Tausch wichtige Güter kaufen und Sanktionen umgehen. Auch China haben viele Goldexperten als heimlichen Goldkäufer im Blick.

Dazu passt eine andere vielsagende Zahl: Traditionell lagerten Zentralbanken einen Großteil ihres Goldes in London, ausgerechnet in Tresoren der Bank of England. Seit Jahresanfang haben die Staaten jedoch rund 490 Tonnen aus dem riesigen Goldbunker abgezogen, vermutlich wohl in Richtung Heimat. "Gold alleine bringt schließlich nichts, wenn man im Ernstfall nicht darauf zugreifen kann", sagt Goldexperte Christian Brenner. Wer als Privatmann die Krise fürchtet, lagert sein Gold schließlich auch nicht im Banktresor - sondern unter dem Kopfkissen.

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