Glyphosat:Gekaufte Forschung: Wie Monsanto Wissenschaftler beeinflusst hat

Bayer darf Monsanto nun übernehmen.

Glyphosat kommt in der Regel als Nacherntebehandlung bzw. vor der Aussaat zum Einsatz. Das Pestizid dient zur Unkrautbekämpfung in der Landwirtschaft.

(Foto: Steven Lüdtke/Picture Alliance)
  • Ein Toxikologe veröffentlicht einen Aufsatz über die Risiken von Glyphosat, doch dann hagelt es kritische Leserbriefe.
  • Im Nachhinein zeigt sich, dass die Leserbrief-Aktion vom Unternehmen offenbar geplant war.
  • Später wird der Aufsatz zurückgezogen.

Von Christina Berndt und Silvia Liebrich

Erst kam ein Leserbrief, dann ein zweiter, am Ende waren es 25. Die Absender stammten aus 14 Ländern, und nach allem, was sich aus den Unterlagen eines Gerichtsverfahrens in Kalifornien herauslesen lässt, landeten die 25 Briefe nicht zufällig auf dem Tisch des Fachmagazins Food and Chemical Toxicology (FCT). Sondern sie wurden offenbar vom US-Konzern Monsanto mitinitiiert, um die Studie eines Wissenschaftlers in Zweifel zu ziehen, der über mögliche Risiken von Roundup geschrieben hatte, einem Pflanzenschutzmittel von Monsanto, das vor allem Glyphosat enthält.

Verfasst hatte diese kritische Untersuchung der französische Toxikologe Gilles-Eric Séralini. Er hatte bei Fütterungsstudien an Ratten etwa Beunruhigendes herausgefunden: Tiere, die mit Roundup gespritzten Mais fraßen, erkrankten schneller und mit größerer Wahrscheinlichkeit an Krebs als Tiere ohne Roundup im Futter. Séralinis Arbeit wurde am 19. September 2012 publiziert, zuvor hatte die Arbeit den üblichen Begutachtungsprozess durch andere Wissenschaftler durchlaufen, das sogenannte "Peer-Review-Verfahren". Doch kurz nach der Veröffentlichung brach ein Sturm der Entrüstung von Glyphosat-freundlichen Wissenschaftlern los.

Konzertierte Leserbriefreaktion

Die Studie hatte zweifellos Mängel, doch das Ausmaß der Empörung stand dazu in keinem Verhältnis.

Und das war offenbar kein Zufall, wie bislang unbekannte Dokumente aus dem Gerichtsprozess nahelegen: Monsanto hatte demnach eine konzertierte Leserbriefreaktion angestoßen - und zwar in Zusammenarbeit mit Wallace Hayes, dem damaligen Chefredakteur des Fachmagazins. "Wally", wie Hayes in Mails von Monsanto genannt wird, brauche dringend konkretere Leserreaktionen, damit er etwas unternehmen könne, heißt es in einer Mail des Monsanto-Mitarbeiters David Saltmiras vom 26. September 2012. Ein gutes Jahr später zieht Hayes das Séralini-Papier zurück, sein Magazin distanziert sich also von dem Aufsatz. Hayes begründete dies mit der Leserbriefflut und der darin geäußerten Kritik an der Methodik.

Die Dokumente, die all dies aufzeigen, liegen der Süddeutschen Zeitung und dem WDR vor, sie stammen aus den bislang größten Verfahren, denen sich Monsanto in Sachen Glyphosat stellen muss: 3500 Betroffene haben in den USA Sammelklagen gegen den Konzern eingereicht, weil sie sich als Opfer von Glyphosat sehen. Unter den Klägern sind viele, die in der Landwirtschaft arbeiten und ein Non-Hodgkin-Lymphom entwickelt haben, also Lymphdrüsenkrebs haben oder hatten.

Bei den Verfahren geht es um die Frage: Hat das Unternehmen Monsanto, das der deutsche Bayer-Konzern übernehmen will, Hinweise auf Gesundheitsrisiken des Spritzmittels Roundup ignoriert und zurückgehalten? Monsanto weist das entschieden zurück. "Jeder, der solche Behauptungen verbreitet, ist entweder falsch informiert oder äußerst sich absichtlich irreführend", sagt Scott Partridge, Vizepräsident für globale Strategie.

"Unangemessene Einflussnahme auf Forschung und wissenschaftliche Artikel"

"Alle unsere Produkte und ihre einzelnen Komponenten wurden vollständig evaluiert und sind sicher für den Gebrauch." Er betont, keine Regulierungsbehörde habe festgestellt, dass Glyphosat krebserregend sei, bis auf IARC, das Krebsforscher-Gremium der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dieses hatte Glyphosat Anfang 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft. Das Gremium gilt weltweit als wichtigste Instanz in Sachen Krebsforschung. Monsanto-Manager Partridge hält IARC dagegen für unglaubwürdig.

Der Anwalt Michael Baum, dessen Kanzlei gut 500 der Kläger in Kalifornien vertritt, sieht dies völlig anders. Er wirft Monsanto eine "unangemessene Einflussnahme auf Forschung und wissenschaftliche Artikel" vor und spricht in diesem Zusammenhang von "Betrug" und dem "Verschleiern von Risiken". Ein Vorwurf, den Monsanto zurückweist.

Fakt ist jedenfalls, dass sich in den Gerichtsakten aus Kalifornien ein Papier findet, das aus der Personalakte des Monsanto-Mitarbeiters Saltmiras stammt. Darin reklamiert er seinen Anteil daran, dass das Fachmagazin FCT den Aufsatz des französischen Toxikologen zurückgezogen hat: "Während der Séralini-Publikation und der Medienkampagne habe ich die Verbindung zum Herausgeber der FCT gestemmt", schreibt Saltmiras. "Ich habe zahlreiche Leserbriefe von Dritten an den Herausgeber erfolgreich unterstützt, so dass sie später veröffentlicht wurden."

In den Gerichtsdokumenten gibt es zudem einen Entwurf für einen Vertrag mit FCT-Chefredakteur Hayes. 400 Dollar pro Stunde soll Hayes demnach für seine "consulting services" für Monsanto erhalten. Auf Anfragen dazu reagiert er nicht. Der Verlag Elsevier, der FCT herausgibt, lässt wissen, dass man sich mit der Sache immer noch beschäftige.

Genauere Nachfragen bleiben unbeantwortet. Cesare Gessler, langjähriger Professor für Pflanzenpathologie an der ETH Zürich, bezeichnet den Rückzug des Séralini-Artikels als "außerordentlich", da die Grundlage vieler anderer Studien nicht solider sei, eine Kritik diesen Ausmaßes aber unterbliebe. Auch der langjährige frühere Ombudsman der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Bonner Juraprofessor Wolfgang Löwer, führt an, dass "methodische Bedingtheiten" kein Grund für ein Zurückziehen einer Studie seien. Diese ließen sich auch in Stellungnahmen erörtern.

Wenn Befangenheitsregeln unterlaufen werden, werde "das ganze Wissenschaftssystem zerstört"

Wie gut die Zusammenarbeit mit Fachzeitschriften mitunter lief, zeigen auch Mails aus dem Jahr 2008. Damals schaffte es ein anderes Papier zu Risiken durch Glyphosat und Roundup für Säugetiere nicht in die Fachzeitschrift Cell Biology and Toxicology (CBT). Im Laufe des Peer-Review-Prozesses waren nicht nur unabhängige Wissenschaftler um ihre Einschätzung gebeten worden, sondern auch der Monsanto-Mitarbeiter Charles Healy. Sein Votum fiel erwartbar negativ aus: Die Studie "sollte sofort abgelehnt werden", schrieb er an den damaligen CBT-Chefredakteur John Masters. Als auch positive Einschätzungen zu der Veröffentlichung eingingen, fragte Masters ausgerechnet bei Monsanto nach einem finalen Votum. "Es scheint, dass wir über die Entscheidung entscheiden, ob die Studie veröffentlicht wird oder nicht", schrieb Healy seinen Monsanto-Kollegen.

Masters sagt dazu heute, Healy habe die Entscheidung am Ende nicht getroffen. Dass er ihn um seine Einschätzung gebeten habe, liege an dessen "großer Expertise". Der Verlag Springer, bei dem CBT erscheint, sieht auch kein Problem in dem Vorgang: "Interessenkonflikte schließen nicht automatisch aus, dass ein Gutachter an einem Review-Prozess teilnimmt", teilte eine Sprecherin mit.

Der frühere Ombudsman Löwer sieht das anders: "Ich kann Firmenmitarbeiter vielleicht fragen, ob alle Sachinformationen in einer Veröffentlichung stimmen, aber ich kann Firmenmitarbeiter ganz eindeutig nicht fragen, ob ein Papier publiziert werden sollte. Da gelten die allgemeinen Befangenheitsregeln." Wenn diese unterlaufen würden, so Löwer, werde "das ganze Wissenschaftssystem zerstört".

"Möchte nicht die Aufmerksamkeit auf die Toxizität unseres Produkts lenken"

Aus den Firmendokumenten geht zudem hervor, dass Monsanto sich durchaus Sorgen machte, kritische Studien könnten den Ruf von Glyphosat beschädigen. Ein ganz besonderes Augenmerk galt dabei den Krebsforschern der WHO. Schon etliche Monate bevor diese ihre Krebswarnung veröffentlichten, warnte die Monsanto-Toxikologin Donna Farmer am 18. August 2014 in einer E-Mail: "Ich wollte Sie nur wissen lassen, was uns schon lange Sorgen gemacht hat. Glyphosat ist im März 2015 für eine IARC-Überprüfung vorgesehen." In anderen Mails heißt es, weitere Studien wären "zu riskant". Oder: "Möchte nicht die Aufmerksamkeit auf die Toxizität unseres Produkts lenken."

Den Unterlagen zufolge versucht Monsanto offenbar gezielt Einfluss auf die Wissenschaft zu nehmen. So wurden zum Bespiel "200 000 bis 250 000 Dollar" in die Hand genommen, um als Gegenoffensive gegen das erwartete IARC-Urteil ein Glyphosat-freundliches Expertenpanel zu installieren. Genannt wird in diesem Zusammenhang auch der emeritierte deutsche Toxikologe Helmut Greim.

Beruhigende Berichte

Ein Monsanto-Mitarbeiter schlägt in einem Mailwechsel vor, die Namen von Experten in pseudo-wissenschaftliche Arbeiten aufzunehmen, um Monsanto-Statements glaubwürdiger zu machen: "Eine Option wäre, Greim und Kier oder Kirkland hinzuzufügen, aber wir könnten die Kosten niedrig halten, wenn wir das Schreiben übernehmen und sie würden nur bearbeiten und mit ihrem Namen zeichnen."

Greim fiel während seiner langjährigen Tätigkeit an der TU München immer wieder durch beruhigende Berichte zu Umweltrisiken auf, darunter die giftigen Substanzen Dioxin und PCP. Auch Glyphosat hielt er stets für unbedenklich. Er habe Glyphosat in seinen Veröffentlichungen aber nie verteidigt, betont Greim auf Anfrage. Vielmehr sei er "nach Auswertung der vorhandenen Informationen zu dem Ergebnis gekommen, dass Glyphosat nicht kanzerogen ist". Er habe für eine Veröffentlichung nur einmal 3000 Euro von Monsanto bekommen und für die Teilnahme an dem genannten Experten-Panel etwa das Doppelte von einer von Monsanto beauftragten Agentur, erklärt Greim. "Sonst habe ich nichts bekommen." Außerdem stehe er mit seiner Meinung zu Glyphosat nicht allein da.

Monsanto weist alle Vorwürfe zurück, es habe versucht, auf wissenschaftliche Ergebnisse Einfluss zu nehmen. Wenn es um die Frage der Sicherheit gehe, müsse die Wissenschaft betrachtet werden, nicht einzelne E-Mails, die aus dem Zusammenhang gerissen seien, heißt es dort. Die Verfahren in den USA dürften sich noch über Jahre hinziehen. Doch der Europäischen Union bleibt nicht mehr viel Zeit in Sachen Glyphosat.

Spätestens bis zum 15. Dezember muss sie entscheiden, ob das Pflanzenschutzmittel weiter eingesetzt werden darf. Voraussichtlich am 9. November sollen die 28 Mitgliedstaaten über einen neuen Vorschlag der EU-Kommission abstimmen. Die strebt nun an, die Zulassung nur um fünf Jahre statt der bisher anvisierten zehn Jahre zu verlängern, nachdem der alte Vorschlag nicht die notwendige Zustimmung fand. Auch bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin ist Glyphosat ein großer Streitpunkt. Während die Grünen auf ein Verbot pochen, lehnt die Union dies strikt ab.

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