Süddeutsche Zeitung

Energieversorgung:Wie Flüssigerdgas aus Kanada russische Lieferungen ersetzen soll

Investoren wollen an der Atlantikküste das klimafreundlichste Gas-Terminal der Welt bauen. Die Behörden lehnten aber wegen Umweltbedenken ab. Dann begann der Ukraine-Krieg - und nun könnte das Projekt doch kommen, den Europäern zuliebe.

Von Björn Finke, Brüssel

Bei dem Streit geht es um ein zehn Milliarden Euro teures Bauprojekt, um die Zukunft von Europas Gasversorgung - und um den Schutz bedrohter Weißwale und des Weltklimas: Investoren wollen an der Atlantikküste Kanadas, im französisch-sprachigen Québec, ein Terminal fürs Verschiffen von Flüssigerdgas errichten, samt einer 780 Kilometer langen Pipeline ins Landesinnere, um die Anlage ans Röhrennetz anzuschließen. Siemens Energy soll wichtige Technik liefern, doch die kanadische Bundesregierung und die der Provinz Québec lehnten das Vorhaben aus Sorge um Klima und Umwelt erst vor kurzem ab. Aber dann überfielen Russlands Truppen die Ukraine, und nun sucht die EU händeringend nach neuen Gaslieferanten.

Jim Illich ist daher zuversichtlich, dass die Behörden ihre Entscheidung überdenken und Terminal und Pipeline sogar eine beschleunigte Zulassung erteilen. Der Gründer und Hauptanteilseigner von GNL Québec, der Projektgesellschaft, sagt im Gespräch mit der SZ, der Krieg habe "den Kontext für diese Entscheidung dramatisch geändert: Die Europäer wollen Flüssigerdgas so schnell wie möglich, und Kanadas Regierung hat verkündet, nach Wegen zu suchen, wie sie den transatlantischen Verbündeten helfen kann". Zudem sei Énergie Saguenay, so der Name des Vorhabens, die klimafreundlichste Flüssigerdgas-Anlage der Welt.

Stimmen die Behörden zu, könnten die Bauarbeiten schon Ende des Jahres starten; die ersten Tankschiffe mit dem heruntergekühlten und verflüssigten Erdgas sollen 2027 gen Europa in See stechen. Bis zu diesem Jahr soll die EU auch komplett unabhängig von Energieimporten aus Russland werden. Dieses Ziel gibt Kommissionschefin Ursula von der Leyen aus.

Bisher existieren an Kanadas Atlantikküste keine Terminals, um LNG zu verschiffen - das ist die gebräuchliche Abkürzung für Flüssigerdgas. Nur an der Pazifikküste wird gerade so eine Hafenanlage gebaut, was praktisch für asiatische Kunden ist, nicht aber für europäische. Doch Kanadas Regierung will die EU beim Abschied vom russischen Gas unterstützen; dies war etwa Thema bei Gesprächen von Premierminister Justin Trudeau mit von der Leyen sowie mit Bundeskanzler Olaf Scholz.

Geplant sind die "weltweit grünste Pipeline und das grünste Terminal"

GNL-Québec-Gründer Illich war vorige Woche auf einer neuntägigen Werbetour in Europa. Der US-amerikanische Industrieveteran sprach mit Vertretern von Regierungen und möglichen Abnehmern. Das Interesse an seinem Projekt sei "unglaublich", sagt Illich. Er gehe davon aus, dass europäische Regierungen ihre Begeisterung auch gegenüber der kanadischen Regierung kundtun würden.

Trudeaus Regierung muss dann entscheiden, ob und wie das Vorhaben nach der ursprünglichen Ablehnung doch freigegeben werden kann. Einer der Hauptgründe für die Zurückweisung war die Befürchtung der Behörden, dass der Export von kanadischem Erdgas den Ausstoß an Treibhausgasen in den Zielländern erhöhe. Allerdings sei diese Sorge nun hinfällig, sagt Illich: Die Europäer wollten in jedem Fall viel mehr LNG einführen, als Ersatz für russisches Gas. Und "wenn wir unser Terminal nicht bauen dürfen, wird eben ein weiteres Terminal in Katar, Australien oder der US-Golfküste gebaut", argumentiert Illich. "Die haben aber eine viel schlechtere Klimabilanz als wir."

Der Manager sagt, er wolle die "weltweit grünste Pipeline und das grünste LNG-Terminal" errichten. Die Verflüssigungs-Anlage und die Kompressoren für die Pipeline würden mit Strom aus Wasserkraft betrieben; davon gebe es in Québec mehr als genug. Andere LNG-Terminals würden dagegen Gas verbrennen, um die nötige Energie zu gewinnen. Zudem sei es in Québec viel kühler als an der US-Golfküste oder gar in Katar - dies erleichtere die Verflüssigung des Erdgases, ergänzt der Ingenieur. Der Seeweg nach Europa sei im Vergleich zu Terminals an der Golfküste ebenfalls um 40 Prozent kürzer, was Treibstoff spare. Und was die Gasförderung angehe, seien die Umweltstandards in Kanada sehr streng. In Summe wären Produktion und Transport von Flüssigerdgas aus Québec deswegen drei- bis viermal weniger klimaschädlich als entsprechende Lieferungen aus den USA, Australien, Katar oder Nigeria, rechnet Illich vor.

Daneben befürchteten die Behörden, dass der Lärm der Tankschiffe die bedrohten Weißwale oder Belugas im Sankt-Lorenz-Strom stören könnte, dem Gewässer am geplanten Standort. Illich sagt aber, das Projekt sehe hier "innovative Schutzmaßnahmen" vor, und im Jahresdurchschnitt werde der zusätzliche Verkehr bei nicht einmal einem Schiff pro Tag liegen.

Künftig soll Öko-Wasserstoff geliefert werden

Das Terminal könnte 15 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr exportieren, was einem Sechstel des deutschen Jahresverbrauchs entspricht. Neben Erdgas könnte die Anlage auch grünen Wasserstoff auf Tankschiffe verladen - das ist Wasserstoff, der mit Hilfe von Ökostrom aus Wasser gewonnen wurde, in sogenannten Elektrolyseuren. Illich will Québecs reichlich vorhandenes Potenzial für Strom aus Wind- und Wasserkraft nutzen, um künftig in Elektrolyseuren Wasserstoff für Europa zu produzieren. Der könnte Schritt für Schritt die LNG-Exporte ablösen.

Denn die EU benötigt LNG bloß übergangsweise - in Zukunft soll Europa ja ganz ohne Erdgas auskommen, dem Klimaschutz zuliebe. Zugleich wird der Bedarf an klimafreundlich hergestelltem Wasserstoff rasant steigen: zum Beispiel um in Stahlwerken Koks und Kohle zu ersetzen oder um Lastwagen anzutreiben. "Aus Québec importierter grüner Wasserstoff wird mit grünem Wasserstoff, der in der EU produziert wird, preislich mithalten können, ohne Frage", sagt Illich.

Zumal es die EU ohnehin nicht schaffen wird, schnell ausreichend eigene Fertigungskapazitäten für grünen Wasserstoff hochzuziehen. So warnt der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper, dass dafür gar nicht genug Ökostrom zur Verfügung stehen werde, "selbst bei einem raschen Ausbau". Deshalb müsse die EU dringend nicht nur Lieferländer für LNG, sondern auch für Wasserstoff finden. "Und bei beidem brauchen wir politisch stabile Handelspartner, und wir dürfen uns nicht zu abhängig von einer kleinen Gruppe von Lieferanten machen", mahnt der Industriepolitiker. Kein Zweifel: Das Projekt an Kanadas Atlantikküste käme da gelegen.

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