Ackergift:Behörde hat wohl Hinweise auf Krebsrisiko durch Glyphosat ignoriert

Landwirtschaft

Ein Landwirt in Niedersachsen besprüht ein Gerstenfeld.

(Foto: dpa)
  • Das Ackergift Glyphosat ist weltweit populär - aber auch umstritten. Krebsforscher der Weltgesundheitsorganisation WHO stufen das Pestizid als "wahrscheinlich krebserregend ein".
  • Das Bundesamt für Risikobewertung hält den Stoff offiziell für unbedenklich. Offenbar lagen der Behörde aber gegenteilige Hinweise vor.
  • Außerdem nutzt die Behörde zur Neubewertung des Ackergifts vor allem Studien der Industrie.

Analyse von Silvia Liebrich

Im Streit um die Risiken des Pflanzengifts Glyphosat gerät die zuständige deutsche Behörde weiter unter Druck. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) betont seit Jahren, dass von dem Pestizid kein Risiko für Menschen ausgehe, während etwa die Krebsforschergruppe der Weltgesundheitsorganisation, kurz IARC, den Stoff im Frühjahr als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft hat. Nun zeigt ein vertrauliches Dokument des BfR, dass auch der deutschen Behörde Hinweise vorliegen, die durchaus eine krebserzeugende Wirkung in Tierversuchen nahelegen, wie das Nachrichtenmagazin Fakt berichtet. Trotzdem betont das BfR offiziell immer wieder, dass es keine Hinweise auf ein Krebsrisiko gebe.

Die unterschiedlichen Einschätzungen haben einen Expertenstreit zwischen der deutschen Behörde, der Industrie und den WHO-Forschern ausgelöst. Das BfR und auch die Industrie greifen die Toxikologie-Experten der WHO an und werfen ihnen unter anderem vor, die renommierte Gruppe habe nicht sauber gearbeitet. Diese haben am Mittwoch einen umfassenden Bericht veröffentlicht, in dem sie ihr Urteil ausführlich begründen.

Glyphosat ist weltweit das am meisten verkaufte Ackergift, es tötet Pflanzen ab, wird aber auch eingesetzt um die Reife von Getreide zu beschleunigen. Es steht bereits seit Jahren im Verdacht neben Krebs auch andere Krankheiten und Missbildungen bei Neugeborenen auszulösen. In dem nun bekannt gewordenen Papier, das auch der Süddeutschen Zeitung vorliegt, gehen die Experten des BfR auf mehrere Studien ein, die auf ein Krebsrisiko hinweisen. Unter anderem wird eine Langzeitstudie an Mäusen erwähnt, bei der den Tieren zwei Jahre lang unterschiedliche Dosen von Glyphosat ins Futter gemischt wurden. Dabei zeigte sich in der Hochdosisgruppe ein deutlicher Anstieg von Krebserkrankungen des Lymphsystems. Dennoch kommt die Behörde zu dem Schluss, all diese Ergebnisse seien nicht relevant.

Das 18-seitige Papier ging auch an die Mitglieder des Agrarausschusses im Bundestag. In der Opposition stößt es auf Unverständnis. Die Behörde habe immer wieder betont, dass sie keinerlei Hinweise auf ein Krebsrisiko habe, kritisiert Harald Ebner, von Bündnis 90/Die Grünen. "Jetzt kommen sie im Nachhinein doch mit einer Studie raus, die evidente Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung zeigt. Da fühle ich mich als Parlamentarier verschaukelt." Das BfR weist den Vorwurf zurück und beharrt darauf: "Die zitierte Zwei-Jahres-Studie an Mäusen weist kein toxikologisch signifikantes Risiko für Kanzerogenität beim Menschen nach." Außerdem heißt es in der Stellungnahme, das BfR habe im Rahmen der EU-Wirkstoffprüfung sämtliche relevanten Studien zur Kanzerogenität des Wirkstoffes geprüft.

"Ein solches Vorgehen ist skandalös"

Doch was ist in diesem Fall relevant und wer legt das fest? Tatsache ist, dass sich die deutsche Behörde für ihre Risikoanalyse von Glyphosat vor allem auf Auswertungen der Industrie stützt, und das ist vom Gesetzgeber sogar so vorgeschrieben. Ein Verfahren, das zwar legal, aber hoch umstritten ist. "Ein solches Vorgehen ist skandalös", sagt der Toxikologe Peter Clausing vom industriekritischen Pestizidaktionsnetzwerk Pan. "Damit bleibt es weitgehend der Industrie überlassen, Publikationen, in denen die Risiken beschrieben werden, auszuwählen und zu bewerten." Das BfR hält dem entgegen, dass man alle eingereichten Unterlagen unabhängig prüfe und selbst bewerte, außerdem würden auch andere Dokumente berücksichtigt, die etwa von Umweltschützern und anderen Organisationen stammten. Clausing überzeugt das nicht. Das ganze Verfahren sei anfällig für Manipulationen durch die Industrie. "Auch wenn die Hersteller alle erforderlichen Daten liefern, können sie unbedeutende Effekte besonders hervorheben und besonders kritische verharmlosen oder schlimmstenfalls ganz verschweigen", sagt er. Bei den großen Datenmengen sei es für die Behörden kaum möglich, bis ins Detail alle Angaben zu überprüfen.

Die Sache ist heikel, besonders weil in Europa und den USA in den nächsten Monaten die Zulassungen für Glyphosat auslaufen. Eines der bekanntesten Mittel, das den Wirkstoff enthält, ist Roundup. Für die Hersteller, allen voran der US-Konzern Monsanto, geht es um Milliardenumsätze. Für eine neue Zulassung müssen die Risiken neu bewertet werden. Für die Neubewertung in der gesamten EU ist das BfR zuständig. Den Prüfbericht hat die Behörde vor einigen Monaten nach Brüssel geschickt. Grob zusammengefasst heißt es darin, Glyphosat sei unbedenklich.

Zusammengestellt wurde ein großer Teil der Unterlagen für den BfR-Prüfbericht von der sogenannten Glyphsate Task Force (GTF), einer Organisation, in der sich Hersteller und Verkäufer des Stoffs zusammengeschlossen haben. Zu den 24 Mitgliedern gehören unter anderem Monsanto Europe, der Schweizer Konzern Syngenta und die US-Agrarfirma Dow Agroscience.

Auf der Homepage der Glyphosate Task Force heißt es, die von der GFT zusätzlich eingereichten Unterlagen "umfassen mehr als 150 neue Studien.... , sowie mehr als 900 aktuelle wissenschaftlich Veröffentlichungen". Auffällig ist, dass die BfR genau diese Zahlen in einer früheren Anfrage der SZ zwar nennt, aber nicht angibt, dass es sich dabei um Unterlagen der Industrie handelt. Für den Bericht an die EU seien "mehr als 150 neue toxikologische Originalstudien beschrieben und ausgewertet worden", heißt es da. Weiterhin seien mehr als 900 neu in wissenschaftlichen Zeitungen publizierte Arbeiten berücksichtigt worden.

Diese Zusammenhänge werfen die Frage nach der Unabhängigkeit der Behörde auf. Erst vor kurzem haben Recherchen der SZ gezeigt, dass das BfR in der Neubewertung des Unkrautvernichters im Auftrag der EU-Regierung unter anderem Leserbriefe als Studien gewertet hat. Weiter stellte sich heraus, dass ein Teil dieser Briefe entweder direkt von Mitarbeitern von Monsanto stammt oder aus dem weiteren Umfeld des Konzerns. Solche Leserbriefe können nach Einschätzung von Experten allenfalls als wissenschaftliche Kommentare in eine Bewertung einfließen, aber nicht als Studien. Die BfR sieht darin kein Problem, sie will Liste mit Studien, auf der die Leserbriefe auftauchen, als Quellensammlung verstanden wissen. Auch im übergeordneten Bundeslandwirtschaftsministerium sieht man darin offenbar kein Problem. Man könne "keine Ungereimtheiten" im Prüfbericht des BfR erkennen, heißt es da. Und weiter: "Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist eine Bundesoberbehörde, die unabhängig hinsichtlich der Forschung und der gesundheitlichen Risikobewertung arbeitet."

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