Glyphosat:In der Erde, im Menschen

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Das Pflanzengift Glyphosat wird in Argentinien großflächig auf Felder verteilt. Bewohner nahe gelegener Dörfer leiden häufiger an Krebs oder Fehlgeburten. Ihre Botschaft an Europa: Schaut her, damit euch nicht dasselbe passiert.

Von Peter Burghardt

Irgendwann ahnten sie in Argentiniens Provinz, dass da etwas nicht stimmt mit dieser giftgrünen Erfolgsgeschichte. Seit Jahren werden die Felder neben ihren Dörfern mit immer mehr Unkrautvernichtungsmitteln besprüht, damit der Mais, die Baumwolle und allen voran Soja schön wachsen und möglichst viel Geld bringen. Die Herbizide und Pestizide strömen aus den Düsen von Flugzeugen und insektenhaften Riesenmaschinen, genannt "Moskitos". "Das Mädchen gegenüber hatte mehrere Schwangerschafen verloren, die Frau nebenan hatte Krebs, die da vorne auch", sagt Sofía Gatica, eine der Aktivistinnen aus einer der betroffenen Gemeinden, Ituzaingó bei Córdoba. "Allein mit den Daten aus meinem Straßenzug konnte ich sehen, dass da etwas Schwerwiegendes geschah."

Bevorzugt verwendet wird das Produkt Roundup des US-Multis Monsanto mit dem Bestandteil Glyphosat. Das Breitbandherbizid gilt Landwirten als Wunderwaffe. Alles sei ganz harmlos, heißt es, aber die Begeisterung über das Agrarmodell ist geteilt. Manche Argentinier wurden reich. Viele Argentinier werden krank.

Die Fehlgeburten nahmen zu, die Missbildungen, die Probleme mit den Atemwegen, dem Kreislauf, den Augen, den Nieren, der Haut, dem Magen. Die Krebsfälle häuften sich. Es heißt, im argentinischen Mittel sei jeder Fünfte bis Sechste von einem Tumor betroffen - in einschlägigen Agrargebieten soll es dagegen teilweise jeder Dritte sein, mancherorts sogar jeder Zweite. Irgendwann häuften sich die Berichte aus Monte Maíz, Avia Terai, La Leonesa oder Ituzaingó, die von gewaltigen Monokulturen umzingelt sind. Man sah behinderte Kinder, einen entstellten Giftspritzer-Hilfsarbeiter oder ein Mädchen, deren Körper mit Flecken übersät ist. Die Frage, was dahinter steckt, sollte im Rahmen der Debatte über Glyphosat auch die EU interessieren.

Monsanto entwickelte Saatgut, das das Pflanzenschutzmittel verträgt

Immer wieder reisen deshalb Experten aus Südamerika nach Europa oder umgekehrt. "Wir wollen Ihnen sagen, was uns passiert, damit Ihnen nicht dasselbe passiert", sagt der argentinische Kinderarzt Medardo Ávila Vázquez, auf Einladung der Grünen besuchte er auch den Bundestag. Der Neonatologe der Universität Córdoba ist Sprecher der Vereinigung Médicos de Pueblos Fumigados, "Ärzte besprühter Dörfer". Ávila Vázquez warnt vor Glyphosat und anderen Substanzen. Er findet, es gehe um ein würdiges Leben, um Menschenrechte, nicht um die Profite von Konzernen. Außerdem, ließe sich anfügen, landet der meist genetisch veränderte Sojaschrot von den bespritzten Äckern Argentiniens jenseits des Atlantiks auch in europäischen Ställen und Tanks, mehr als 21 Millionen Tonnen im Jahr. In der EU sind künstlich modifizierte Bohnen für den Anbau verboten.

In Argentinien begannen die Exzesse in den Neunzigerjahren, seinerzeit ließ der damalige Präsident Carlos Menem nahezu ungeprüft genmanipuliertes Saatgut für Soja und Mais zu. Monsanto hatte Saatgut entwickelt, das sein Pflanzenschutzmittel Glyphosat verträgt, ein rundes Geschäft. Markenname: Roundup. Nach dem Staatsbankrott 2001/2002 halfen die satten Ernten und die Nachfrage in Fernost bei einem vorübergehenden Aufschwung, derweil veränderte sich die Landschaft. Für die einen regnet es Geld, für andere Gift.

Mindestens 26 Millionen Hektar argentinischer Böden sind mittlerweile mit genetisch präparierten Pflanzen bedeckt, davon 20 Millionen Hektar mit Soja. Hunderte Millionen Liter gehen auf diese Schlachtfelder im Dunstkreis von zwölf Millionen ländlicher Bewohner nieder, darunter Endosulfat, Acetochlor, Atracin und 2,4-D - sowie allein mehr als 200 Millionen Liter Glyphosat pro Jahr, das sind jährlich knapp fünf Liter Glyphosat pro Person.

Die Chemie und die simple Direktsaat sparen den Kleinbauern, Großgrundbesitzern und Agrar-Pools Personal und Pflege. Längst erfasst der Boom die gesamte Region. Brasilien wurde zu einem der weltgrößten Exporteure von gezüchtetem Soja und zu einem Großkunden von Glyphosat. Paraguay sowie Teile Uruguays und Boliviens verfielen ebenfalls dem Rausch der schnellen Gewinne. "Vereinte Soja-Republik", schwärmte das Unternehmen Syngenta in Werbeanzeigen. Man könnte auch sagen: vereinte Glyphosat-Republik. In Kolumbien kam das Zeug in Kombination mit Zusätzen in rauen Mengen ebenfalls vom Himmel, Armee und Polizei zerstörten damit Kokasträucher. Erst im Herbst 2015 ließ Bogotá die US-unterstützten Luftangriffe mit Glyphosat wegen der mutmaßlichen Folgen für Flora, Fauna und Menschen einstellen.

Was richtet der toxische Niederschlag an? 2009 sorgte eine Studie des argentinischen Molekularbiologen Andrés Carrasco von der Universität Buenos Aires im Fachblatt Chemical Research in Toxicology für Aufsehen. Der Professor, ehemals Präsident des renommierten argentinischen Forschungszentrums Conicet, wies in Laborversuchen nach, dass Glyphosat selbst in niedrigsten Dosen die Embryonen von Fröschen und Hühnern beschädigt. Er übertrug seine Ergebnisse auf die Risiken vor allem für ungeborene Kinder, das sei wegen der großen Ähnlichkeit bei der frühesten Entwicklung vergleichbar. Kritik, er habe die Konzentration unnatürlich hoch angesetzt, widersprach Carrasco: Er hatte Roundup und Glyphosat im Verhältnis von 1:10 000 verdünnt. Argentinien, klagte der Wissenschaftler, habe sich in ein Experimentierfeld verwandelt. Auch der deutschen Botschaft in Buenos Aires erläuterte er seine Erkenntnisse, wie ein Protokoll aus jenem Jahr 2009 zeigte. Argentiniens Verteidigungsministerin verbot sogar den Sojaanbau in Revieren der Streitkräfte, und es gab eine Untersuchungskommission. Doch das Geschäft ging weiter. Die Agrarlobby und in ihrem Sog Behörden in nah und fern attackierten Carrasco derweil, seine Testreihe sei unseriös. Er erhielt auch Drohungen, wurde einmal auf der Fahrt zu einem Vortrag verschleppt. 2014 erlag er einem Herzinfarkt. Der Widerstand einzelner Gruppen nahm trotzdem zu.

Weizen-Erntemaschinen in Balcarce, etwa 400 Kilometer südlich von Buenos Aires. (Foto: Diego Giudice/Bloomberg)

2011 unterstützte ein Gericht die Klage von Frauen aus Ituzaingó, an deren Häusern der Mindestabstand bei den Sprühungen nicht eingehalten worden war. Im Blut von 114 getesteten Kindern waren Spuren der Chemikalien entdeckt worden, die Zahl der Erkrankungen des Vororts liegt weit über dem Schnitt. Ein Sojabauer und ein Pilot wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Sofía Gatica, eine der Klägerinnen dieser "Mütter von Ituzaingó", bekam 2012 den bedeutenden Goldman Prize. Sie hatte eine Tochter drei Tage nach deren Geburt durch Nierenversagen verloren, wurde wegen ihres Engagements verprügelt und bedroht. Man traf die streitbare Frau in Argentinien, in Deutschland prophezeite sie vor Publikum: "Das Gift gelangt irgendwann in eure Lebensmittel."

Dort ist es längst, wie Stichproben bestätigten. Glyphosat findet sich auch im Urin, in der Muttermilch, im Bier, in Tupfern und so weiter. Dennoch werden Kritiker von Industrie und Politik gerne wie Nestbeschmutzer behandelt. 2014 berichtete das SZ-Magazin über die gehäuften Fälle von Krebs und Fehlbildungen in Kleinstädten wie Ituzaingó und Avia Terai. "Der Tod kommt mit dem Wind", sagten die Leute, sie lautete auch der Titel. Das sei "eine Zeitbombe, ein Genozid", klagte eine Ärztin. Die Ärmsten und Ungebildetsten seien Versuchskaninchen. "Es wird vielleicht nie eine Beweiskette Ursache-Effekt geben", räumte der Mediziner Ávila Vázquez ein, "aber der Schaden ist eindeutig: Die chronische Zufuhr von Glyphosat zerstört DNA." Der Biologe und Alternative Nobelpreisträger Rául Montenegro sagte: "Das Gift ist überall. In der Erde. Im Wasser. In den Menschen." Viele Kinder hätten Probleme, doch die meisten Familien trauten sich nicht, dies anzuzeigen, erzählte Silvia Ponce aus Avia Terai. Ihre Tochter Aixa wurde gesprenkelt mit Muttermalen und mit Geschwüren am Rücken geboren, in der Umgebung gibt es mehrere Auffälligkeiten. Ein britischer Rockstar erreichte mit Fotos in einer englischen Zeitung, dass wenigstens Aixas Tumore operiert werden konnten.

Andere stritten alle Zusammenhänge ab und versicherten, es komme nur auf die korrekte Verwendung von Glyphosat an. Glyphosat sei "wahrscheinlich der am besten untersuchten Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff", schrieb das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in einer internen Stellungnahme zu der SZ-Reportage. Es gebe "keine wissenschaftlich belegbaren Hinweise auf die in dem Artikel erwähnten Erkrankungen der argentinischen Bevölkerung". Es gebe wegen des Textes "auch keinen Anlass die deutschen Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit Glyphosat, 2,4-D oder mit anderen Wirkstoffen zu überprüfen."

Das war, bevor ein Gremium der Weltgesundheitsorganisation WHO feststellte, dass Glyphosat wahrscheinlich Krebs erregend sei und ein anderes Gremium dieser WHO sowie das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung diese Einschätzung einschränkten. In Argentinien wird derweil wie gehabt tonnenweise gespritzt, obwohl Aktivisten fordern: Paren de fumar. Hört auf zu sprühen.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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